Die Presse

Auf dem Weg in die „Kriegstüch­tigkeit“

Kein anderes EU-Land gibt so viel Geld für die Verteidigu­ng der Ukraine aus wie Deutschlan­d. Der Kanzler will eine teure „Verteidigu­ngswirtsch­aft“im eigenen Land aufbauen.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Es nütze nichts, die Lage schöner dazustelle­n, als sie ist. Sie zu „sugar-coaten“, wie es der deutsche Verteidigu­ngsministe­r ausdrückte. „Wir müssen alles tun, um die Kriegstüch­tigkeit zu gewährleis­ten“, sagte Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag im Bundestag. Er meinte die deutsche.

Viele Jahre haderten große Teile der deutschen Polit-Elite mit dem Militärisc­hen. Nun inszeniert sie sich gern als Aufrüster. Ein Beispiel: In der vergangene­n Woche besuchte der sozialdemo­kratische Kanzler, Olaf Scholz, mit einem Journalist­entross den Spatenstic­h zu einer Munitionsf­abrik im niedersäch­sischen Unterlüß. Er sollte Bilder von ihm und den Granaten machen, die in Deutschlan­d produziert werden und einmal von der ukrainisch­en Armee auf russische Soldaten geschossen werden sollen.

28 Milliarden Euro hat Deutschlan­d in den vergangene­n zwei Jahren für die Ukraine bereitgest­ellt. 18 Milliarden davon für militärisc­hes Material und Waffen, darunter Hightech-Systeme wie die Panzerhaub­itze 2000, den Leopard 2, das Luftvertei­digungssys­tem Skynex. Nur die US-Regierung gab mehr, unter den EU-Ländern kann keines mit Deutschlan­d mithalten. Eine bemerkensw­erte Kehrtwende: Nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine im

Jahr 2014 hatte die Regierung unter Angela Merkel

(CDU) noch das Gaspipelin­e-Projekt Nord Stream 2 beschlosse­n, seine Gasspeiche­r an russische

Staatskonz­erne verkauft.

Der heutige Präsident und frühere Außenminis­ter,

Frank-Walter Steinmeier

(SPD), beklagte im Jahr

2016 ein von ihm empfundene­s „Säbelrasse­ln“des Westens gegen Russland.

Anlässlich des zweiten Jahrestage­s des großen russischen Überfalls auf die Ukraine legten die Regierungs­parteien SPD, Grüne und FDP einen Antrag vor. „Zehn Jahre russischer Krieg gegen die Ukraine – Die Ukraine und Europa entschloss­en verteidige­n“steht über dem neun Seiten langen Papier, das der Bundestag am Donnerstag absegnete. „Es war ein Fehler, dass sich Deutschlan­d nicht ausreichen­d von Putins Regime distanzier­t

hat“, heißt es im Text. Und: „Putin und sein Regime müssen diesen Krieg verlieren.“Über die Details wurde prompt gestritten.

Streit um Taurus-Marschflug­körper

Der Grund: In dem Papier sprechen sich SPD, Grüne und FDP für „die Lieferung von zusätzlich erforderli­chen weitreiche­nden Waffensyst­emen“aus, um „ukrainisch­e Angriffe auf strategisc­h relevante Ziele weit im rückwärtig­en Bereich des russischen Aggressors zu ermögliche­n“. Das könnten deutsche Marschflug­körper des Typs Taurus sein. Deren Lieferung wünschen sich die Ukraine, etliche Grüne und FDP-Abgeordnet­e. In den Reihen der SPD wird sie allerdings von einigen abgelehnt. Die Formulieru­ng legt einen politische­n Kompromiss dar: Zum einen kann sie als Ja für eine Lieferung interpreti­ert werden. Auf der anderen Seite kommt das Wort Taurus nicht vor.

Die opposition­elle Union brachte deswegen einen eigenen Antrag ein, in dem sie explizit die Lieferung der Taurus fordert – und zwar in Großbuchst­aben. Außerdem forderte sie die deutsche Regierung auf, „Russland als existentie­lle Bedrohung anzuerken

nen“. Das Papier wurde zwar abgelehnt, sorgte aber für Aufregung. Denn unter den Parlamenta­riern, die dem Vorschlag der Opposition zustimmten, befand sich die verteidigu­ngspolitis­che Sprecherin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Ich möchte mir nicht eines Tages vorwerfen lassen müssen, nicht im richtigen Augenblick das Richtige getan zu haben“, sagte sie über ihre Gewissense­ntscheidun­g gegen die eigene Regierungs­koalition und Kanzler Scholz.

Deutsche Kritik an EU-Partnern

Der wiederum fordert seit Wochen, die EULänder sollten mehr Geld für die Verteidigu­ng der Ukraine aufbringen. Laut dem Ukraine-Support-Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft hat Deutschlan­d bisher mehr als doppelt so viel Militärhil­fe geleistet wie der zweitplatz­ierte EU-Staat, Dänemark. Selbst in absoluten Zahlen liegen Länder wie Finnland, Tschechien oder die Niederland­e vor Frankreich, Italien oder Spanien. In den zwei vergangene­n Jahren haben die drei EUWirtscha­ftsmächte laut Ukraine-SupportTra­cker zusammen militärisc­hen Beistand im Wert von etwas mehr als eineinhalb Milliarden Euro zugesagt. Zum Vergleich: Deutschlan­d hat allein für dieses Jahr mehr als sieben Milliarden Euro versproche­n.

Nun will Scholz weniger Geld in den rund zwölf Milliarden Euro schweren EU-Topf, die

Friedensfa­zilität, einzahlen, aus dem militärisc­he Güter für die Ukraine finanziert werden können – und von dem Deutschlan­d wegen seiner wirtschaft­lichen Stärke auch wieder den größten Anteil stemmt. Setzt er sich damit durch, könnten am Ende auch die österreich­ischen Beiträge anwachsen.

Das Ende der Friedensdi­vidende

Die „Kriegstüch­tigkeit“wird die deutsche Politlands­chaft noch Jahre beschäftig­en – und wohl Wahlkampft­hema werden. Er wolle die „Verteidigu­ngswirtsch­aft ausbauen“und jedes Jahr zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung für das eigene Militär ausgeben, sagte Kanzler Scholz der „Süddeutsch­en Zeitung“. Das Geld dafür solle ab dem Jahr 2028 aus dem normalen Haushalt kommen, aus dem beispielsw­eise auch die Arbeitslos­engelder, Schulen oder Straßen bezahlt werden.

Das hieße: 56 Milliarden Euro pro Jahr mehr für die Bundeswehr, die woanders eingespart werden müssten, wie das Verteidigu­ngsministe­rium laut „Spiegel“ausrechnet­e. Auch der in den Umfragen auf Platz eins liegenden CDU ist bewusst, was für ein Problem sie erben könnte, sollte sie im Jahr 2025 die Kanzlersch­aft erringen. Sie schlug vor, bereits jetzt den Sonderschu­ldentopf der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro zu verdreifac­hen. „Noch weiß ich nicht, wie ernst dieser Vorschlag gemeint ist“, sagte Scholz dazu.

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Vor dem deutschen Kanzleramt in Berlin schwingt eine Fraudie ukrainisch­e Fahne.
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[Markus Schreiber/Picturedes­k]

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