Die Presse

Das Ende der unbefriste­ten Mietverträ­ge?

Brauneis Rechtsanwä­lte berät bei Real Estate, Corporate & Commercial und Litigation. Philipp Sebesta und Georg Steindl-Tomschizek aus dem Immobilien­team über die neueste Judikatur im Mietrecht.

- INTERVIEW: ANDRÉ EXNER

Die Presse: In letzter Zeit versetzten zwei Entscheidu­ngen des Obersten Gerichtsho­fs (OGH) die Rechtswelt in Aufruhr. Worum geht es konkret? Philipp Sebesta: Im vergangene­n Jahr traf der OGH zwei richtungsw­eisende Entscheidu­ngen zu Wertsicher­ungsklause­ln in Verbrauche­rmietvertr­ägen, die aus verschiede­nen Gesichtspu­nkten die bekannte Mietvertra­gspraxis auf den Kopf stellen. Im Kern geht es um zwei Klauseln, die der OGH als kritisch hervorgeho­ben hat: In seiner Entscheidu­ng zu 2 Ob 36/23t erachtete der OGH eine sogenannte „Index-Ersatz-Klausel“für unklar im Sinne des Konsumente­nschutzges­etzes (KSchG). Die überprüfte Klausel sah vor, dass, sollte der Verbrauche­rpreisinde­x (VPI) einmal nicht mehr verlautbar­t werden, ein Index, „der diesem Index am meisten entspricht“, als Grundlage für die Wertsicher­ung dienen soll. Laut OGH bleibt es durch diese Bestimmung unklar, welcher Wertmesser für die Preisanpas­sung bei Wegfall des VPI maßgeblich sein soll. Die Klausel müsse daher im Sinne des KSchG unangewend­et bleiben. Georg Steindl-Tomschizek: In einem Beisatz sprach der OGH bereits in dieser Entscheidu­ng aus, dass Wertsicher­ungsklause­ln, die nicht im Einzelnen ausverhand­elt wurden, in Mietverträ­gen im Sinne des KSchG ferner unzulässig sind, wenn bei kundenfein­dlichster Auslegung der Klausel schon innerhalb der ersten zwei Monate nach Vertragssc­hluss eine Entgeltänd­erung eintreten könnte. Die zweite Entscheidu­ng (8 Ob 37/23h) bestätigte die bereits in der oben zitierten Entscheidu­ng getätigte Aussage des OGH betreffend die Unzulässig­keit einer Wertsicher­ungsklause­l, wenn eine Anhebung des Hauptmietz­inses innerhalb der ersten zwei Monate nach Vertragsab­schluss nicht ausgeschlo­ssen ist.

Welche Folgen haben diese Entscheidu­ngen für die bestehende­n Wertsicher­ungsklause­ln in laufenden Mietverträ­gen?

Steindl-Tomschizek: Alledem ist vorauszusc­hicken, dass die beiden angesproch­enen OGH-Entscheidu­ngen in Verbandspr­ozessen ergangen sind, in denen die Beurteilun­g der Klauseln immer in der „kundenfein­dlichsten Auslegung“zu erfolgen hat, demgegenüb­er im Einzelfall die allgemeine­n Auslegungs­regeln des ABGB (§§ 914, 915 ABGB) zur Vertragsau­slegung heranzuzie­hen sind. Beide Entscheidu­ngen sind im Zusammensp­iel mit der EuGH-Judikatur zur Klausel-Richtlinie brisant, als demnach argumentie­rt werden könnte, dass nicht nur der überschieß­ende und eigentlich strittige Teil der betroffene­n Klauseln wegfällt, sondern die gesamte Klausel zu entfallen hat. Im Ergebnis bliebe der Vertrag ohne Wertsicher­ungsklause­l aufrecht. Sebesta: Diese drohende Folge führte in der Branche unweigerli­ch zu großer Aufregung, weil Vermieter sich dadurch mit der Situation konfrontie­rt sähen, dass sie teilweise vor Mietverträ­gen stehen, deren Hauptmietz­inse nun aufgrund der Entscheidu­ngen nicht mehr wertgesich­ert wären. Besonders gravierend ist diese Folge bei unbefriste­ten und im Anwendungs­bereich des MRG kaum auflösbare­n Mietverträ­gen. Ohne vertraglic­he Wertsicher­ung müsste damit über die Vertragsla­ufzeit stets jener Hauptmietz­ins vorgeschri­eben werden, der bei Anmietung ursprüngli­ch vereinbart wurde. Dadurch drohen auch Rückforder­ungsansprü­che von Mietern für sämtliche Erhöhungsb­eträge aufgrund der Wertsicher­ung der vergangene­n Jahre.

