Das Ende der unbefristeten Mietverträge?
Brauneis Rechtsanwälte berät bei Real Estate, Corporate & Commercial und Litigation. Philipp Sebesta und Georg Steindl-Tomschizek aus dem Immobilienteam über die neueste Judikatur im Mietrecht.
Die Presse: In letzter Zeit versetzten zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (OGH) die Rechtswelt in Aufruhr. Worum geht es konkret? Philipp Sebesta: Im vergangenen Jahr traf der OGH zwei richtungsweisende Entscheidungen zu Wertsicherungsklauseln in Verbrauchermietverträgen, die aus verschiedenen Gesichtspunkten die bekannte Mietvertragspraxis auf den Kopf stellen. Im Kern geht es um zwei Klauseln, die der OGH als kritisch hervorgehoben hat: In seiner Entscheidung zu 2 Ob 36/23t erachtete der OGH eine sogenannte „Index-Ersatz-Klausel“für unklar im Sinne des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG). Die überprüfte Klausel sah vor, dass, sollte der Verbraucherpreisindex (VPI) einmal nicht mehr verlautbart werden, ein Index, „der diesem Index am meisten entspricht“, als Grundlage für die Wertsicherung dienen soll. Laut OGH bleibt es durch diese Bestimmung unklar, welcher Wertmesser für die Preisanpassung bei Wegfall des VPI maßgeblich sein soll. Die Klausel müsse daher im Sinne des KSchG unangewendet bleiben. Georg Steindl-Tomschizek: In einem Beisatz sprach der OGH bereits in dieser Entscheidung aus, dass Wertsicherungsklauseln, die nicht im Einzelnen ausverhandelt wurden, in Mietverträgen im Sinne des KSchG ferner unzulässig sind, wenn bei kundenfeindlichster Auslegung der Klausel schon innerhalb der ersten zwei Monate nach Vertragsschluss eine Entgeltänderung eintreten könnte. Die zweite Entscheidung (8 Ob 37/23h) bestätigte die bereits in der oben zitierten Entscheidung getätigte Aussage des OGH betreffend die Unzulässigkeit einer Wertsicherungsklausel, wenn eine Anhebung des Hauptmietzinses innerhalb der ersten zwei Monate nach Vertragsabschluss nicht ausgeschlossen ist.
Welche Folgen haben diese Entscheidungen für die bestehenden Wertsicherungsklauseln in laufenden Mietverträgen?
Steindl-Tomschizek: Alledem ist vorauszuschicken, dass die beiden angesprochenen OGH-Entscheidungen in Verbandsprozessen ergangen sind, in denen die Beurteilung der Klauseln immer in der „kundenfeindlichsten Auslegung“zu erfolgen hat, demgegenüber im Einzelfall die allgemeinen Auslegungsregeln des ABGB (§§ 914, 915 ABGB) zur Vertragsauslegung heranzuziehen sind. Beide Entscheidungen sind im Zusammenspiel mit der EuGH-Judikatur zur Klausel-Richtlinie brisant, als demnach argumentiert werden könnte, dass nicht nur der überschießende und eigentlich strittige Teil der betroffenen Klauseln wegfällt, sondern die gesamte Klausel zu entfallen hat. Im Ergebnis bliebe der Vertrag ohne Wertsicherungsklausel aufrecht. Sebesta: Diese drohende Folge führte in der Branche unweigerlich zu großer Aufregung, weil Vermieter sich dadurch mit der Situation konfrontiert sähen, dass sie teilweise vor Mietverträgen stehen, deren Hauptmietzinse nun aufgrund der Entscheidungen nicht mehr wertgesichert wären. Besonders gravierend ist diese Folge bei unbefristeten und im Anwendungsbereich des MRG kaum auflösbaren Mietverträgen. Ohne vertragliche Wertsicherung müsste damit über die Vertragslaufzeit stets jener Hauptmietzins vorgeschrieben werden, der bei Anmietung ursprünglich vereinbart wurde. Dadurch drohen auch Rückforderungsansprüche von Mietern für sämtliche Erhöhungsbeträge aufgrund der Wertsicherung der vergangenen Jahre.
Das ist ein beunruhigender Ausblick für Vermieter . . .
