Die Presse

Bayer: Die vielen Baustellen des Pharmaries­en

Der deutsche Konzern streicht seine Dividende dramatisch zusammen. Das ist Ausdruck der Probleme, die es bei dem Unternehme­n gibt.

- VON NICOLE STERN

Die Nachricht ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs: Der deutsche Pharma- und Chemiekonz­ern Bayer streicht seine Dividende für die kommenden drei Jahre zusammen. Aktionäre werden künftig lediglich das gesetzlich­e Minimum von 0,11 Euro je Anteilssch­ein erhalten, wie das Unternehme­n am Montagaben­d bekannt gab. Das deutsche Aktiengese­tz räumt Anlegern die Anfechtung über die Verwendung des Bilanzgewi­nnns und eine Art Mindestdiv­idende von vier Prozent des Grundkapit­als ein. Statt 2,40 Euro (2022) gibt es nun also 95 Prozent weniger. Seit 2013 hat das Unternehme­n immer mindestens zwei Euro je Aktie ausbezahlt.

Die Konzernspi­tze scheint sich die Streichung seiner Gewinnauss­chüttung jedenfalls nicht leicht gemacht zu haben. In einer Aussendung wird von einer Entscheidu­ng nach „reiflicher Überlegung“gesprochen. Den Berechnung­en der Analysten von Jefferies zufolge erspart sich der Konzern so aber fast sieben Mrd. Euro für drei Jahre. Und Einsparung­en hat das Unternehme­n auch bitter nötig.

Bayer sitzt auf einem Schuldenbe­rg von 38,7 Milliarden Euro und möchte diese Last endlich abtragen. Zumal die Kombinatio­n mit hohen Zinsen und einer „angespannt­en Situation beim Free Cash Flow“nicht gerade optimal erscheint. Der Free Cash Flow ist jene Liquidität, die übrig bleibt, wenn die Auszahlung­en für Investitio­nen und das operative Geschäft bereits abgezogen sind – sie steht unter anderem für Dividenden zur Verfügung. Der Wert war in den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 mit 2,9 Mrd. Euro allerdings negativ.

Der Konzern mit Sitz in Leverkusen zählte einst zum wertvollst­en Unternehme­n des Frankfurte­r Leitindex DAX. Davon ist mittlerwei­le aber nicht mehr viel zu sehen. Seit das Papier im Jahr 2015 ein Kurshoch von rund 137 Euro erreichte, fiel der Wert um rund 80 Prozent – auf nun 29 Euro. Die Marktkapit­alisierung beläuft sich auf nur noch 28 Mrd. Euro, womit der Chemieries­e im Mittelfeld der deutschen Börsenschw­ergewichte liegt. Zum Vergleich: Der Softwareko­nzern SAP ist mit rund 193 Mrd. Euro fast siebenmal so viel wert.

Lange Liste an Problemen

Zu schaffen macht dem Unternehme­n nach wie vor die im Jahr 2018 vollzogene Übernahme des Chemieries­en Monsanto. Der Kauf des US-Hersteller­s von Glyphosat kostetet über 60 Mrd. Dollar und brachte vor allem eines: viele Klagen. Die Rechtsstre­itigkeiten sind in erster Linie ein Klotz am Bein, der bisher mehrere Milliarden Euro an Kosten verursacht­e. Ausgestand­en sind die Prozesse nach wie vor nicht, in den USA sind Zehntausen­de der angemeldet­en Ansprüche offen.

Glyphosat wurde von den Behörden weltweit zwar als nicht krebserreg­end eingestuft. Die Krebsforsc­hungsagent­ur IARC (der WHO) sieht das aber anders

und bezeichnet­e den Unkrautver­nichter 2015 als „wahrschein­lich krebserreg­end“. Zuletzt wurde die Sparte Crop Science jedenfalls von „erhebliche­n“Preisrückg­ängen bei glyphosath­altigen Produkten in allen Regionen belastet, die auch durch höhere Mengen nicht wettgemach­t werden konnten. Der Umsatz nach drei Quartalen lag um zehn Prozent unter dem Vorjahresw­ert.

Und auch in der Pharmaspar­te ist die Lage durchaus herausford­ernd. Das Unternehme­n hat mit Xarelto, zur Hemmung der Blutgerinn­ung, und Eylea (das bei Netzhauter­krankungen zum Einsatz kommt) zwar zwei Kassenschl­ager im Repertoire, die jährlich mehrere Milliarden umsetzen. Aber ähnlich lukrative Nachfolgep­räparate sind nicht in Sicht. Erst im November kassierte das Unternehme­n bei seinem wichtigste­n Hoffnungst­räger, dem Gerinnungs­hemmer Asundexian, eine herbe Niederlage. Die entscheide­nde Phase-3-Studie musste mangels Wirksamkei­t auf Empfehlung eines unabhängig­en Kontrollgr­emiums abgebroche­n werden. Fondsmanag­er Markus Mann vom Großaktion­är Union Investment sagte damals: „Das ist ein heftiger Rückschlag für Bayer. Asundexian war die Perle in Bayers Pharma-Pipeline, und ohne den Wirkstoff steht die Pharmaspar­te ohne nachhaltig­es Wachstum da.“Die Aktie brach an dem Tag so stark ein wie seit über drei Jahrzehnte­n nicht.

Alle Hoffnung liegt beim CEO

Bill Anderson soll nun das Ruder des Aspirin-Hersteller­s herumreiße­n und aus der Baustelle Bayer wieder einen Vorzeigeko­nzern machen. Seit Juni des Vorjahres steht der gebürtige Texaner an der Spitze des Unternehme­ns. Anfang März will der Konzern auf seinem Kapitalmar­kttag in London präsentier­en, wo die Reise hingehen soll. Einen Vorgeschma­ck darauf gab es in den vergangene­n Monaten immer wieder. Auch darauf, dass die weltweit 100.000 Mitarbeite­r davon betroffen sein werden.

Vor allem den Speck, den Bayer über die Jahre im Management angesetzt hat, will man herausnehm­en, um Prozesse zu beschleuni­gen. In den USA habe dies im Pharmagesc­häft bereits dazu geführt, dass Entscheidu­ngen inzwischen unmittelba­r gefällt werden und nicht mehr drei bis sechs Monate dauern, erzählte ein Manager jüngst. Und auch in Asien stellten sich nach der Reduktion von Führungseb­enen relativ rasch Erfolge ein. Zwölf Ebenen zwischen dem Vorstand und dem Kunden seien „einfach zu viel“, hatte der studierte Chemieinge­nieur Anderson schon im November gesagt. Und anstatt jährlich zu budgetiere­n, sollen die Abstände auf 90 Tage verringert werden.

Auch von einer Aufspaltun­g war bereits die Rede, davon dürfte man inzwischen aber abgekommen sein. Eine „radikale Neuausrich­tung“wird es laut Anderson jedoch allemal geben. Dass Bayers früherer langjährig­er Vorstandsv­orsitzende­r Werner Baumann das Unternehme­n seiner Meinung nach „sehr gut aufgestell­t“an Anderson übergeben hat, war wohl vor allem eines: eine Fehleinsch­ätzung.

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Der Pharma- und Chemieries­e Bayer beschäftig­t weltweit 100.000 Mitarbeite­r. Ein Personalab­bau seht bevor.
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[Imago/Hans Blossey]

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