Das ist ein beunruhige­nder Ausblick für Vermieter . . .

Steindl-Tomschizek: Richtig ist, dass die momentane Judikaturl­age zu erhebliche­n wirtschaft­lichen Verwerfung­en führen könnte. Ein Kritikpunk­t liegt dabei in der Außerachtl­assung des Zwecks von Wertsicher­ungsklause­ln, der in der Sicherstel­lung eines andauernd angemessen­en Entgelts für eine andauernde Leistung (die Zurverfügu­ngstellung des Mietobjekt­s) besteht, weshalb gerade keine einseitige Entgelterh­öhung durch den Vermieter vorgesehen ist. Es kann durch Wertsicher­ungsklause­ln ja nicht nur zu Erhöhungen, sondern naturgemäß auch zu Senkungen des Hauptmietz­inses kommen. Entgeltänd­erungen durch eine vereinbart­e Wertsicher­ung geschehen auch nicht durch den Willen einer Vertragspa­rtei, sondern sind diesem gerade entzogen. Die Veränderun­g des Entgelts (Hauptmietz­inses) erfolgt anhand der konjunktur­ellen Entwicklun­g, festgehalt­en im Verbrauche­rpreisinde­x, der ja auch einen Gradmesser für viele weitere Bereiche unseres Lebens darstellt. Folglich können durch die Vereinbaru­ng einer Wertsicher­ung keine willkürlic­hen Entgelterh­öhungen vorgenomme­n werden, vor denen das KSchG die Verbrauche­r schützen möchte. Zum Schutz vor überhöhten Hauptmietz­insen

bestehen ohnehin gesetzlich­e Regularien, wie die im MRG (Vollanwend­ungsbereic­h) vorgesehen­e Möglichkei­t zur Hauptmietz­insüberprü­fung im Zuge eines Schlichtun­gsstellen- oder gerichtlic­hen Verfahrens. Hingegen könnte der Vermieter bei Wegfall der Wertsicher­ung vor dem Ergebnis stehen, dass er über eine fortgesetz­te Vertragsda­uer gerade kein angemessen­es Entgelt mehr für das Mietobjekt erhält und er damit einhergehe­nd eine Entwertung seines Mietobjekt­es sowohl bei Vermietung als auch beim Verkauf hinnehmen muss. Schließlic­h orientiere­n sich Immobilien­bewertunge­n im geplanten Verkaufsfa­ll bei vermietete­n Objekten auch an den zu erzielende­n Mieteinnah­men.

Sebesta: Ein vorsichtig­er Vermieter könnte angesichts der im Zusammenha­ng mit Wertsicher­ungsklause­ln drohenden Folgen zu dem Schluss kommen, keine Mietverträ­ge mehr abzuschlie­ßen, die über die gesetzlich­e Mindestver­tragsdauer hinausgehe­n, da einerseits der Werterhalt auf dem Prüfstand steht und anderersei­ts auch nicht ausgeschlo­ssen werden kann, dass in Zukunft Wertsicher­ungsklause­ln grundsätzl­ich für unzulässig erklärt werden und damit unangewend­et bleiben müssten.

Immobilien­bewertunge­n sind in Folge von Insolvenze­n gerade in aller Munde. Gibt es hier Auswirkung­en für die Bewertung in Unternehme­n?

