Drei Erkenntnisse aus dem derzeitigen Masernausbruch
Österreich bleibt ein impfskeptisches Land, die Pandemie hat diese Skepsis nicht verändert. Dafür hat sie etwas anderes erreicht – rasche Erregung.
Sechs in den ersten beiden Wochen des Jahres, 25 in den nächsten beiden, 78 in den Kalenderwochen fünf und sechs sowie 18 in der vergangenen Woche. 129 laborbestätigte Fälle von Masern wurden der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) zufolge bisher in Österreich gemeldet – der Großteil davon in Tirol (44), Wien (35), Niederösterreich (21) und der Steiermark (13).
Vergleichbare Ausbrüche gibt es auch in anderen Ländern Europas. Mit weiteren Infektionen ist zu rechnen, sagen Ärzte. Und raten zur Impfung. Angesichts von 110 Fällen in sieben Wochen ist die Aufmerksamkeit, die die Masern auf sich ziehen, beachtlich.
Keine Folge der Pandemie
In den vergangenen Tagen – und auch schon beim Ausbruch 2023 – war wiederholt die Rede davon, dass die Pandemie der Impfbereitschaft in der Bevölkerung geschadet habe. Zum einen, weil der Impfstoff gegen Covid-19 trotz hoher Wirksamkeit gegen schwere Verläufe im Sinne von Krankenhausaufenthalten nicht das hielt, was sich viele versprochen hatten, nämlich einen Schutz vor Ansteckung; zum anderen, weil die – entgegen vorangegangener Beteuerungen beschlossene und dann doch nicht umgesetzte – allgemeine Impfpflicht sowie der Lockdown für Ungeimpfte zu nachhaltigem Unmut in Teilen der Bevölkerung geführt haben.
Aber: Dieser Schluss ist Spekulation. Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung war auch vor der Pandemie im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gering – was auch bei den Masern zu beobachten war. Tatsächlich gab es bereits 2015 und 2019 jeweils einen großen Ausbruch – mit 309 und 151 Fällen. 2023 waren es 186. Nur 2021 und 2022 wurde in Österreich jeweils nur ein einziger Fall registriert, was den Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie geschuldet ist.
Was allenfalls gesagt werden kann: Während der Pandemie und der damit verbundenen Maßnahmen wie etwa Schulschließungen wurden viele Impfungen notgedrungen verabsäumt und später nachgeholt. Manche Eltern taten das aber nicht – hauptsächlich aus Bequemlichkeit, Selbstzufriedenheit und Unwissenheit. Diesem Umstand die bestehenden Impflücken zuzuschreiben, greift aber zu kurz – denn diese gab es auch vor der Pandemie. Insgesamt beträgt die Impfquote in Österreich 80 Prozent, am höchsten mit rund 95 Prozent ist sie bei den Zehn- bis 18-Jährigen, die größten Lücken hingegen gibt es bei den bis zu Dreijährigen, rund 31.000 Kinder sind nicht vollständig geimpft. Zahlen, die sich nur unwesentlich von jenen vor 2020 unterscheiden.
Gesundheitskompetenz
Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. Komplikationen wie Mittelohr-, Lungen- sowie Gehirnentzündungen und auch Todesfälle können die Folge sein. Dabei hätte dieses Virus schon ausgerottet werden können, wären mindestens 95 Prozent der Bevölkerung geimpft. Dann hätte es keine Möglichkeit, sich auszubreiten, weil eine Impfung (und auch Infektion) eine sogenannte sterile Immunität hinterlässt, also auch vor Ansteckung schützt.
Der Übertragungsweg sind in erster Linie Tröpfchen (Atemluft) und Körperkontakt. Masern sind melde- sowie isolationspflichtig. Die vergleichsweise lange Inkubationszeit von 14 Tagen ist einer der Gründe dafür, warum es lang dauert, bis nach einem Ausbruch die Ausbreitung unter Kontrolle gebracht wird. Denn viele wissen schlichtweg nichts von ihrer Infektion, isolieren sich daher nicht und stecken weitere nicht oder unvollständig Geimpfte an. Ansteckend sind Infizierte rund vier Tage vor Auftreten der ersten Symptome bis vier Tage nach Auftreten des Hautausschlags, der typischerweise aus zahlreichen, teilweise zusammenfließenden roten Punkten besteht. Das Masernvirus ist das ansteckendste überhaupt.
Allesamt Informationen, die dem Großteil der Bevölkerung unbekannt sind und besagte Nachlässigkeiten bei den Impfungen zur Folge haben. Zurückzuführen ist diese Unwissenheit auf eine im Europavergleich erschreckend niedrige Gesundheitskompetenz, die sich auf dem Niveau Bulgariens und der Balkan-Länder bewegt – unter anderem, weil im Schulsystem kaum Wert auf diesen Bereich gelegt wird. Mit Gesundheitskompetenz ist etwa die Fähigkeit gemeint, verlässliche Informationsquellen von weniger verlässlichen zu unterscheiden, oder auch Kenntnisse darüber zu haben, wie man Risikofaktoren für die Entstehung von Krebs reduziert und sich vor Ansteckungen mit gefährlichen Erregern schützt.
Die erregbare Republik
Ein Masernausbruch wie der derzeitige ist immer ernst zu nehmen – vor allem dann, wenn die Zahl der Infektionen nach wie vor steigt und in der Bevölkerung relevante Impflücken bestehen. Ob aber angesichts einer Impfquote von 80 Prozent die jüngste Erregung angebracht ist, kann dennoch infrage gestellt werden – und ist möglicherweise eine Folge der Pandemie, in der die Stimmung (vor allem gegen Ende) besonders polarisiert war. Eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus ist nämlich sehr unwahrscheinlich. Realistischer ist das Szenario, dass die Ausbreitung eher früher als später gestoppt wird – wie schon in der Vergangenheit. Insbesondere nach dem Ausbruch 2023, als die Umstände ganz ähnlich waren wie jetzt und die Zahl der Infektionen letztlich nicht einmal 200 erreicht hat. Eine erste Tendenz ist schon zu erkennen: Wurden in den Kalenderwochen fünf und sechs 40 bzw. 38 Erkrankungen gemeldet, waren es in der Kalenderwoche sieben, also in der vergangenen Woche, nur noch 18.