Stella Assange: „USA schmiedeten Mordkomplott gegen Julian“
Stella Assange über die Anhörung ihres Mannes vor dem obersten britischen Gericht und die Folgen einer möglichen Auslieferung für die Pressefreiheit.
Die Presse: Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Julian Assange kennengelernt haben?
Stella Assange: Es hat sich um 180 Grad gedreht. Meine Prioritäten im Leben, die Art und Weise, wie ich die Welt um mich herum verstehe. Auch die Welt hat sich seitdem verändert. Als ich Julian kennenlernte, waren die westlichen Demokratien offener und setzten sich stärker für bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte ein. Die westliche Welt hat sich ruckartig in Richtung Autoritarismus entwickelt.
Das klingt, als hätten Sie Ihr Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit verloren.
Mein Mann ist durch den Missbrauch des Rechts verfolgt worden, daher habe ich eine zynische Perspektive auf den Begriff. Ich habe miterlebt, wie ein politisch motivierter Fall durch mehrere Instanzen gegangen ist, habe zugesehen, wie mehrere Richter die Augen vor dem Recht verschlossen und unsere Beweise missachtet und Berufungen abgelehnt haben. Ohne politische Interessen hätte Julian nicht einen einzigen Tag im Gefängnis verbracht.
Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die Anhörung?
Ich kenne den bisherigen Verlauf zu gut, um mir große Hoffnungen zu machen. Julian wird gut verteidigt, aber wenn selbst handfeste Beweise dafür, dass die US-Regierung konkrete Pläne zur Ermordung Julians erörtert und geschmiedet hat, von den britischen Gerichten beiseite gewischt werden, muss man sich fragen, was geschehen müsste, um Objektivität vor Gericht herzustellen. Natürlich wünsche ich mir nichts sehnlicher, als falsch zu liegen: am 21. Februar eine leicht zu begründende Entscheidung zu hören, dass Julian nicht ausgeliefert, sondern freigelassen wird.
Wenn die Berufung, wie zu erwarten ist, abgelehnt wird, was wäre dann der nächste Schritt?
Julian wird sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden und dort eine Eilanordnung beantragen, um das Vereinigte Königreich daran zu hindern, ihn in ein Flugzeug zu setzen.
Sie befürchten, dass Ihr Mann sofort ausgeliefert wird?
Das könnte sein. Julian könnte schon am Tag nach der Anhörung in einem Flugzeug in die USA sitzen, wenn er verliert. Das Vereinigte Königreich würde gegen internationales Recht verstoßen, wenn es sich nicht an den Europäi
schen Gerichtshof für Menschenrechte hält – aber ich halte das nicht für unmöglich.
Ihr Mann ahnte früh, was kommen könnte. Schon im Sommer 2010, als er die Veröffentlichung der Geheimdokumente über Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak vorbereitete, glaubte er, dass die USA ihn verfolgen könnten. War er zu unvorsichtig?
Er war nicht leichtsinnig. Das Spionagegesetz wurde umfunktioniert, um den Journalismus zu kriminalisieren. Es ist das erste Mal, dass ein Journalist auf der Grundlage des Spionagegesetzes strafrechtlich verfolgt wird. Es ist ein Präzedenzfall, der angestrengt wurde, damit die US-Regierung unter Trump ihn als Waffe einsetzen kann, um die Presse einzuschüchtern und Journalisten zu inhaftieren – und nicht nur ihre Quellen. Die USA haben das Spionagegesetz auf eine Weise eingesetzt, wie autoritäre Regime ihre Geheimhaltungsgesetze nutzen, um Journalisten zu verhaften.
Es ist kaum noch die Rede davon, dass Wikileaks Beweise für schwere Kriegsverbrechen veröffentlicht und dass die US-Armee im Irak-Krieg Zivilisten erschossen hat. Warum eigentlich nicht?
Es gab eine konzertierte Aktion, die von den höchsten Ebenen der USRegierung, insbesondere von Militär und Geheimdienst, gefördert wurde, um Julian ins Visier zu nehmen. Ein Bericht von Yahoo News von 2021 enthüllte, wie die CIA eine Operation gegen Julian durchführte, einschließlich der Platzierung erfundener Geschichten. Diese Propagandakampagne auf höchster Ebene dient einem Zweck: von der Tatsache abzulenken, dass er wegen seines Journalismus verfolgt wird.