Auf dem Weg in die „Kriegstüchtigkeit“
Kein anderes EU-Land gibt so viel Geld für die Verteidigung der Ukraine aus wie Deutschland. Der Kanzler will eine teure „Verteidigungswirtschaft“im eigenen Land aufbauen.
Es nütze nichts, die Lage schöner dazustellen, als sie ist. Sie zu „sugar-coaten“, wie es der deutsche Verteidigungsminister ausdrückte. „Wir müssen alles tun, um die Kriegstüchtigkeit zu gewährleisten“, sagte Boris Pistorius (SPD) am Donnerstag im Bundestag. Er meinte die deutsche.
Viele Jahre haderten große Teile der deutschen Polit-Elite mit dem Militärischen. Nun inszeniert sie sich gern als Aufrüster. Ein Beispiel: In der vergangenen Woche besuchte der sozialdemokratische Kanzler, Olaf Scholz, mit einem Journalistentross den Spatenstich zu einer Munitionsfabrik im niedersächsischen Unterlüß. Er sollte Bilder von ihm und den Granaten machen, die in Deutschland produziert werden und einmal von der ukrainischen Armee auf russische Soldaten geschossen werden sollen.
28 Milliarden Euro hat Deutschland in den vergangenen zwei Jahren für die Ukraine bereitgestellt. 18 Milliarden davon für militärisches Material und Waffen, darunter Hightech-Systeme wie die Panzerhaubitze 2000, den Leopard 2, das Luftverteidigungssystem Skynex. Nur die US-Regierung gab mehr, unter den EU-Ländern kann keines mit Deutschland mithalten. Eine bemerkenswerte Kehrtwende: Nach dem ersten russischen Angriff auf die Ukraine im
Jahr 2014 hatte die Regierung unter Angela Merkel
(CDU) noch das Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 beschlossen, seine Gasspeicher an russische
Staatskonzerne verkauft.
Der heutige Präsident und frühere Außenminister,
Frank-Walter Steinmeier
(SPD), beklagte im Jahr
2016 ein von ihm empfundenes „Säbelrasseln“des Westens gegen Russland.
Anlässlich des zweiten Jahrestages des großen russischen Überfalls auf die Ukraine legten die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP einen Antrag vor. „Zehn Jahre russischer Krieg gegen die Ukraine – Die Ukraine und Europa entschlossen verteidigen“steht über dem neun Seiten langen Papier, das der Bundestag am Donnerstag absegnete. „Es war ein Fehler, dass sich Deutschland nicht ausreichend von Putins Regime distanziert
hat“, heißt es im Text. Und: „Putin und sein Regime müssen diesen Krieg verlieren.“Über die Details wurde prompt gestritten.
Streit um Taurus-Marschflugkörper
Der Grund: In dem Papier sprechen sich SPD, Grüne und FDP für „die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen“aus, um „ukrainische Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen“. Das könnten deutsche Marschflugkörper des Typs Taurus sein. Deren Lieferung wünschen sich die Ukraine, etliche Grüne und FDP-Abgeordnete. In den Reihen der SPD wird sie allerdings von einigen abgelehnt. Die Formulierung legt einen politischen Kompromiss dar: Zum einen kann sie als Ja für eine Lieferung interpretiert werden. Auf der anderen Seite kommt das Wort Taurus nicht vor.
Die oppositionelle Union brachte deswegen einen eigenen Antrag ein, in dem sie explizit die Lieferung der Taurus fordert – und zwar in Großbuchstaben. Außerdem forderte sie die deutsche Regierung auf, „Russland als existentielle Bedrohung anzuerken
nen“. Das Papier wurde zwar abgelehnt, sorgte aber für Aufregung. Denn unter den Parlamentariern, die dem Vorschlag der Opposition zustimmten, befand sich die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Ich möchte mir nicht eines Tages vorwerfen lassen müssen, nicht im richtigen Augenblick das Richtige getan zu haben“, sagte sie über ihre Gewissensentscheidung gegen die eigene Regierungskoalition und Kanzler Scholz.
Deutsche Kritik an EU-Partnern
Der wiederum fordert seit Wochen, die EULänder sollten mehr Geld für die Verteidigung der Ukraine aufbringen. Laut dem Ukraine-Support-Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat Deutschland bisher mehr als doppelt so viel Militärhilfe geleistet wie der zweitplatzierte EU-Staat, Dänemark. Selbst in absoluten Zahlen liegen Länder wie Finnland, Tschechien oder die Niederlande vor Frankreich, Italien oder Spanien. In den zwei vergangenen Jahren haben die drei EUWirtschaftsmächte laut Ukraine-SupportTracker zusammen militärischen Beistand im Wert von etwas mehr als eineinhalb Milliarden Euro zugesagt. Zum Vergleich: Deutschland hat allein für dieses Jahr mehr als sieben Milliarden Euro versprochen.
Nun will Scholz weniger Geld in den rund zwölf Milliarden Euro schweren EU-Topf, die
Friedensfazilität, einzahlen, aus dem militärische Güter für die Ukraine finanziert werden können – und von dem Deutschland wegen seiner wirtschaftlichen Stärke auch wieder den größten Anteil stemmt. Setzt er sich damit durch, könnten am Ende auch die österreichischen Beiträge anwachsen.
Das Ende der Friedensdividende
Die „Kriegstüchtigkeit“wird die deutsche Politlandschaft noch Jahre beschäftigen – und wohl Wahlkampfthema werden. Er wolle die „Verteidigungswirtschaft ausbauen“und jedes Jahr zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für das eigene Militär ausgeben, sagte Kanzler Scholz der „Süddeutschen Zeitung“. Das Geld dafür solle ab dem Jahr 2028 aus dem normalen Haushalt kommen, aus dem beispielsweise auch die Arbeitslosengelder, Schulen oder Straßen bezahlt werden.
Das hieße: 56 Milliarden Euro pro Jahr mehr für die Bundeswehr, die woanders eingespart werden müssten, wie das Verteidigungsministerium laut „Spiegel“ausrechnete. Auch der in den Umfragen auf Platz eins liegenden CDU ist bewusst, was für ein Problem sie erben könnte, sollte sie im Jahr 2025 die Kanzlerschaft erringen. Sie schlug vor, bereits jetzt den Sonderschuldentopf der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro zu verdreifachen. „Noch weiß ich nicht, wie ernst dieser Vorschlag gemeint ist“, sagte Scholz dazu.