Experten warnen vor Wohnbaukrise
Der Zinsanstieg hat Wohnbauprojekte unrentabel gemacht. In vielen europäischen Ländern sinkt die Zahl neu errichteter Wohneinheiten drastisch.
Berlin. In Europa wird immer weniger in den Wohnbau investiert. Die Investitionen in neue Wohngebäude werden 2026 um 6,4 Prozent niedriger ausfallen als 2023, teilte das Ifo-Institut mit Sitz in München mit. Es verwies dabei auf Prognosen der Forschergruppe Euroconstruct, der das Ifo-Institut angehört. In Europa wird die Zahl der fertiggestellten Wohnungen demnach bis 2026 nur noch bei gut 1,5 Millionen Einheiten liegen – ein Minus von 13 Prozent gegenüber 2023.
Besonders schwierig ist die Lage in Schweden mit einem Minus von 47 Prozent. Als Gründe dafür gelten stark gestiegenen Baukosten, teure Kredite sowie weniger finanzielle Spielräume der Privathaushalte, wie Ifo-Experte Ludwig Dorffmeister sagte.
Auch die deutsche Regierung wird ihr Wohnungsbauziel nach Prognose der sogenannten Immobilienweisen deutlich verfehlen. „Die Krise ist tiefer, als die Baufertigstellungsund Baugenehmigungszahlen bislang zeigen“, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Frühjahrsgutachten.
Noch zehre der Wohnungsbau von Projekten, die vor den deutlichen Zinserhöhungen begonnen worden seien. Angesichts der eingebrochenen Genehmigungszahlen und unter Berücksichtigung der Bauzeiten dürften die Fertigstellungen voraussichtlich bis auf 150.000 pro Jahr sinken.
Die von der deutschen Regierung angestrebte Marke von 400.000 rückt damit in weite Ferne. 2023 wurde diese Schätzungen zufolge mit etwa 270.000 ebenfalls klar verfehlt. „Mit den aktuellen Niveaus von Zinsen, Baulandpreisen, Baukosten und Mieten rechnet sich der Neubau von Wohnungen nicht“, warnen die Experten. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), der das Gutachten an die deutsche Bauministerin Klara Geywitz übergab, sprach vor einem sozialen Debakel. In Deutschland fehlten bereits heuer mehr als 600.000 Wohnungen. Bis zum kommenden Jahr steige diese Zahl auf 720.000, bis 2027 sogar auf 830.000.
„Wer baut, geht bankrott“
Durch die gestiegenen Zinsen seien Wohnungsbauprojekte unwirtschaftlich geworden, sagte der Immobilienweise Harald Simons. Eine „schwarze Null“bei Neuentwicklungen wird dem ZIA zufolge erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro pro Quadratmeter erzielt. „Das ist nicht möglich“, sagte ZIA-Präsident Andreas Mattner. „Wer also baut, geht bankrott.“
Der ZIA schlägt etwa ein Programm der staatlichen Förderbank KfW vor, das die Marktzinsen auf zwei Prozent reduzieren soll. Auch ein temporärer Verzicht auf die Grunderwerbsteuer oder kommunale Abschöpfungen beim Wohnungsbau wären „der Superturbo“, sagte Mattner. (APA/Reuters)