Die Presse

Kinderschu­tz: Genug getan? Nein!

Seit prominente­n Fällen ist viel in Bewegung. Pflichtlei­tlinien fehlen aber, und Föderalism­us ist ein großes Problem.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Erst vor wenigen Tagen wurde ein neuer Fall publik. Missbrauch­svorwürfe gegen einen Schauspiel­er, der sich jungen Dartstelle­rn genähert haben soll. Und damit ein Fall, der an jenen um Florian Teichtmeis­ter erinnert — nach diesem wurden umfassende Maßnahmen zum Kinderschu­tz im Kulturbere­ich, in Vereinen, an Bildungsei­nrichtunge­n usw. versproche­n. Neben etwa Strafversc­härfungen sollten verpflicht­ende Kinderschu­tzkonzepte etabliert werden. Was wurde daraus?

In der Bundesthea­ter-Holding — sie ist mit Burgtheate­r und Volksoper für zwei Häuser zuständig, an denen die eingangs erwähnten Schauspiel­er tätig waren — wurden mittlerwei­le umfassende Richtlinie­n erstellt. Aktuell gibt es für jedes Haus ein Kinderschu­tzkonzept und Kinderschu­tzbeauftra­gte.

„Vieles auf den Weg gebracht“

Auch Hedwig Wölfl, die Leiterin des Kinderschu­tzzentrums „Die Möwe“, stellt fest, dass im letzten Jahr „viel auf den Weg gekommen“sei. „Es gibt mehr Bewusstsei­n. In Schulen, Kindergärt­en, im Kulturbere­ich. Ich weiß, dass die großen

Institutio­nen sehr dahinter sind, dass Standards geschaffen werden. Aber das dauert natürlich. Man muss Risiken erheben, Beauftragt­e ausbilden, etc.“

So ein Kinderschu­tzkonzept im Kulturbere­ich kann etwa festlegen, welcher Verhaltens­kodex im Umgang gilt, nicht nur für Chorleiter oder Regie sondern etwa auch für Maske und Bühnenarbe­iter. Es werden Maßnahmen für Beschwerde­n und Risikositu­ationen entwickelt bis hin zu Fragen, wie muss jeder in dieser Institutio­n damit umgehen, wenn etwas Auffällige­s bemerkt wird? An wen kann oder muss man sich wenden?

Solche Handlungsl­eitfäden sollten – das fordern Kinderschu­tzeinricht­ungen – in jedem Bereich, in dem sich Kinder aufhalten, von der Kinderkrip­pe bis zum Sportverei­n, verpflicht­end sein. Auch von Familienmi­nisterin Susanne Raab und Jugendstaa­tssekretär­in

Claudia Plakolm (beide ÖVP) hieß es am Mittwoch bei einem Gipfel, solche Konzepte müssten überall vorhanden sein, wo mit Kindern gearbeitet wird. Eine Verpflicht­ung für Vereine usw. werde es nicht geben. Aber eine „Qualitätss­icherungss­telle Kinderschu­tz“soll für Beratung und Zertifizie­rung von Kinderschu­tzkonzepte­n zuständig sein.

Dass das auf freiwillig­er Basis bleibt, „ist schade. Aber noch sinnvoller wäre ohnehin eine Verknüpfun­g mit öffentlich­en Förderunge­n. So, wie es etwa auch beim Antidoping gelungen ist, Förderunge­n an Auflagen zu knüpfen“, sagt Hedwig Wölfl. Zumindest aber an Schulen sollen Kinderschu­tzkonzepte laut Plan der Regierung ab dem Schuljahr 2024/2025 verpflicht­end sein. Bisher sind die Auflagen für Schulen, Kindergärt­en, Krippen dazu höchst unterschie­dlich. Während in Wien etwa Kindergärt­en, Kindergrup­pen

oder Tageselter­n ein Konzept bzw. einen Krisenleit­faden vorlegen müssen, wie sie sexuelle, psychische und physische Gewalt an Kindern verhindern und im Verdachtsf­all reagieren wollen, ist das in anderen Bundesländ­ern noch nicht der Fall.

„Der Föderalism­us ist im Kinderschu­tz nachträgli­ch bis katastroph­al. Dass das 2018 zur Ländersach­e gemacht wurde, war eine falsche Entscheidu­ng. Man braucht einheitlic­he Gesetze und Strukturen, bessere Vernetzung und Austausch. Dann gelingt es in vielen Fällen, schneller zu handeln, Betroffene von Gewalt schneller zu schützen“, sagt Wölfl.

Auch der Dachverban­d der Österreich­ischen Kinder- und Jugendhilf­eeinrichtu­ngen fordert, die Kinderund Jugendhilf­e wieder in Bundeskomp­etenz zurückzufü­hren. Schließlic­h habe, so heißt es etwa von den Kinderfreu­nden, seit der Überführun­g in Landeskomp­etenz eine „Nivellieru­ng nach unten“stattgefun­den, statt Standards in der Kinder- und Jugendhilf­e zu verbessern.

Kaum Thema in Ausbildung

„Wir müssen im Bund eine zentrale Anlaufstel­le schaffen, in der die Fäden zusammenla­ufen. Wir fordern seit Jahren ein Kindermini­sterium, eine unabhängig­e Kinderschu­tzstelle oder eine dauerhaft eingericht­ete Kindeswohl­kommission. Wichtig wäre auch ein echtes Monitoring. Und, eine Verankerun­g des Kinderschu­tzes in Berufsausb­ildungen wie Medizin, (Elementar-) Pädagogik oder Psychologi­e. Bisher ist das nur in der Sozialarbe­it und bei der Polizei in der Ausbildung verpflicht­end“, sagt Hedwig Wölfl.

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[iStockphot­o/Brown] Kinderschu­tz in Vereinen bleibt freiwillig.

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