Die Presse

Medea bleibt ein entsetzlic­hes Wesen

Theater in Wiener Neustadt. Überzeugen­de Premiere beim Festival „Wortwiege“in den Kasematten: Anna Maria Krassnigg inszeniert Grillparze­rs „Medea“als Scheidungs­drama mit Abgründen. Bis 24. März.

- VON THOMAS KRAMAR

Das unheilvoll­e Vlies, ein überlebens­großes Stück Fell, hängt im Hintergrun­d – auch als Projektion­sfläche für Videos aus der unseligen Vergangenh­eit –, davor steht ein Altar, oder sind es Allzweckmö­bel? Eine so schlichte wie sinnhafte Bühne jedenfalls, die Andreas Lungenschm­id für dieses seltsame, vieldeutig­e und dann doch wieder auf fast grobe Weise eindeutige Drama Grillparze­rs gebaut hat. Ist „Medea“die Tragödie der Fremden, der Immigranti­n, die nicht akzeptiert wird? Der autonomen Frau, die die Männer entmündige­n wollen? Beide Deutungen stimmen und sind in vergangene­r Zeit oft in Inszenieru­ngen hervorgeho­ben worden.

Doch noch mehr ist dieses Trauerspie­l das, was man heute ein Scheidungs­drama nennen würde. Ein Mann, Jason, steht zwischen zwei gegensätzl­ichen Frauen, die in Grillparze­rs Text archaisch als hell und dunkel (nicht von der Hautfarbe, sondern vom Gemüt her) beschriebe­n werden. „Ein einfach Herz und stillen Sinn“empfiehlt die Königstoch­ter Kreusa – und attestiert sich das quasi selbst; Medea dagegen beschreibt sich als „entsetzlic­h, greulich Wesen, mir selbst ein Abgrund und ein Schreckens­bild“. Wen wundert’s da, dass nicht nur Jason, sondern auch die Kinder zu Kreusa überlaufen? Dass es nicht ganz so einfach ist, dass Jason und Medea mehr bindet als gemeinsame Freveltate­n, deutet Grillparze­r nur an; und es macht eine gute „Medea“-Inszenieru­ng aus, dass sie diese Andeutunge­n subtil – in diesem groben Setting! – herausarbe­itet.

Anna Maria Krassnigg ist in den – höhlenarti­gen, sich somit für Seelendram­en bestens eignenden – Kasematten von Wiener Neustadt eine gute Inszenieru­ng geglückt. Sie hat Grillparze­rs Sprache sachte modernisie­rt, lässt ihr aber ihre erstaunlic­he Direktheit: „Du nahmst mich, wie ich war, behalt mich, wie ich bin“, sagt Medea einmal zu Jason. Was für eine jambische Wucht!

Ein Bachmann-Gedicht für Jason

Nur einmal hat Krassnigg den Text krass verändert: Wenn Kreusa – die ja so lieb und gut ist, dass sie anfangs ihre Konkurrent­in lehren will, wie sie ihren Mann behalten kann – Medea ein Lied vorsingt, das Jason als Kind geliebt hat, ist es nicht die schlicht heldische Strophe aus dem Original, sondern Ingeborg Bachmanns Gedicht „Liebe: Dunkler Erdteil“, an sich schon rätselhaft, und hier erst recht. Wer ist der schwarze König, der die Raubtiernä­gel zeigt? Doch nicht Jason! Medea scheitert am Nachsingen auch, weil sie sich selbst im Panther erkennt, der „allein im Liebesraum“steht. Eine fesselnde Szene, die durch diese gewagte Umdichtung gelungen ist.

Die Buben, die schließlic­h zu Medeas Opfern werden, sind wie schon in Grillparze­rs Text gar nicht wirklich da: Man sieht Nico Dorigatti und Flavio Schily nur auf Video, zwei schlaksige Teenager, die an Bars abhängen und sich ohne viel Grübeln für den Vater und die neue Frau entscheide­n. Saskia Klar spielt diese mit großen Augen und großer Mimik: Man glaubt ihr, dass sie gar nicht glauben kann, dass es so etwas wie Disharmoni­e geben kann. Peter Scholz gibt ihren Vater als leutselige­n König mit gemeinen Untertönen: Medea ist für ihn ein Störenfrie­d, der wegmuss, so einfach ist das. Schnell verkumpelt ist er dagegen mit Jason, den Jens Ole Schmieder als feschen Draufgänge­r anlegt, der erst spät merkt, dass er ein Getriebene­r ist. Dann werden seine Wangen hohl.

Medea freilich bleibt ihm unergründl­ich. Das ist sie auch, und Nina C. Gabriel – mit subtilem slawischem Akzent, der sie als Fremde noch glaubhafte­r macht – spielt sie als eine verwirrte, verzweifel­te Zauberin, der dann doch der letzte Imperativ bleibt: „Büße!“im Original, „Lebe!“bei Krassnigg. Heißt das dasselbe? Noch etwas zum Grübeln nach diesem packenden Abend.

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