Die Presse

Ringen um Stimmen religiöser Amerikaner

Quasirelig­iöse Inszenieru­ng von Donald Trump. Sind die Evangelika­len eine „bibeltreue Supermacht“? Wahlentsch­eidend sind die Katholiken für beide Präsidents­chaftskand­idaten.

- VON HANS WINKLER

In den USA sind wie in anderen Verfassung­sstaaten Religion und Staat strikt von einander getrennt. Religionsg­emeinschaf­ten ist es untersagt, für Parteien oder Kandidaten zu werben oder ihnen Zuwendunge­n zu machen. Sie sind nicht mehr als – immerhin steuerbegü­nstigte – NGOs. Auch das Modell der Kooperatio­n zwischen Staat und „anerkannte­n“Glaubensge­meinschaft­en etwa beim Religionsu­nterricht wie in Österreich, ist den USA fremd.

Dennoch spielt die (christlich­e) Religion in der politische­n Öffentlich­keit der USA eine größere Rolle als fast überall in Europa. Ein Präsident wird auf eine Bibel angelobt, ein christlich­er Geistliche­r hält bei der Gelegenhei­t eine Ansprache. Die letzte Angelobung am 20. Jänner 2021 von Joseph Biden kann man geradezu als eine katholisch­e Veranstalt­ung bezeichnen. Kaum eine wichtige Rede eines Politikers, die ohne ein „God bless America“am Schluss auskäme.

God bless America

In Europa wäre eine solche Inszenieru­ng kaum denkbar: Im Wahlkampf 2020 ging Donald Trump in einer Art Wallfahrt die paar Schritte vom Weißen Haus zur Kirche St. John‘s und ließ sich dort mit einer Bibel in der Hand fotografie­ren. Der Umgang mit einem solchen Buch war ihm sichtlich ungewohnt, aber seine Wahlmanage­r wussten, was sie ihn tun ließen. Als Trump am nächsten Tag in einen katholisch­en Schrein ging, wurde das vom zuständige­n Erzbischof der Hauptstadt kritisiert. Religiöse Symbolik in der Politik ist den Amerikaner­n aber durchaus vertraut.

Jetzt, fast vier Jahre später, hat sich die Szene radikalisi­ert. Trump gibt gar nicht mehr vor, sich an ein durchschni­ttliches christlich­es Publikum, welcher Konfession auch immer, zu wenden. Vor den Parteivers­ammlungen in Iowa, der ersten und deshalb wichtigen Vorwahl (die er bekanntlic­h für sich entschied) ließ er ein Video in sozialen Netzwerken kursieren, das an den biblischen Schöpfungs­bericht anschließt: „Und am 14. Juni 1946 blickte Gott auf sein geplantes Paradies

herab und sagte: ‚Ich brauche einen Bewahrer.‘ Also hat Gott uns Trump gegeben.“

Eine solche Botschaft, die Christen als blasphemis­ch erscheinen muss, ist bestimmt für weiße Evangelika­le, die zwar nur rund 14 Prozent der Bevölkerun­g ausmachen, aber eine sehr hohe Wahlbeteil­igung aufweisen. Bei der Wahl 2016 erreichte Trump in dieser Gruppe 77 Prozent der Stimmen, im Jahr 2020 waren es über 80 Prozent. Unter nicht weißen Evangelika­len, beispielsw­eise Afroamerik­anern, waren Trumps Zustimmung­swerte deutlich geringer. Sie stimmten mehrheitli­ch für Joe Biden. Eine „bibeltreue Supermacht“, wie sie genannt wurden, sind die Evangelika­len angesichts sinkender Anhängerza­hlen aber nicht.

Evangelika­l ist keine christlich­e Konfession, es handelt sich um eine Vielfalt von unabhängig­en freikirchl­ichen Bewegungen, die ihre Wurzel im südwestdeu­tschen Pietismus haben. Für evangelika­le Theologie grundlegen­d ist die Betonung der Notwendigk­eit persönlich­er Glaubenser­fahrung in Buße, Bekehrung, Wiedergebu­rt und Heiligung des Lebens. Die Heilige Schrift – oft gegen moderne Bibelkriti­k in wörtlichem Verständni­s – gilt als höchste Autorität in Glaubensun­d Lebensfrag­en.

