Wie Donald Trump die Angstlust der Europäer befeuert
Ein Auftritt des Noch-nicht-US-Präsidentschaftskandidaten genügte, um Schrecken zu verbreiten. Warum sind wir so katastrophensüchtig?
Donald Trump ist ein reicher Mann, aber die jüngst gegen ihn verhängten Geldstrafen zahlt selbst einer wie er nicht aus der Hosentasche. In zwei voneinander unabhängigen Gerichtsverfahren wurde der Ex-US-Präsident zu Bußen von insgesamt rund 450 Millionen Dollar verurteilt. Sollten die Richtersprüche halten, muss der Milliardär kürzertreten oder ein paar Luxusimmobilien verkaufen. So etwas ist unerfreulich.
Trump kann also Aufmunterung gebrauchen – und muss dafür nur nach Europa blicken. Hier wird ihm nach wie vor jener Respekt gezollt, den US-Gerichte derzeit vermissen lassen. Um auf der anderen Seite des Atlantiks Angst und Schrecken zu erzeugen, genügten ein paar Sätze des 77-Jährigen bei einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina: Ein europäisches Staatsoberhaupt habe ihn gefragt, berichtete Trump seinen Anhängern dort, ob er säumige Zahler unter den Nato-Mitgliedern im Fall eines Angriffs beschützen würde. „Nein, ich würde euch nicht beschützen“, habe seine Antwort gelautet. Stattdessen würde er die Russen ermutigen, „zu tun, was zur Hölle sie tun wollen“.
Seither ist, um bei den infernalischen Metaphern zu bleiben, der Teufel los. In Politikerstatements, Expertenanalysen und Leitartikeln werden Katstrophenszenarien gewälzt. Was, wenn Wladmir Putin demnächst beschließen sollte, ein EULand anzugreifen? Stehen wir dann völlig schutzlos da, oder gelingt es noch, entsprechende Gegenwehr zu organisieren? Der französische EU-Kommissar, Thierry Breton, erneuerte mit Nachdruck seinen Vorschlag, die lokale Rüstungsindustrie auf Kriegswirtschaft umzustellen. In der „Neuen Zürcher Zeitung“warnte ein pensionierter Spitzendiplomat vor dem möglicherweise drohenden Dritten Weltkrieg, für den die EU und die Schweiz nicht gewappnet seien. Die deutschen Politiker Katarina Barley (SPD) und Christian Lindner (FDP) ließen wissen, dass sie gern zeitnah über ein EU-Atomwaffenarsenal verhandeln möchten. Letzteres ist der originellste Beitrag, finde ich. Wir reden im Fall der EU ja von einem Verein, der seit Jahren über der vergleichsweise unterkomplexen Frage brütet, ob die Winter- oder die Sommerzeit dauerhaft eingeführt wird oder alles so bleiben soll, wie es ist. Das Tohuwabohu, das ein vergemeinschafteter roter Knopf anrichten würde, will sich kein Mensch ausmalen.
Die panischen Reaktionen auf eine typische Trump-Provokation sind ein schönes Beispiel dafür, wie man sich ohne Not in eine scheinbar ausweglose Situation fantasieren kann. Der Kontinent schwelgt in Angstlust, obwohl eigentlich nichts Zählbares passiert ist: Donald Trump ist bekanntlich noch nicht einmal Präsidentschaftskandidat. Falls er es wird, muss er erst noch die Wahl gewinnen, um Schaden anzurichten. Gelingt auch das, muss er sich daran erinnern, was er in South Carolina erzählt hat, und das immer noch verfolgenswert finden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bekäme der neue alte Präsident sehr wahrscheinlich Besuch von ein paar Generälen der eigenen Streitkräfte, die sich höflich erkundigen würden, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Einen QuasiAustritt aus der Nato kann nämlich selbst der US-Präsident nicht ungestört zwischen zwei Abschlägen auf dem Golfplatz verfügen.
Warum also die Aufregung? Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Europa emsig aufgerüstet, und das soll auch so weitergehen. Sogar das österreichische Bundesheer verfolgt mit viel Geld den Plan, „kriegsfähig“zu werden – was immer das heißen mag. Pazifist wurde über Nacht zum Schimpfwort, Diplomatie gilt als altbacken, für Analysen sind hauptsächlich die Militärstrategen zuständig. Mit diesem Blickwinkel auf die Welt bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als an jeder Ecke eine Bedrohung auszumachen.
Falls uns einmal eine Woche lang nichts einfallen sollte: Donald Trump wird sicher gern behilflich sein.
‘‘ Eigentlich ist noch nichts Zählbares passiert, warum also die Aufregung?