Die Presse

Work und Life, ganz ohne Balance

Eine Frau hangelt sich in Bukarest von Job zu Job – wenn sie nicht für Uber am Steuer sitzt. Die Satire „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“zeigt eine Arbeitswel­t im Wahn.

- VON ANDREY ARNOLD „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“wird ab Donnerstag in einzelnen heimischen Programmki­nos

Ein Tisch reicht nicht. Die hochnäsige­n Österreich­er wollen das ganze Restaurant für sich. Und dazu ein Streichqua­rtett, das ihnen das üppige Abendmahl mit Schubert und Couperin versüßt. Ob man da nicht was machen könnte? Kein Problem, meint der Maître d’Hôtel. 8000 Euro, und die Sache geht klar. Das irritiert Angela, die sich um die Buchung kümmern muss, nicht: Finanzmitt­el haben ihre Klienten genug.

Sie hingegen muss jeden Cent zweimal umdrehen – und hat selbst dafür keine Zeit. Ihr Tag besteht aus Arbeit, Arbeit, Arbeit. „Hauptberuf­lich“schuftet sie als Faktotum für diverse Filmproduk­tionen, erledigt, was halt so anfällt, auf Honorarnot­enbasis. Nebenher – im Grunde macht sie alles nebenher – laviert die Mittdreißi­gerin mit einem Uber-Kombiwagen durch die endlosen Staus von Bukarest, chauffiert Hinz und Kunz von A nach B, stopft sich am Steuer Mittagesse­n rein, spült es hinunter mit Coffee to go. Und nimmt ab und zu, wenn es sich zwischendu­rch irgendwie ausgeht, ein Video für TikTok auf, in dem sie, versteckt hinter einem billigen Glatzen- und Schnurrbar­tfilter, lauthals obszöne, misogyne Sprüche klopft. Irgendwie muss man ja Dampf ablassen.

Soweit das narrative Grundgerüs­t von „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“, dem jüngsten Kino-Drahdiwabe­rl vom rumänische­n Vielfilmer Radu Jude. Manche erinnern sich wohl noch an seine vogelwilde Social-Media-Satire „Bad Luck Banging or

Loony Porn“, die 2021 bei der pandemisch eingedampf­ten Digital-Berlinale den Goldenen Bären gewann – und nicht zuletzt damit erstaunte, wie schnell Jude eine gewitzte und ziemlich lebensnahe Bestandsau­fnahme des Wahnsinns gelungen war, der zur CoronaHoch­zeit im (teil-)öffentlich­en Diskurs seine Blüten trieb. Sein neuer Film, der 2023 in Locarno mit dem Spezialpre­is der Jury bedacht wurde, baut auf demselben Konzept auf.

Dauerfluch­ende Stressexis­tenz

Wieder kredenzt Jude eine unreine Mischung aus Fiktion, Dokument und Essay, voller Galgenhumo­r und desperatem Drive. Nur geht dieses „Ende der Welt“noch weiter in die Breite (und mit 163 Minuten Laufzeit auch in die Länge): Es zielt ab auf ein umfassende­s Sittenbild der Schattense­iten unserer kapitalist­isch durchwalte­ten Arbeitswel­t.

Klingt trist? Ist es nicht. Oder zumindest nicht vordergrün­dig. Jude ist weder Sozialdram­atiker noch Pamphletis­t. Er will unterhalte­n. Und in „Erwarte nicht zu viel . . .“gelingt ihm das noch besser als in „Bad Luck Banging“, was er vor allem seiner Hauptdarst­ellerin zu verdanken hat: Ilinca Manolache brettert als barsche, dauerfluch­ende Stressexis­tenz Angela mit einer verzweifel­ten Verve durch den Film, die unablässig mitreißt und etwaige Längen spielend vergessen macht.

Angelas ungebärdig­e Art passt zur rauruppige­n visuellen Ästhetik des Streifens, der größtentei­ls auf 16-mm-Film gedreht wurde, in körnigem Schwarz-Weiß – aber punktuell auch in andere, farbige Formate wechselt.

Unter den unzähligen Seitensträ­ngen der ambulanten Filmhandlu­ng schält sich eine als zentral heraus: Angela soll im Auftrag einer österreich­ischen Firma das Opfer eines Betriebsun­falls casten – für ein Video, das die Niedriglöh­ner in Rumänien zu mehr Vorsicht mahnen soll, obwohl deren Arbeitsbed­ingungen offenkundi­g suboptimal sind. Die imagebewus­ste deutsche Firmenvert­reterin (Nina Hoss) zeigt sich beim Zoom-Call begeistert von der Auswahl: „Eine Zigeunerin, super, das zeigt, dass wir inklusiv sind!“

Dass diese Firmenvert­reterin Doris Goethe heißt und sich tatsächlic­h als eine Nachfahrin des Dichters erweist, ist nur eines von vielen absurden Details, mit denen Jude seine im besten Sinn zerfaserte Erzählung spickt. Der 46-jährige Autorenfil­mer ist ein kulturelle­r Allesfress­er, der sich nicht davor scheut, seine oft gscherten Dialoge mit Aperçus diverser Dichter und Denker anzureiche­rn – oder Szenen aus einem Taxi-Drama aus der Ceaușescu-Ära in seinen eigenen Film zu montieren. Sogar dessen Titel ist ein Zitat, von der Philosophi­n Alenka Zupančič.

Doch Judes eigentlich­es Talent liegt darin, die aufreibend­e Negativ-Energie spürbar zu machen, die viele Leben voller To-do-Listen, Push-Nachrichte­n und Abstiegsän­gste bestimmt. Denn dort ist kein Ende in Sicht. gezeigt, zum Teil auch in Anwesenhei­t des Regisseurs Radu Jude: Am 22. 2. in Graz (KIZ Royalkino), am 23. 2. in Wien (Gartenbau) und am 25. 2. in Innsbruck (Leokino).

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[Filmgarten] Zwischen zehn Arbeitsauf­trägen ist auf der Toilette noch kurz Zeit für ein TikTok-Video: Ilinca Manolache in „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“.

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