EU löscht ein Rechtsstaat-Feuer
Nach mehr als sechs Jahren dürfte das Rechtsstaatsverfahren gegen Polen vor dem Sommer enden. Bei Ungarn sieht es laut EU-Rechnungshof jedoch düster aus.
Brüssel. Auf knapp 134 Milliarden Euro an diversen EU-Subventionen kann Polen derzeit nicht zugreifen, weil die vorige, von der nationalautoritären PiS geführte Regierung die richterliche Unabhängigkeit jahrelang systematisch untergraben und sich zudem der Pflicht widersetzt hat, die EU-Grundrechtecharta bei der Verwendung von EU-Geldern zu respektieren. Doch diese Blockade dürfte sich in den nächsten Tagen zu lösen beginnen. Denn die neue Regierungskoalition, angeführt vom früheren Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, arbeitet hartnäckig daran, die Schädigung des polnischen Justizsystems durch die PiS zu reparieren. Das wird voraussichtlich auch dazu führen, dass das im Dezember 2016 von der Europäischen Kommission eröffnete Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages, welches im hypothetischen Extremfall den Verlust des Stimmrechts Polens im Rat der EU zur Folge hätte, noch vor dem Sommer beendet wird.
„Wir werden ein stärkerer Staat“
Am Dienstag präsentierte Adam Bodnar, der neue Justizminister, gemeinsam mit der Kommission und dem belgischen Ratsvorsitz einen Aktionsplan, um all die vom Gerichtshof der EU und der Kommission festgestellten Beschädigungen des Justizwesens zu begradigen. „Sobald Polen aus diesem Verfahren heraußen ist, bedeutet das, dass wir als Mitgliedstaat stärker sind, dass wir mehr Einfluss darauf haben, wie die europäische Integration verläuft“, erklärte Bodnar.
Einen kleinen Vertrauensvorschuss darf Warschau bereits nächste Woche erwarten, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg News. Nächste Woche dürfte die Kommission 6,3 Milliarden Euro von insgesamt knapp 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds freigeben, die wegen der Rechtsstaatskrise eingefroren waren.
Am Freitag reist Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Kommission, gemeinsam mit Belgiens Ministerpräsident, Herman de Croo, nach Warschau, um sich mit Tusk zu besprechen. Dabei wird es vorrangig um die kriselnde Unterstützung des Westens für die
Ukraine gehen. Auch die zusehends radikalisierten Proteste und Blockaden der polnischen Bauern gegen ukrainische Getreideeinfuhren werden ein Thema sein. Aus diplomatischen Kreisen ist zu hören, dass das Artikel-7-Verfahren noch während des belgischen Ratsvorsitzes formal abgeschlossen werden dürfte, also bis Ende Juni.
Während sich die Dinge in Polen also zum Guten wenden, sieht es in Ungarn unverändert problematisch aus. Zwar hat die Kommission im Dezember rund zehn Milliarden Euro an Kohäsionsmitteln freigegeben, nachdem Ungarn einen Maßnahmenkatalog ausgefüllt hat. Doch ein neuer Bericht des Europäischen Rechnungshofes warnt, dass diese vermeintlichen Reformen zur Stärkung von Rechtsstaat und Eindämmung der Korruption fadenscheinig sind: „Was die Schutzmaßnahmen betrifft, so kann erst zu einem späteren Zeitpunkt bewertet werden, inwieweit die von der Kommission vorgeschlagenen Haushaltsmaßnahmen und die von Ungarn angebotenen Abhilfemaßnahmen tatsächlich nachhaltig wirksam sind.“
Die Prüfer warnen weiters davor, dass die Maßnahmen der EU, welche zum Einfrieren von rund 22 Milliarden Euro an für Ungarn bestimmte Zahlungen geführt haben, nur 55 Prozent aller Geldflüsse aus Brüssel nach Budapest betreffen. Vom Risiko, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufgaben rechtswidrig getrickst wird, seien „jedoch grundsätzlich alle öffentlichen Ausschreibungen im Rahmen sämtlicher Programme betroffen“
Geld freigeben leichter als einfrieren
Und schließlich sei zu befürchten, dass „die Anwendung der Konditionalitätsverordnung als reines Abhaken von Anforderungen verstanden wird, die zu keiner realen Veränderung der Situation vor Ort führt.“Diese genannten Risiken würden umso schwerer wiegen, „als es unter Umständen leichter ist, Mittel freizugeben, als sie einzufrieren (oder erneut einzufrieren)“.