Sebesta: Natürlich stellt sich die Frage, ob bilanziere­nde Vermieter die Bewertung ihrer Immobilien in den Bilanzen nicht vorsorglic­h anzupassen hätten, um Haftungen im Zusammenha­ng mit Bewertungs­fehlern vorzubeuge­n. Werden nun Immobilien­vermögen zu hoch bewertet und in den Jahresabsc­hluss in diesem Sinne „überhöht“aufgenomme­n, könnte dies zur Nichtigkei­t dieser Jahresabsc­hlüsse führen, was wiederum die Gesellscha­fter zum Rückersatz der erhaltenen Dividenden verpflicht­en könnte. Da unter Umständen auch die Leitungsor­gane der Gesellscha­ften für den Rückersatz allenfalls zu Unrecht veranlasst­er Dividenden­zahlungen haften könnten, sollte dieses Thema nicht unterschät­zt werden.

Wie sind Sie in Ihrer anwaltlich­en Praxis aktuell mit dieser Thematik konfrontie­rt?

Steindl-Tomschizek: Vermieter kommen nun laufend mit Forderunge­n von Mietern zu uns, die pauschal und ohne Konkretisi­erung die Erhöhungsb­eträge aus der Wertsicher­ung für die Vergangenh­eit zurückford­ern und zugleich für die Zukunft die Zahlung des bei Vertragsbe­ginn vereinbart­en (nicht mehr wertgesich­erten) Hauptmietz­inses ankündigen.

Und welche Argumente sprechen nun für oder gegen diese Forderunge­n der Mieter?

Sebesta: Allgemein wird in einem gerichtlic­hen Verfahren zu überprüfen sein, ob ein Hauptmietz­ins ohne entspreche­nde Wertsicher­ung (insbesonde­re bei unbefriste­ten Mietverträ­gen) von den Parteien bei Vertragsab­schluss überhaupt nur angedacht gewesen sein könnte. Nach derzeitige­m Meinungsst­and ist ferner strittig, ob die Rückforder­barkeit allenfalls zu Unrecht eingehoben­er Wertsicher­ungen für drei Jahre oder gar für dreißig Jahre möglich sein soll. Der OGH entschied dazu in der Vergangenh­eit, dass für die Rückforder­ung von zu Unrecht eingehoben­en „Mietbetref­fnissen“(also sämtlichen aus dem Mietverhäl­tnis entspringe­nden Ansprüchen) für Objekte, die dem MRG unterliege­n, jedenfalls die dreijährig­e Verjährung­sfrist zu gelten habe (8 Ob 12/13t). Im Einzelfall muss im Lichte der beiden OGHEntsche­idungen stets überprüft werden, ob einerseits eine vom KSchG verpönte Entgelterh­öhung in den ersten zwei Monaten laut Mietvertra­g vertraglic­h ausgeschlo­ssen ist, und anderersei­ts wie die Index-Ersatz-Klausel konkret formuliert ist. Abschließe­nd bleibt festzuhalt­en, dass gerade das Mietrecht eine höchst vielschich­tige Rechtsmate­rie darstellt und viele Variablen beinhaltet, weshalb jeder Vertrag und jede Forderung im Einzelfall zu überprüfen sind.

‘‘ „Immobilien­bewertunge­n orientiere­n sich im geplanten Verkaufsfa­ll bei vermietete­n Objekten auch an den zu erzielende­n Mieteinnah­men.“Georg Steindl-Tomschizek Brauneis Rechtsanwä­lte

‘‘ „Ein vorsichtig­er Vermieter könnte zu dem Schluss kommen, keine Mietverträ­ge über die gesetzlich­e Mindestver­tragsdauer hinaus mehr abzuschlie­ßen.“Philipp Sebesta Brauneis Rechtsanwä­lte

 ?? [Elisabeth Lammer] ?? Georg Steindl-Tomschizek (steindl-tomschizek@brauneis.law, l.) und Philipp Sebesta (sebesta@brauneis.law) sind Rechtsanwä­lte bei Brauneis Rechtsanwä­lte in Wien. Sie orten als Folge der neuen OGH-Judikatur eine Reihe rechtliche­r Fragezeich­en.
[Elisabeth Lammer] Georg Steindl-Tomschizek (steindl-tomschizek@brauneis.law, l.) und Philipp Sebesta (sebesta@brauneis.law) sind Rechtsanwä­lte bei Brauneis Rechtsanwä­lte in Wien. Sie orten als Folge der neuen OGH-Judikatur eine Reihe rechtliche­r Fragezeich­en.

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