Steindl-Tomschizek: Richtig ist, dass die momentane Judikaturlage zu erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen führen könnte. Ein Kritikpunkt liegt dabei in der Außerachtlassung des Zwecks von Wertsicherungsklauseln, der in der Sicherstellung eines andauernd angemessenen Entgelts für eine andauernde Leistung (die Zurverfügungstellung des Mietobjekts) besteht, weshalb gerade keine einseitige Entgelterhöhung durch den Vermieter vorgesehen ist. Es kann durch Wertsicherungsklauseln ja nicht nur zu Erhöhungen, sondern naturgemäß auch zu Senkungen des Hauptmietzinses kommen. Entgeltänderungen durch eine vereinbarte Wertsicherung geschehen auch nicht durch den Willen einer Vertragspartei, sondern sind diesem gerade entzogen. Die Veränderung des Entgelts (Hauptmietzinses) erfolgt anhand der konjunkturellen Entwicklung, festgehalten im Verbraucherpreisindex, der ja auch einen Gradmesser für viele weitere Bereiche unseres Lebens darstellt. Folglich können durch die Vereinbarung einer Wertsicherung keine willkürlichen Entgelterhöhungen vorgenommen werden, vor denen das KSchG die Verbraucher schützen möchte. Zum Schutz vor überhöhten Hauptmietzinsen
bestehen ohnehin gesetzliche Regularien, wie die im MRG (Vollanwendungsbereich) vorgesehene Möglichkeit zur Hauptmietzinsüberprüfung im Zuge eines Schlichtungsstellen- oder gerichtlichen Verfahrens. Hingegen könnte der Vermieter bei Wegfall der Wertsicherung vor dem Ergebnis stehen, dass er über eine fortgesetzte Vertragsdauer gerade kein angemessenes Entgelt mehr für das Mietobjekt erhält und er damit einhergehend eine Entwertung seines Mietobjektes sowohl bei Vermietung als auch beim Verkauf hinnehmen muss. Schließlich orientieren sich Immobilienbewertungen im geplanten Verkaufsfall bei vermieteten Objekten auch an den zu erzielenden Mieteinnahmen.
Sebesta: Ein vorsichtiger Vermieter könnte angesichts der im Zusammenhang mit Wertsicherungsklauseln drohenden Folgen zu dem Schluss kommen, keine Mietverträge mehr abzuschließen, die über die gesetzliche Mindestvertragsdauer hinausgehen, da einerseits der Werterhalt auf dem Prüfstand steht und andererseits auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass in Zukunft Wertsicherungsklauseln grundsätzlich für unzulässig erklärt werden und damit unangewendet bleiben müssten.
Immobilienbewertungen sind in Folge von Insolvenzen gerade in aller Munde. Gibt es hier Auswirkungen für die Bewertung in Unternehmen?
Sebesta: Natürlich stellt sich die Frage, ob bilanzierende Vermieter die Bewertung ihrer Immobilien in den Bilanzen nicht vorsorglich anzupassen hätten, um Haftungen im Zusammenhang mit Bewertungsfehlern vorzubeugen. Werden nun Immobilienvermögen zu hoch bewertet und in den Jahresabschluss in diesem Sinne „überhöht“aufgenommen, könnte dies zur Nichtigkeit dieser Jahresabschlüsse führen, was wiederum die Gesellschafter zum Rückersatz der erhaltenen Dividenden verpflichten könnte. Da unter Umständen auch die Leitungsorgane der Gesellschaften für den Rückersatz allenfalls zu Unrecht veranlasster Dividendenzahlungen haften könnten, sollte dieses Thema nicht unterschätzt werden.
Wie sind Sie in Ihrer anwaltlichen Praxis aktuell mit dieser Thematik konfrontiert?
Steindl-Tomschizek: Vermieter kommen nun laufend mit Forderungen von Mietern zu uns, die pauschal und ohne Konkretisierung die Erhöhungsbeträge aus der Wertsicherung für die Vergangenheit zurückfordern und zugleich für die Zukunft die Zahlung des bei Vertragsbeginn vereinbarten (nicht mehr wertgesicherten) Hauptmietzinses ankündigen.
Und welche Argumente sprechen nun für oder gegen diese Forderungen der Mieter?
Sebesta: Allgemein wird in einem gerichtlichen Verfahren zu überprüfen sein, ob ein Hauptmietzins ohne entsprechende Wertsicherung (insbesondere bei unbefristeten Mietverträgen) von den Parteien bei Vertragsabschluss überhaupt nur angedacht gewesen sein könnte. Nach derzeitigem Meinungsstand ist ferner strittig, ob die Rückforderbarkeit allenfalls zu Unrecht eingehobener Wertsicherungen für drei Jahre oder gar für dreißig Jahre möglich sein soll. Der OGH entschied dazu in der Vergangenheit, dass für die Rückforderung von zu Unrecht eingehobenen „Mietbetreffnissen“(also sämtlichen aus dem Mietverhältnis entspringenden Ansprüchen) für Objekte, die dem MRG unterliegen, jedenfalls die dreijährige Verjährungsfrist zu gelten habe (8 Ob 12/13t). Im Einzelfall muss im Lichte der beiden OGHEntscheidungen stets überprüft werden, ob einerseits eine vom KSchG verpönte Entgelterhöhung in den ersten zwei Monaten laut Mietvertrag vertraglich ausgeschlossen ist, und andererseits wie die Index-Ersatz-Klausel konkret formuliert ist. Abschließend bleibt festzuhalten, dass gerade das Mietrecht eine höchst vielschichtige Rechtsmaterie darstellt und viele Variablen beinhaltet, weshalb jeder Vertrag und jede Forderung im Einzelfall zu überprüfen sind.
‘‘ „Immobilienbewertungen orientieren sich im geplanten Verkaufsfall bei vermieteten Objekten auch an den zu erzielenden Mieteinnahmen.“Georg Steindl-Tomschizek Brauneis Rechtsanwälte
‘‘ „Ein vorsichtiger Vermieter könnte zu dem Schluss kommen, keine Mietverträge über die gesetzliche Mindestvertragsdauer hinaus mehr abzuschließen.“Philipp Sebesta Brauneis Rechtsanwälte