Bayer: Die vielen Baustellen des Pharmariesen
Der deutsche Konzern streicht seine Dividende dramatisch zusammen. Das ist Ausdruck der Probleme, die es bei dem Unternehmen gibt.
Die Nachricht ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs: Der deutsche Pharma- und Chemiekonzern Bayer streicht seine Dividende für die kommenden drei Jahre zusammen. Aktionäre werden künftig lediglich das gesetzliche Minimum von 0,11 Euro je Anteilsschein erhalten, wie das Unternehmen am Montagabend bekannt gab. Das deutsche Aktiengesetz räumt Anlegern die Anfechtung über die Verwendung des Bilanzgewinnns und eine Art Mindestdividende von vier Prozent des Grundkapitals ein. Statt 2,40 Euro (2022) gibt es nun also 95 Prozent weniger. Seit 2013 hat das Unternehmen immer mindestens zwei Euro je Aktie ausbezahlt.
Die Konzernspitze scheint sich die Streichung seiner Gewinnausschüttung jedenfalls nicht leicht gemacht zu haben. In einer Aussendung wird von einer Entscheidung nach „reiflicher Überlegung“gesprochen. Den Berechnungen der Analysten von Jefferies zufolge erspart sich der Konzern so aber fast sieben Mrd. Euro für drei Jahre. Und Einsparungen hat das Unternehmen auch bitter nötig.
Bayer sitzt auf einem Schuldenberg von 38,7 Milliarden Euro und möchte diese Last endlich abtragen. Zumal die Kombination mit hohen Zinsen und einer „angespannten Situation beim Free Cash Flow“nicht gerade optimal erscheint. Der Free Cash Flow ist jene Liquidität, die übrig bleibt, wenn die Auszahlungen für Investitionen und das operative Geschäft bereits abgezogen sind – sie steht unter anderem für Dividenden zur Verfügung. Der Wert war in den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 mit 2,9 Mrd. Euro allerdings negativ.
Der Konzern mit Sitz in Leverkusen zählte einst zum wertvollsten Unternehmen des Frankfurter Leitindex DAX. Davon ist mittlerweile aber nicht mehr viel zu sehen. Seit das Papier im Jahr 2015 ein Kurshoch von rund 137 Euro erreichte, fiel der Wert um rund 80 Prozent – auf nun 29 Euro. Die Marktkapitalisierung beläuft sich auf nur noch 28 Mrd. Euro, womit der Chemieriese im Mittelfeld der deutschen Börsenschwergewichte liegt. Zum Vergleich: Der Softwarekonzern SAP ist mit rund 193 Mrd. Euro fast siebenmal so viel wert.
Lange Liste an Problemen
Zu schaffen macht dem Unternehmen nach wie vor die im Jahr 2018 vollzogene Übernahme des Chemieriesen Monsanto. Der Kauf des US-Herstellers von Glyphosat kostetet über 60 Mrd. Dollar und brachte vor allem eines: viele Klagen. Die Rechtsstreitigkeiten sind in erster Linie ein Klotz am Bein, der bisher mehrere Milliarden Euro an Kosten verursachte. Ausgestanden sind die Prozesse nach wie vor nicht, in den USA sind Zehntausende der angemeldeten Ansprüche offen.
Glyphosat wurde von den Behörden weltweit zwar als nicht krebserregend eingestuft. Die Krebsforschungsagentur IARC (der WHO) sieht das aber anders
und bezeichnete den Unkrautvernichter 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“. Zuletzt wurde die Sparte Crop Science jedenfalls von „erheblichen“Preisrückgängen bei glyphosathaltigen Produkten in allen Regionen belastet, die auch durch höhere Mengen nicht wettgemacht werden konnten. Der Umsatz nach drei Quartalen lag um zehn Prozent unter dem Vorjahreswert.
Und auch in der Pharmasparte ist die Lage durchaus herausfordernd. Das Unternehmen hat mit Xarelto, zur Hemmung der Blutgerinnung, und Eylea (das bei Netzhauterkrankungen zum Einsatz kommt) zwar zwei Kassenschlager im Repertoire, die jährlich mehrere Milliarden umsetzen. Aber ähnlich lukrative Nachfolgepräparate sind nicht in Sicht. Erst im November kassierte das Unternehmen bei seinem wichtigsten Hoffnungsträger, dem Gerinnungshemmer Asundexian, eine herbe Niederlage. Die entscheidende Phase-3-Studie musste mangels Wirksamkeit auf Empfehlung eines unabhängigen Kontrollgremiums abgebrochen werden. Fondsmanager Markus Mann vom Großaktionär Union Investment sagte damals: „Das ist ein heftiger Rückschlag für Bayer. Asundexian war die Perle in Bayers Pharma-Pipeline, und ohne den Wirkstoff steht die Pharmasparte ohne nachhaltiges Wachstum da.“Die Aktie brach an dem Tag so stark ein wie seit über drei Jahrzehnten nicht.
Alle Hoffnung liegt beim CEO
Bill Anderson soll nun das Ruder des Aspirin-Herstellers herumreißen und aus der Baustelle Bayer wieder einen Vorzeigekonzern machen. Seit Juni des Vorjahres steht der gebürtige Texaner an der Spitze des Unternehmens. Anfang März will der Konzern auf seinem Kapitalmarkttag in London präsentieren, wo die Reise hingehen soll. Einen Vorgeschmack darauf gab es in den vergangenen Monaten immer wieder. Auch darauf, dass die weltweit 100.000 Mitarbeiter davon betroffen sein werden.
Vor allem den Speck, den Bayer über die Jahre im Management angesetzt hat, will man herausnehmen, um Prozesse zu beschleunigen. In den USA habe dies im Pharmageschäft bereits dazu geführt, dass Entscheidungen inzwischen unmittelbar gefällt werden und nicht mehr drei bis sechs Monate dauern, erzählte ein Manager jüngst. Und auch in Asien stellten sich nach der Reduktion von Führungsebenen relativ rasch Erfolge ein. Zwölf Ebenen zwischen dem Vorstand und dem Kunden seien „einfach zu viel“, hatte der studierte Chemieingenieur Anderson schon im November gesagt. Und anstatt jährlich zu budgetieren, sollen die Abstände auf 90 Tage verringert werden.
Auch von einer Aufspaltung war bereits die Rede, davon dürfte man inzwischen aber abgekommen sein. Eine „radikale Neuausrichtung“wird es laut Anderson jedoch allemal geben. Dass Bayers früherer langjähriger Vorstandsvorsitzender Werner Baumann das Unternehmen seiner Meinung nach „sehr gut aufgestellt“an Anderson übergeben hat, war wohl vor allem eines: eine Fehleinschätzung.