Vierte Kulturtechnik Informatik
Experten fordern einen Ausbau des Informatik-Unterrichts an der AHS-Oberstufe. Einen Lehrplanentwurf gibt es bereits, die Umsetzung lässt auf sich warten.
Wien. „Fake News erkennen“, das ist spätestens seit der Coronapandemie vielen Schülern, Eltern und Lehrkräften besonders wichtig, wenn es darum geht, sich gut durch den digitalen Raum zu bewegen. Die Kriegssituationen in der Ukraine und im Nahen Osten haben die Brisanz dieses Themas zusätzlich verstärkt.
Doch der Umgang mit Informationstechnologien beinhaltet noch viel mehr – zu wissen, wie Algorithmen funktionieren, etwa, oder auch tatsächliche technische Fähigkeiten. Darauf soll auch im Unterricht der Oberstufen der Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS) zukünftig stärker Rücksicht genommen werden.
Aktuell verhält es sich so: Die digitale Grundbildung ist seit diesem Schuljahr bereits Pflichtfach in der AHS-Unterstufe und der Mittelschule. Dabei sollen digitale Kompetenzen und Medienbildung vermittelt werden. Für Schülerinnen und Schüler, die als Absolventen der Digitalen Grundbildung aus der Unterstufe kommen, werden dann erweiternde und vertiefende Lehrinhalte geboten. Da es sich um einen Rahmenlehrplan handle, böten diese Themenfelder „vielfache Anknüpfungsmöglichkeiten an die Digitale Grundbildung der Unterstufe und zugleich die Möglichkeit zu evaluieren, welche Weiterentwicklungen im Bereich Informatik und Digitale Bildung in einem weiteren Schritt sinnvoll und notwendig sind“, heißt es aus dem Bildungsministerium.
Erweiterung auf vier Stunden?
Der Lehrplan der AHS-Oberstufe sieht aktuell zwei Stunden Informatik als Pflichtfach in der fünften Klasse vor. Daraus könnten zukünftig aber mehr werden. Der „Presse“liegt ein Informatik-Lehrplanentwurf aus dem November 2023 vor. Darin sind vier Stunden Informatik, aufgeteilt auf die vier Jahre Oberstufe, vorgesehen. Nur: Wie weit man bei der Umsetzung der entsprechenden Verordnung ist, das weiß niemand. Auch das Bildungsministerium lässt die Frage nach dem Zeithorizont auf Anfrage unbeantwortet.
Das wiederum stört die Neos. „Mit der Einführung des Fachs Digitale Grundbildung in der Mittelschule und AHS-Unterstufe ist die Regierung wieder einmal auf halbem Weg stecken geblieben. Wir brauchen Informatik als Maturafach und durchgängigen Unterricht in allen Schulstufen“, sagt die pinke Bildungssprecherin, Martina Künsberg Sarre. Digitale Skills und ein Verständnis für die Funktionsweisen von künstlicher Intelligenz seien auch unabhängig von der Berufswahl wichtig, um auf ein Lebens als mündige Bürgerinnen und Bürger vorbereitet zu sein.
Dringend zur Umsetzung des Lehrplanentwurfs ruft auch Gerti Kappel auf. Sie ist Dekanin der Fakultät für Informatik an der Technischen Universität Wien. Im Gespräch mit der „Presse“erklärt sie, der richtige Umgang mit Informationen und Informationstechnologien sei mittlerweile neben Lesen, Schreiben und Rechnen zur vierten entscheidenden Kulturtechnik geworden. „Informatik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber noch nicht in der Mitte der Schule“, sagt sie.
Auf vier Stunden Pflichtgegenstand in der AHS-Oberstufe aufzustocken, sei daher ein wichtiger Schritt – „noch besser wären sechs“, sagt die Dekanin. Ob pro Woche eine Stunde unterrichtet werden soll oder etwa geblockt alle zwei Wochen zwei Stunden, sollten die Schulen dann selbst entscheiden. Auch die Möglichkeit, in Informatik zu maturieren, fordert Kappel ein. Das würde dem Fach eine ganz andere Reputation bei Schülern, aber auch bei den Lehrkräften, einbringen.
Auf fachlicher Ebene gebe es längst Konsens darüber, dass eine Ausweitung des Informatik-Unterrichts an der AHS-Oberstufe wichtig sei, um die Herausforderungen der modernen Welt bewältigen zu können und sich auch der Gefahren, die die Digitalisierung mit sich bringt, bewusst zu sein – von Überwachung bis zum Verschwinden alter Tätigkeitsfelder.
Volkswirtschaftlicher Nutzen
Doch auch außerhalb von Fachkreisen glaubt Kappel immer mehr Konsens zu mehr Informatik-Unterricht an Gymnasien zu erkennen. In Österreich und Mitteleuropa gebe es auch aus volkswirtschaftlicher Sicht eine große Nachfrage in diesem Feld. Wenn das Fach in der Schule zu kurz komme und Jugendliche ihre Lehrer nicht als Vorbilder wahrnehmen, die ihnen Begeisterung für Informatik vermitteln, würden sie sich weniger wahrscheinlich für ein einschlägiges Studium entscheiden. Das sei auch wichtig, um vor allem Frauen in sogenannte Mint-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) zu holen. Im asiatischen Raum seien sie hier bereits viel öfter vertreten. Österreich habe auch im Unterschied zu den skandinavischen Ländern oder Großbritannien massiven Aufholbedarf. Anbringen will Kappel alle diese Punkte Anfang März bei einem Termin im Bildungsministerium.