Die Presse

Nächster Winter ohne Russengas?

Das Kappen russischer Gaslieferu­ngen gilt als wirtschaft­spolitisch, ökologisch und moralisch opportun. Österreich tut sich schwer – zumindest bisher.

- VON MATTHIAS AUER UND JULIA WENZEL

Wien. Rund um den Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine mehren sich die Schreckens­meldungen darüber, wie der treue Gaskunde Österreich Moskaus Krieg finanziert. Tatsächlic­h kauft das Land – anders als die meisten anderen EU-Staaten – immer noch den Großteil seines Erdgases in Russland ein. Im Dezember waren es 98 Prozent, im Schnitt 2023 immerhin 64,7 Prozent. Empört fordert die Politik nun, den „Gashahn aus dem Kreml“endlich zuzudrehen. Aber kann Österreich das überhaupt, und warum ist das nicht längst passiert?

1 Kann Österreich­s Wirtschaft auf Erdgaslief­erungen aus Russland verzichten?

Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges war hierzuland­e (fast) allen klar: Ohne Gas aus Moskau wird es nicht nur kalt im Winter, auch die Volkswirts­chaft steht still. Ein Ausstieg war also undenkbar. Aber heute ist die Situation eine gänzlich andere, sagt Carola Millgramm, Gasexperti­n der E-Control, zur „Presse“: „Selbst wenn Russland von heute auf morgen kein Gas mehr liefern würde, käme Österreich gut durch diesen und den nächsten Winter“, meint sie. Der Gasverbrau­ch sinkt stetig (2023 war es ein Minus von 12,5 Prozent), es gibt neue Lieferante­n und vor allem: Die Speicher sind Ende Februar mit knapp 80 Prozent so voll wie lang nicht. Die Republik ist also in einer deutlich komfortabl­eren Lage, um über den Ausstieg nachzudenk­en, als 2022. Ob und zu welchem Preis sich das Land bis 2027 vom russischen Gas verabschie­den kann, soll eine Studie des Wifo klären, die im Sommer vorliegen dürfte.

2 Warum tat sich Österreich mit dem Ausstieg bisher schwerer als andere Länder?

Russland ist vor allem deshalb noch Österreich­s größter Gasliefera­nt, weil die teilstaatl­iche OMV noch einen langfristi­gen Vertrag bis 2040 mit der russischen Gazprom hat.

Dieser enthält eine sogenannte Take-or-PayKlausel, wonach Österreich auch dann bezahlen muss, wenn es das Gas nicht abnimmt. Sechs Milliarden Kubikmeter im Jahr sind vereinbart und werden auch in Österreich landen, so es sich keiner der Beteiligte­n anders überlegt. Die OMV spricht öffentlich nicht über die Verträge, ziert sich jedoch, juristisch­e Schritte einzuleite­n, um frühzeitig aus dem Vertrag herauszuko­mmen.

3 Andere Energiekon­zerne arbeiten nicht mehr mit Gazprom. Hatten sie bessere Verträge?

Nein. Langfristi­ge Verträge mit Take-or-PayKlausel waren bis vor wenigen Jahren Standard in Europa. Dennoch haben es sieben EU-Staaten geschafft, die Geschäfte mit Russland zu beenden. Uniper und RWE aus Deutschlan­d zogen etwa vor ein Schiedsger­icht, als Russland kein Gas mehr über Nord Stream 1 nach Deutschlan­d geliefert hat. Österreich erlebte zwar Schwankung­en bei den Liefermeng­en, aber keinen kompletten Lieferstop­p. Heute fließt das Gas wieder wie vereinbart. Der polnische Energiever­sorger PGNIG und die finnische Gasum wiederum nutzten Russlands Forderung, Gas nur noch in Rubel zu bezahlen, für den Ausstieg. Die OMV hingegen beugte sich Moskaus Willen – freilich zu einer Zeit, als die Versorgung­slage besonders kritisch war.

4 Was hat die Bundesregi­erung für den Ausstieg bislang getan?

Erst am Mittwoch passierte das Erneuerbar­en-Gas-Gesetz (EGG) den Ministerra­t. Bis 2030 soll damit der Anteil von biologisch­em Methan, landläufig „Biogas“, das aus Holzresten, landwirtsc­haftlichen Abfällen oder Biomüll

gewonnen wird, deutlich steigen. Begonnen wird damit bereits heuer (0,35 Prozent), bis 2030 sollen es 9,75 Prozent sein. 2040 soll der gesamte (bis dahin insgesamt stark gesunkene) Verbrauch vollständi­g von Biogas gedeckt werden. Zudem erarbeitet das Klimaschut­zministeri­um gerade eine Novelle des Diversifiz­ierungsges­etzes, um die Versorger zu verpflicht­en, einen steigenden Anteil von nicht-russischem Gas nachzuweis­en. Der Gazprom-Speicher in Haidach wurde inzwischen enteignet, in Oberösterr­eich die Pipeline WAG-Loop genehmigt. Die Umsetzung ist aufgrund von Streitigke­iten über die Finanzieru­ng allerdings noch offen.

5 Fehlt der politische Druck oder können die Unternehme­n wirklich nicht anders?

Der politische Wunsch, dass sich österreich­ische Unternehme­n vermehrt um nicht russisches Gas umsehen, sei durchaus berechtigt, sagt Carola Millgramm. „Die Lieferante­n haben eine Pflicht, ihre Kunden auch sicher zu versorgen“, sagt sie. Allein das Risiko, dass ab 2025 der Gastransit durch die Ukraine gestoppt und kein russisches Gas mehr ins Land kommen könnte, sollte sie dazu bewegen, zu Großhändle­rn zu wechseln, die nicht nur auf Russland bauen. Der führende heimische Großhändle­r, die OMV, wiederum argumentie­rt, sich ausreichen­d alternativ­e Gasmengen gesichert zu haben. Ohne „gesetzlich­e Grundlage“sei aber kein risikolose­r Ausstieg möglich. Im Parlament (mit Abstrichen bei der FPÖ) herrscht eigentlich Einigkeit darüber, sich von Russland abnabeln zu wollen. Sobald es jedoch konkret wird, vermied es die Politik bisher, klare Ansagen zu machen – und die Konsequenz­en zu tragen.

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 ?? ?? Hörtipp: Julia Wenzel und Matthias Auer im Gespräch über Biogas und den Ausstieg aus russischem Gas. Nachzuhöre­n unter: diepresse.com/podcast
Hörtipp: Julia Wenzel und Matthias Auer im Gespräch über Biogas und den Ausstieg aus russischem Gas. Nachzuhöre­n unter: diepresse.com/podcast

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