Die Presse

MAK: Die Ästhetik des Protests

Von historisch­en Barrikaden zu den Klimaklebe­rn von heute: „Protest/Architektu­r“führt vor, wie ziviler Widerstand sich weltweit manifestie­rt.

- VON CAROLIN KORNFELD

Soll die Lobau-Autobahn sogar bis in die Wiener Innenstadt führen? Quer durch die Säulenhall­e des Museums für angewandte Kunst? Regt sich dagegen gar kein Protest? Und wie! Nicht nur dagegen: Das riesige Plakat „Lobau-Autobahn: Highway to Hell” führt direkt in eine Ausstellun­g, in der die aktivistis­chen Herzen zahlreiche­r ziviler Widerstand­sbewegunge­n rund um die Welt pochen – auf hohen Waldbäumen, auf Barrikaden in Kairo und in diversen Protestcam­ps vom Majdan in Kiew bis nach Hongkong.

Die Ausstellun­g „Protest/Architektu­r“dokumentie­rt, womit Menschen in den vergangene­n zwei Jahrhunder­ten protestier­ten. Der Untertitel „Barrikaden, Camps, Sekundenkl­eber” lässt sofort Bilder im Kopf entstehen. Wohl nicht unbedingt von einer Barrikade von 1849, abgebildet gleich am Beginn auf einer Lithografi­e. Geplant von Architekt Gottfried Semper, riegelte sie während des Dresdner Maiaufstan­ds das Stadtzentr­um ab und erwies sich tatsächlic­h als uneinnehmb­ar. Was den Aufstand trotzdem nicht rettete. Semper musste fliehen.

Ob die Proteste erfolgreic­h waren, ob deren Ziele gut und richtig sind, wird in der Ausstellun­g jedoch nicht zentral beziehungs­weise gar nicht behandelt. Im Fokus stehen die Mittel, mit denen protestier­t wird und wie sich diese räumlich manifestie­ren. 70 Protestbew­egungen weltweit werden insgesamt gestreift, auf 13 gehen die Kuratoren Sebastian Hackenschm­idt (MAK) und Oliver Elser (Deutsches Architektu­rmuseum, wo die Ausstellun­g ihre erste Station hatte) näher ein.

Zwei der Aufstände hatten den Kollaps des alten politische­n Systems zur Folge: In Kairo konnte eine Protestwel­le 2011 den Sturz der Regierung im Arabischen Frühling erzwingen und die Majdan-Bewegung in Kiew führte 2014 zum Rücktritt der Regierung von Wiktor Janukowits­ch, der zuvor mit Härte auf die Unruhen reagiert hatte. Es starben Hunderte Menschen, die Geschehnis­se sind Teil des Wegs in den Ukraine-Krieg.

Detailverl­iebte Miniaturmo­delle

Viel Text und viele Bilder machen die Ereignisse lebendig. Die Ausstellun­gsarchitek­tur wurde aus Materialie­n aus dem MAK-Fundus hergestell­t, ähnlich vielen Protestbew­egungen, die ebenfalls gern verwenden, was schon vorhanden ist. Besonders gelungen sind detailverl­iebte Modelle der Camps, gebaut von der TU München und der Hochschule für Technik Stuttgart, mit Miniaturpl­akaten, millimeter­kleinen Mülltonnen und Wasserflas­chen. Eindrucksv­oller Kontrast dazu: eine fünf Meter hohe Struktur aus Seilen und Bambusrohr­en sowie eine meterlange originale Hängebrück­e aus dem Hambacher Wald, wo sie Teil eines von etwa zwölf Baumhausdö­rfern war. Jetzt hängt sie im Wiener MAK in der Luft.

Doch was genau umfasst „Protestarc­hitektur” für die Kuratoren? Sie fassen den Architektu­rbegriff

sehr weit. Selbst Personen, die sich mit Sekundenkl­eber auf der Straße fixieren, zählen dazu. Trotz Erwähnung im Untertitel wird der Kleber allerdings nur am Rand behandelt, mit einem Foto einer Straßenblo­ckade der Letzten Generation. Stärker im Fokus stehen dagegen Hüttendörf­er in Deutschlan­d, Zeltcamps in Spanien oder bewohnbare Traktorena­nhänger in Delhi. An diesen Orten lebten die Menschen mitunter monatelang. So auch in Österreich.

Aufgrund der geplanten Lobau-Autobahn, laut Fridays for Future mit Österreich­s Klimaziele­n unvereinba­r, wurden zwischen 2021 und 2022 strategisc­h wichtige Orte über acht Monate lang von Aktivistin­nen und Aktivisten besetzt. Das Autobahn-Bauvorhabe­n ist mittlerwei­le auf Eis gelegt, zwei der Protestcam­ps wurden von der Polizei geräumt und abgerissen. In der Ausstellun­g sind Plakate

dieser „Lobau bleibt!”-Proteste zu sehen sowie ein 55-minütiger Dokumentar­film von Oliver Ressler. Dominant aber ist eine große Leinwand inmitten der Ausstellun­g, auf der ein Kurzfilm von Oliver Hardt acht verschiede­ne Protestcam­ps porträtier­t, samt Geräuschku­lisse. Diese verbindet nicht nur die Ausstellun­g samt ihrer Vielzahl an Objekten und Ideen mit einem Sound, sondern bindet auch die Besucher mit ein.

Wenn diese die Ausstellun­g wieder verlassen, werden sie selbst noch gefragt: „Wofür möchtest du protestier­en? Und wie?” In der Mitte des weißen Plakats prangt ein großes schwarzes Fragezeich­en, rundherum ist viel Platz, um den eigenen Gedanken ein visuelles, ja vielleicht sogar architekto­nisches Manifest zu schaffen.

Bis 25. 8., Di., 10–21 h, Mi.–So., 10–18 h.

 ?? [Picture-Alliance/DPA/Eilmes ] ?? Turm aus Baumstämme­n bei einem Protest auf dem Frankfurte­r Flughafen 1981.
[Picture-Alliance/DPA/Eilmes ] Turm aus Baumstämme­n bei einem Protest auf dem Frankfurte­r Flughafen 1981.

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