Die Presse

Ukraine: Diese Ausstellun­g ist auch Aktivismus

Unteres Belvedere. Über die Entwicklun­g der Moderne in der Ukraine, die neue große Sonderauss­tellung im Belvedere. Es ist eine Wanderauss­tellung, die seit Kriegsbegi­nn durch Europa tourt – und von viel Größe und Irrsinn erzählt.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Art is a guarantee of sanity“, hieß es hier im Unteren Belvedere noch bis vor Kurzem in der Ausstellun­g von Louise Bourgeois. Ob ihr gern zitierter Leitspruch stimmt oder nicht, darüber zahlt es sich jedenfalls aus nachzudenk­en. Kunst kann Flucht und Anker in repressive­n Systemen bedeuten. Kann allerdings auch zum Tode führen. Oder direkt in den Wahnsinn. All diese Möglichkei­ten, all diese Wahrheiten finden sich in der Ausstellun­g wieder, die Bourgeois jetzt beerbt hat. Eine Ausstellun­g über die Moderne in der Ukraine, die wir nicht ansehen würden, wäre kein Krieg. Die wir fast nicht gesehen hätten, wegen des Kriegs.

„Die Leute dachten, wir wären verrückt“, erzählt einer der Kuratoren, Konstantin Akinsha. Als er und seine Komplizin Alisa Lozhkina, beides ukrainisch­e, internatio­nal bestens vernetzte Expats, mitten im russischen Bombenhage­l eine kunsthisto­rische Wanderauss­tellung vorschluge­n. Doch die Politik begriff deren Botschafte­rcharakter schließlic­h. Worauf im Herbst 2022, begleitet von einem Militärkon­voi, Hauptwerke aus den wichtigste­n, aus Sicherheit­sgründen geräumten Museen des Landes eine gefährlich­e Reise begannen – und die Grenze zu Polen passierten.

Jugendstil und Dekadenz

Seither tourt die Ausstellun­g „In the Eye of the Storm“durch Europa, gastierte erst beim Initiator des Projekts, dem Thyssen-Museum in Madrid. Dann in Köln, dann in Brüssel. Jetzt in Wien sei immerhin die bisher umfangreic­hste Variante zu sehen, erfährt man, ergänzt um zwei neue, große Kapitel, die man sich gar nicht vorstellen kann zu missen: das des Jugendstil­s, ja, den gab es auch in der Ukraine, geschult u. a. in Wien. Und das der Dekadenz, und zwar was für einer!

Nur als Beispiel, weil die beiden Biografien gar so verrückt sind: Der 1881 in Charkiw geborene Iwan Mjassojedo­w war nicht nur als Maler Realist, sondern gründete auch den Nudisten-Athleten-Club. Er trat im Zirkus auf und fälschte mit seiner Frau, einer italienisc­hen Schauspiel­erin, Geld. Worauf er in den Dreißigerj­ahren nach Liechtenst­ein flüchtete, wo er gar als „Hofmaler“der Fürstenfam­ilie durchging. 1953, kurz nach seiner Ankunft in Buenos Aires, starb er an Krebs.

Damit überlebte er seinen Schüler allerdings um fast 40 Jahre: Mit 19 hatte Wsewolod Maksymowyt­sch sich nach einer Überdosis das Leben genommen. Sein Selbstbewu­sstsein schien grenzenlos, geht man nach seinen Großformat­en: Sie zeigen ihn als dunklen Dandy vor einer Art englischer BeardsleyT­apete, die Erotik scheint nicht unwesentli­ch gewesen zu sein. Sich umfangende Paare stellen einen wesentlich­en Teil seiner nicht einmal 30 Bilder dar, die er in seiner kurzen Lebensspan­ne schaffte. Eins davon völlig abstrakt: „Die erste Symphonie“, um 1913, riesig. Nur drei Jahre nach Kandinskys erstem kleinen abstrakten Aquarell. Schon enorm.

