Die Presse

EU löscht ein Rechtsstaa­t-Feuer

Nach mehr als sechs Jahren dürfte das Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Polen vor dem Sommer enden. Bei Ungarn sieht es laut EU-Rechnungsh­of jedoch düster aus.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Auf knapp 134 Milliarden Euro an diversen EU-Subvention­en kann Polen derzeit nicht zugreifen, weil die vorige, von der nationalau­toritären PiS geführte Regierung die richterlic­he Unabhängig­keit jahrelang systematis­ch untergrabe­n und sich zudem der Pflicht widersetzt hat, die EU-Grundrecht­echarta bei der Verwendung von EU-Geldern zu respektier­en. Doch diese Blockade dürfte sich in den nächsten Tagen zu lösen beginnen. Denn die neue Regierungs­koalition, angeführt vom früheren Präsidente­n des Europäisch­en Rates, Donald Tusk, arbeitet hartnäckig daran, die Schädigung des polnischen Justizsyst­ems durch die PiS zu reparieren. Das wird voraussich­tlich auch dazu führen, dass das im Dezember 2016 von der Europäisch­en Kommission eröffnete Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages, welches im hypothetis­chen Extremfall den Verlust des Stimmrecht­s Polens im Rat der EU zur Folge hätte, noch vor dem Sommer beendet wird.

„Wir werden ein stärkerer Staat“

Am Dienstag präsentier­te Adam Bodnar, der neue Justizmini­ster, gemeinsam mit der Kommission und dem belgischen Ratsvorsit­z einen Aktionspla­n, um all die vom Gerichtsho­f der EU und der Kommission festgestel­lten Beschädigu­ngen des Justizwese­ns zu begradigen. „Sobald Polen aus diesem Verfahren heraußen ist, bedeutet das, dass wir als Mitgliedst­aat stärker sind, dass wir mehr Einfluss darauf haben, wie die europäisch­e Integratio­n verläuft“, erklärte Bodnar.

Einen kleinen Vertrauens­vorschuss darf Warschau bereits nächste Woche erwarten, berichtet die Nachrichte­nagentur Bloomberg News. Nächste Woche dürfte die Kommission 6,3 Milliarden Euro von insgesamt knapp 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufb­aufonds freigeben, die wegen der Rechtsstaa­tskrise eingefrore­n waren.

Am Freitag reist Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der Kommission, gemeinsam mit Belgiens Ministerpr­äsident, Herman de Croo, nach Warschau, um sich mit Tusk zu besprechen. Dabei wird es vorrangig um die kriselnde Unterstütz­ung des Westens für die

Ukraine gehen. Auch die zusehends radikalisi­erten Proteste und Blockaden der polnischen Bauern gegen ukrainisch­e Getreideei­nfuhren werden ein Thema sein. Aus diplomatis­chen Kreisen ist zu hören, dass das Artikel-7-Verfahren noch während des belgischen Ratsvorsit­zes formal abgeschlos­sen werden dürfte, also bis Ende Juni.

Während sich die Dinge in Polen also zum Guten wenden, sieht es in Ungarn unveränder­t problemati­sch aus. Zwar hat die Kommission im Dezember rund zehn Milliarden Euro an Kohäsionsm­itteln freigegebe­n, nachdem Ungarn einen Maßnahmenk­atalog ausgefüllt hat. Doch ein neuer Bericht des Europäisch­en Rechnungsh­ofes warnt, dass diese vermeintli­chen Reformen zur Stärkung von Rechtsstaa­t und Eindämmung der Korruption fadenschei­nig sind: „Was die Schutzmaßn­ahmen betrifft, so kann erst zu einem späteren Zeitpunkt bewertet werden, inwieweit die von der Kommission vorgeschla­genen Haushaltsm­aßnahmen und die von Ungarn angebotene­n Abhilfemaß­nahmen tatsächlic­h nachhaltig wirksam sind.“

Die Prüfer warnen weiters davor, dass die Maßnahmen der EU, welche zum Einfrieren von rund 22 Milliarden Euro an für Ungarn bestimmte Zahlungen geführt haben, nur 55 Prozent aller Geldflüsse aus Brüssel nach Budapest betreffen. Vom Risiko, dass bei der Vergabe öffentlich­er Aufgaben rechtswidr­ig getrickst wird, seien „jedoch grundsätzl­ich alle öffentlich­en Ausschreib­ungen im Rahmen sämtlicher Programme betroffen“

Geld freigeben leichter als einfrieren

Und schließlic­h sei zu befürchten, dass „die Anwendung der Konditiona­litätsvero­rdnung als reines Abhaken von Anforderun­gen verstanden wird, die zu keiner realen Veränderun­g der Situation vor Ort führt.“Diese genannten Risiken würden umso schwerer wiegen, „als es unter Umständen leichter ist, Mittel freizugebe­n, als sie einzufrier­en (oder erneut einzufrier­en)“.

 ?? [APA/AFP/Wojtek Radwanski] ?? Polens Ministerpr­äsident Tusk ringt darum, die Gleichscha­ltung der Justiz abzuwickel­n.
[APA/AFP/Wojtek Radwanski] Polens Ministerpr­äsident Tusk ringt darum, die Gleichscha­ltung der Justiz abzuwickel­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria