Mit „Reform-Booster“gegen den Abstieg
Die europäische Wirtschaftsmacht wird auch in diesem Jahr kaum wachsen. Wirtschaftsminister Robert Habeck legt seine Analyse vor – und lässt die Ideen der Opposition nachrechnen.
Berlin. Mit guten Nachrichten hatte niemand gerechnet. Schließlich hatte der deutsche Wirtschaftsminister, Robert Habeck (Grüne), schon in der Vorwoche die Zahl durchsickern lassen: Statt mit 1,3 Prozent rechnet der Staat für das kommende Jahr nur noch mit 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum. Im vergangenen Jahr war Deutschland gar in eine Rezession gerutscht.
„Dramatisch schlecht“sei die Lage, hatte er gesagt. Am Mittwoch stellte Habeck in Berlin den gesamten Bericht vor – und versuchte, zaghafte Hoffnung zu verbreiten.
Habecks Analyse
Auf die Frage, warum sich Deutschland in der Europäischen Union auf dem letzten Platz befindet, nannte der Grüne drei Punkte: Erstens sei die deutsche Wirtschaft stärker in den Welthandel eingebunden als andere – und der laufe vor allem in China gerade sehr schlecht. Zweitens gebe es neben Österreich und Tschechien keine europäischen Länder, deren Industrie ähnlich abhängig von russischem Gas gewesen sei. Der dritte Punkt : die alternde Gesellschaft und der Facharbeitermangel, die beide lang beiseite gewischt worden seien.
Zu dieser Draufsicht mengte er Details: Die Sparquote sei mit 11,3 Prozent zu hoch, es habe viele Krankenstände gegeben. Weil die Nettolöhne aber um 7,7 Prozent gestiegen sind, erwartet Habeck, dass der private Konsum wieder ansteigen werde. Und auch zwei Lösungsansätze hatte Habeck sich zurechtgelegt: Auf der einen Seite mehr qualifizierte Zuwanderer und bessere Ausbildung für Jugendliche. Auf der anderen ein „ReformBooster“, den er maßgeblich als Bürokratieabbau skizzierte. Welche Wirkung der haben könne, sei aber „schwer zu beziffern“, sagte er.
Beispiel Bauwirtschaft
Beispielhaft ließ sich die Stimmung vieler deutscher Unternehmer bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin erleben. „Die Analyse der Experten ist nicht nur ein Wake-upCall, sondern in einigen Punkten ein regelrechter Sirenen-Alarm“, sagte Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses, einer Interessensvertretung. Wer eine Wohnung errichte, müsse in Deutschland im Schnitt 21 Euro pro Quadratmeter an Miete verlangen, um nicht in die Verlustzone zu rutschen. Weil solche Mieten allerdings kaum jemand bezahlen könne oder wolle, werde kaum neu gebaut. Mattner wünschte sich drei Milliarden Euro an Zinssubventionen und eine Pause von der Grunderwerbssteuer.
Neben ihm saß die Bauministerin, Klara Geywitz (SPD), und erklärte, warum das nicht so einfach sei: Mit der Gießkanne zu fördern würde die Inflation anheizen. Die Grunderwerbssteuer wiederum werde von den Bundesländern festgelegt. Um die von ihr als Ziel vorgegebenen 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr zu schaffen, müsse in ganz Deutschland modular und seriell gebaut werden. „Die fetten Jahre im Bau sind vorbei“, sagte Geywitz. „Es ist der Staat, der die fette Beute macht“, sagte Mattner.
Blockierte Entlastung
Zur Frage nach der richtigen Staatsmedizin für den Husten der deutschen Wirtschaft kommen politische Taktierereien. Am Mittwochabend beriet der Vermittlungsausschuss des Bundesrats über das „Wachstumschancengesetz“– großteils ein Paket an Steuerentlastungen. Deren Volumen wurde von den Bundesländerchefs bereits von acht auf drei Milliarden Euro herunterverhandelt, weil die Länder auch zur Kasse gebeten werden. Zuletzt kündigten die CDU-Vertreter noch eine Blockade an: Sie würden dem Entlastungspaket nur zustimmen, wenn die Steuersubvention für Diesel für Bauern und Forstwirte nicht wie geplant gestrichen werde.
Fünf Prozent Wachstum?
Für die CDU hatte der Grüne Habeck eine Abrechnung vorbereitet. Die Oppositionspartei hatte vor Kurzem eigene wirtschaftspolitische Vorschläge vorgelegt – ohne zu sagen, wie sie diese finanzieren will. Habeck sagte am Mittwoch, er habe das überschlagen lassen: Die von der CDU vorgelegten Maßnahmen würden eine Lücke von 50 Milliarden Euro im Budget entstehen lassen. Um diese zu schließen, müsse die Wirtschaft um 200 Milliarden Euro oder fünf Prozent wachsen – und zwar noch in diesem Jahr.
Er selbst würde lieber ein viele Milliarden schweres Sondervermögen für die deutsche Wirtschaft auflegen, also mehr Schulden zu machen. Dieser Plan scheitert wie so oft vorerst aber am Finanzminister, Christian Lindner (FDP).