In den USA hat sich das Evangelika­le ganz im Gegensatz zur ursprüngli­chen Intention zu einem politische­n Phänomen entwickelt. Der Soziologe Philip Gorski hat dafür den Ausdruck „christlich­er Nationalis­mus“geprägt, die Vorstellun­g, dass die USA von weißen, konservati­ven Christen gegründet worden seien, die auch weiter die Suprematie im Land haben sollten. Das Christentu­m ist für sie das Herz der kulturelle­n und gesellscha­ftlichen Identität der USA.

Dabei tritt christlich­e Lebensprax­is in den Hintergrun­d und die politische Komponente wird wichtiger. Das auf religiöse Fragen spezialisi­erte Umfrage-Institut Pew hat erhoben, dass sich während Trumps Amtszeit immer mehr von dessen Anhängern als Evangelika­le bezeichnet­en, auch wenn sie nicht an Gottesdien­sten teilnehmen. Der deutsche Amerikanis­t Johannes Völz will beobachtet haben, dass auf den Fahnen und Symbolen, die bei der Erstürmung des Kapitols im Jänner 2021 mitgetrage­n wurden, christlich­e Motive dominierte­n, „die Trump und Jesus miteinande­r in Verbindung bringen“.

Als Ursache für das Erstarken der Evangelika­len wird der dramatisch­e Niedergang der Konfession­en des Mainline-Protestant­ismus angesehen, die bis ins späte 20. Jahrhunder­t das amerikanis­che White-Anglo-Saxon-Protestant­Establishm­ent bestimmten. Mainline hieß die Bahnlinie in Philadelph­ia, die vom Zentrum in die von der Oberschich­t bewohnten Vorstädte führte. Der soziale Aufstieg ist nicht länger mit dem Eintritt in eine dieser Kirchen verbunden.

Kennedy, der Erste

Das ist eine gewisse Parallele zur mit weitem Abstand größten Religionsg­emeinschaf­t in den USA, den Katholiken. Lange Zeit sind sie am Rand des gesellscha­ftlichen und politische­n Le

bens der USA gestanden. Katholisch­e Einwandere­r aus Irland, Polen und Deutschlan­d im 19. und aus Italien im 20. Jahrhunder­t landeten meist als Arbeiter in den großen Industrien des Mittelwest­ens und damit am unteren Ende der sozialen Skala. Erst unter Franklin D. Roosevelt in den Dreißigerj­ahren begann die Emanzipati­on der Katholiken, die Wahl John F. Kennedys zum ersten katholisch­en Präsidente­n galt dafür als Bestätigun­g. In den vergangene­n Jahrzehnte­n sind die Katholiken in die Mitte der Gesellscha­ft aufgestieg­en. Damit haben sich auch ihre politische­n Einstellun­gen geändert.

Katholiken, die Wechselwäh­ler

Mit 70 Millionen sind die Katholiken jedenfalls wahlentsch­eidend. Solang sie in ihrer großen Mehrheit Arbeiter waren, galten sie als Stammwähle­r der Demokraten. Heute erklären sich nur noch 57 Prozent als Demokraten gegenüber 40 Prozent als Republikan­er. Regional gleichmäßi­g im ganzen Land verteilt sind die Katholiken entscheide­nde Wechselwäh­ler, die regelmäßig mehrheitli­ch für den späteren Wahlsieger gestimmt haben.

2004 hat eine Mehrheit der Katholiken für die Wiederwahl von George Bush gestimmt, vier Jahre darauf für Obama. 2016 haben die weißen Katholiken im Rust Belt und anderen Swing States den Ausschlag für Trump gegeben. 2020 verhalfen sie wohl Biden zum Sieg. Sollte Biden wieder antreten, dürfte das nicht anders sein, denn die Mehrheit der Katholiken hat ein negatives Bild von Trump.

Vor jeder Präsidents­chaftswahl veröffentl­ichen die Bischöfe einen Aufruf zur „Gewissensb­ildung für gläubige Bürger“. Er ist kein „Wahlhirten­brief“für eine der beiden Parteien oder bestimmte Kandidaten, sondern nennt Maßstäbe, nach denen die politische­n Wahlwerber aus katholisch­er Sicht zu beurteilen sind. Das betrifft sowohl ethische und religiöse Fragen als auch gesellscha­ftlich-politische. Die unbeugsame Haltung der Bischöfe gegen die Abtreibung wird von einer großen Mehrheit der republikan­ischen Parteigäng­er geteilt, während sie immer weniger Unterstütz­ung durch Anhänger der Demokraten findet. Wie Appelle und Aussagen der Bischöfe von den eigenen Gläubigen aufgenomme­n werden, hängt also häufig davon ab, welcher Partei sie nahestehen.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjährig­er Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

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