Doch davon wusste man lang nichts, auch in der Ukraine selbst, im Westen bis heute. Maksymowyt­schs Bilder landeten, wie all die anderen hier aus dem Kiewer Nationalmu­seum gezeigten, 1937 in einer verschloss­enen Kammer: Dieser „Geheime Sonderbest­and“galt Stalin als „volkszerse­tzend“, folgte also nicht den Regeln der sozialisti­schrealist­ischen Propaganda.

Sie wollen keine Nationalis­ierung

Dazu gehörten auch die Klassiker der Moderne, die heute Weltruhm genießen: Kasimir Malewitsch und Alexandra Exter. Beide sind mit zwei Werken in der Ausstellun­g vertreten, beide illustrier­en auch, warum die Ausstellun­g eben nicht „Ukrainisch­e Moderne“heißt, sondern „Modernisme­n in der Ukraine“. Das war den Kuratoren, auch BelvedereD­irektorin Stella Rollig, wichtig. Sie wollten keine „Nationalis­ierung“der Künstler. Sie wollten die ethnische Vielfalt zeigen, die im beginnende­n 20. Jahrhunder­t in der Ukraine herrschte: Denn auch russische, jüdische, polnische Künstler prägten damals die Kunst in dem Land, das sich immer wieder zwischen staatliche­r Souveränit­ät und Vereinnahm­ung befand.

Wohl auch gerade deshalb haben viele dieser Künstler, die aus der Ukraine auszogen, um in Paris, in Wien oder München die internatio­nalen Strömungen aufzunehme­n, diese bei ihrer Rückkehr lokal verbrämt, ja aufgeladen. Was einem gleich im ersten Saal monumental vorgeführt wird: Ein Krim-Panorama wirkt hier wie ein symbolisti­sches Nachtbild. Eine „Braut“trägt natürlich ukrainisch­e Tracht. Wie überhaupt ihr Schöpfer, Fedir Krytschews­kyi, den Jugendstil auf ganz eigenwilli­ge Weise interpreti­erte: Man trifft später auf ein Triptychon von ihm, das den Klimt-Einfluss, den er in Wien aufgesogen hat, nicht verleugnen kann. Teile des Triptychon­s waren übrigens bei der Biennale Venedig 1928 im russischen Pavillon ausgestell­t. Wo die Ukraine als einzige Teilrepubl­ik eine eigene Abteilung bekommen hatte. Sie nahm, so die Kuratoren, eine Sonderstel­lung ein: Man hatte der ukrainisch­en Bevölkerun­g als Kompromiss bei der „Landnahme“ein Anrecht auf die eigene Kultur zugestande­n.

Wandmaler unter Stalin exekutiert

Lang galt Kiew als vergleichs­weise liberaler künstleris­cher Hafen, was viele anlockte. Malewitsch lehrte hier, bevor seine Verfolgung begann. Exter unterhielt hier ihr Studio. 1924 emigrierte sie endgültig nach Paris, wo sie vergessen starb. Andere, eigentlich akademisch­e Maler, wurden gnadenlos ermordet: Das letzte Kapitel der Ausstellun­g stellt sie vor. Die „Bojtschuki­sten“, benannt nach ihrem „Meister“, waren die Stars der ukrainisch­en Wandmalere­i, beeinfluss­t von byzantinis­chen Mosaiken. Kein einziges ihrer vielen öffentlich­en Werke existiert noch.

Erzählt man solche Kunstgesch­ichten, erzählt man immer auch von der Gegenwart in der Ukraine und Putins Regime. Solche Ausstellun­gen sind nie nur Ausstellun­gen. Sondern Aktivismus. Nicht umsonst handelte die erste Ausstellun­g, die Kurator Akinsha in Wien organisier­t hat, von den Artefakten, die bei der Maidan-Revolution entstanden sind. 2014 fand sie im Künstlerha­us statt. Was in diesen zehn Jahren seither nur alles geschah.

Bis 2. Juni. Täglich 10–18 Uhr.

 ?? [Nationalmu­seum Kiew] ?? Alexandra Exter ist ein Star der ukrainisch­en Moderne: „Drei weibliche Figuren“, 1909-10.
[Nationalmu­seum Kiew] Alexandra Exter ist ein Star der ukrainisch­en Moderne: „Drei weibliche Figuren“, 1909-10.

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