MAK: Die Ästhetik des Protests
Von historischen Barrikaden zu den Klimaklebern von heute: „Protest/Architektur“führt vor, wie ziviler Widerstand sich weltweit manifestiert.
Soll die Lobau-Autobahn sogar bis in die Wiener Innenstadt führen? Quer durch die Säulenhalle des Museums für angewandte Kunst? Regt sich dagegen gar kein Protest? Und wie! Nicht nur dagegen: Das riesige Plakat „Lobau-Autobahn: Highway to Hell” führt direkt in eine Ausstellung, in der die aktivistischen Herzen zahlreicher ziviler Widerstandsbewegungen rund um die Welt pochen – auf hohen Waldbäumen, auf Barrikaden in Kairo und in diversen Protestcamps vom Majdan in Kiew bis nach Hongkong.
Die Ausstellung „Protest/Architektur“dokumentiert, womit Menschen in den vergangenen zwei Jahrhunderten protestierten. Der Untertitel „Barrikaden, Camps, Sekundenkleber” lässt sofort Bilder im Kopf entstehen. Wohl nicht unbedingt von einer Barrikade von 1849, abgebildet gleich am Beginn auf einer Lithografie. Geplant von Architekt Gottfried Semper, riegelte sie während des Dresdner Maiaufstands das Stadtzentrum ab und erwies sich tatsächlich als uneinnehmbar. Was den Aufstand trotzdem nicht rettete. Semper musste fliehen.
Ob die Proteste erfolgreich waren, ob deren Ziele gut und richtig sind, wird in der Ausstellung jedoch nicht zentral beziehungsweise gar nicht behandelt. Im Fokus stehen die Mittel, mit denen protestiert wird und wie sich diese räumlich manifestieren. 70 Protestbewegungen weltweit werden insgesamt gestreift, auf 13 gehen die Kuratoren Sebastian Hackenschmidt (MAK) und Oliver Elser (Deutsches Architekturmuseum, wo die Ausstellung ihre erste Station hatte) näher ein.
Zwei der Aufstände hatten den Kollaps des alten politischen Systems zur Folge: In Kairo konnte eine Protestwelle 2011 den Sturz der Regierung im Arabischen Frühling erzwingen und die Majdan-Bewegung in Kiew führte 2014 zum Rücktritt der Regierung von Wiktor Janukowitsch, der zuvor mit Härte auf die Unruhen reagiert hatte. Es starben Hunderte Menschen, die Geschehnisse sind Teil des Wegs in den Ukraine-Krieg.
Detailverliebte Miniaturmodelle
Viel Text und viele Bilder machen die Ereignisse lebendig. Die Ausstellungsarchitektur wurde aus Materialien aus dem MAK-Fundus hergestellt, ähnlich vielen Protestbewegungen, die ebenfalls gern verwenden, was schon vorhanden ist. Besonders gelungen sind detailverliebte Modelle der Camps, gebaut von der TU München und der Hochschule für Technik Stuttgart, mit Miniaturplakaten, millimeterkleinen Mülltonnen und Wasserflaschen. Eindrucksvoller Kontrast dazu: eine fünf Meter hohe Struktur aus Seilen und Bambusrohren sowie eine meterlange originale Hängebrücke aus dem Hambacher Wald, wo sie Teil eines von etwa zwölf Baumhausdörfern war. Jetzt hängt sie im Wiener MAK in der Luft.
Doch was genau umfasst „Protestarchitektur” für die Kuratoren? Sie fassen den Architekturbegriff
sehr weit. Selbst Personen, die sich mit Sekundenkleber auf der Straße fixieren, zählen dazu. Trotz Erwähnung im Untertitel wird der Kleber allerdings nur am Rand behandelt, mit einem Foto einer Straßenblockade der Letzten Generation. Stärker im Fokus stehen dagegen Hüttendörfer in Deutschland, Zeltcamps in Spanien oder bewohnbare Traktorenanhänger in Delhi. An diesen Orten lebten die Menschen mitunter monatelang. So auch in Österreich.
Aufgrund der geplanten Lobau-Autobahn, laut Fridays for Future mit Österreichs Klimazielen unvereinbar, wurden zwischen 2021 und 2022 strategisch wichtige Orte über acht Monate lang von Aktivistinnen und Aktivisten besetzt. Das Autobahn-Bauvorhaben ist mittlerweile auf Eis gelegt, zwei der Protestcamps wurden von der Polizei geräumt und abgerissen. In der Ausstellung sind Plakate
dieser „Lobau bleibt!”-Proteste zu sehen sowie ein 55-minütiger Dokumentarfilm von Oliver Ressler. Dominant aber ist eine große Leinwand inmitten der Ausstellung, auf der ein Kurzfilm von Oliver Hardt acht verschiedene Protestcamps porträtiert, samt Geräuschkulisse. Diese verbindet nicht nur die Ausstellung samt ihrer Vielzahl an Objekten und Ideen mit einem Sound, sondern bindet auch die Besucher mit ein.
Wenn diese die Ausstellung wieder verlassen, werden sie selbst noch gefragt: „Wofür möchtest du protestieren? Und wie?” In der Mitte des weißen Plakats prangt ein großes schwarzes Fragezeichen, rundherum ist viel Platz, um den eigenen Gedanken ein visuelles, ja vielleicht sogar architektonisches Manifest zu schaffen.
Bis 25. 8., Di., 10–21 h, Mi.–So., 10–18 h.