Medea bleibt ein entsetzliches Wesen
Theater in Wiener Neustadt. Überzeugende Premiere beim Festival „Wortwiege“in den Kasematten: Anna Maria Krassnigg inszeniert Grillparzers „Medea“als Scheidungsdrama mit Abgründen. Bis 24. März.
Das unheilvolle Vlies, ein überlebensgroßes Stück Fell, hängt im Hintergrund – auch als Projektionsfläche für Videos aus der unseligen Vergangenheit –, davor steht ein Altar, oder sind es Allzweckmöbel? Eine so schlichte wie sinnhafte Bühne jedenfalls, die Andreas Lungenschmid für dieses seltsame, vieldeutige und dann doch wieder auf fast grobe Weise eindeutige Drama Grillparzers gebaut hat. Ist „Medea“die Tragödie der Fremden, der Immigrantin, die nicht akzeptiert wird? Der autonomen Frau, die die Männer entmündigen wollen? Beide Deutungen stimmen und sind in vergangener Zeit oft in Inszenierungen hervorgehoben worden.
Doch noch mehr ist dieses Trauerspiel das, was man heute ein Scheidungsdrama nennen würde. Ein Mann, Jason, steht zwischen zwei gegensätzlichen Frauen, die in Grillparzers Text archaisch als hell und dunkel (nicht von der Hautfarbe, sondern vom Gemüt her) beschrieben werden. „Ein einfach Herz und stillen Sinn“empfiehlt die Königstochter Kreusa – und attestiert sich das quasi selbst; Medea dagegen beschreibt sich als „entsetzlich, greulich Wesen, mir selbst ein Abgrund und ein Schreckensbild“. Wen wundert’s da, dass nicht nur Jason, sondern auch die Kinder zu Kreusa überlaufen? Dass es nicht ganz so einfach ist, dass Jason und Medea mehr bindet als gemeinsame Freveltaten, deutet Grillparzer nur an; und es macht eine gute „Medea“-Inszenierung aus, dass sie diese Andeutungen subtil – in diesem groben Setting! – herausarbeitet.
Anna Maria Krassnigg ist in den – höhlenartigen, sich somit für Seelendramen bestens eignenden – Kasematten von Wiener Neustadt eine gute Inszenierung geglückt. Sie hat Grillparzers Sprache sachte modernisiert, lässt ihr aber ihre erstaunliche Direktheit: „Du nahmst mich, wie ich war, behalt mich, wie ich bin“, sagt Medea einmal zu Jason. Was für eine jambische Wucht!
Ein Bachmann-Gedicht für Jason
Nur einmal hat Krassnigg den Text krass verändert: Wenn Kreusa – die ja so lieb und gut ist, dass sie anfangs ihre Konkurrentin lehren will, wie sie ihren Mann behalten kann – Medea ein Lied vorsingt, das Jason als Kind geliebt hat, ist es nicht die schlicht heldische Strophe aus dem Original, sondern Ingeborg Bachmanns Gedicht „Liebe: Dunkler Erdteil“, an sich schon rätselhaft, und hier erst recht. Wer ist der schwarze König, der die Raubtiernägel zeigt? Doch nicht Jason! Medea scheitert am Nachsingen auch, weil sie sich selbst im Panther erkennt, der „allein im Liebesraum“steht. Eine fesselnde Szene, die durch diese gewagte Umdichtung gelungen ist.
Die Buben, die schließlich zu Medeas Opfern werden, sind wie schon in Grillparzers Text gar nicht wirklich da: Man sieht Nico Dorigatti und Flavio Schily nur auf Video, zwei schlaksige Teenager, die an Bars abhängen und sich ohne viel Grübeln für den Vater und die neue Frau entscheiden. Saskia Klar spielt diese mit großen Augen und großer Mimik: Man glaubt ihr, dass sie gar nicht glauben kann, dass es so etwas wie Disharmonie geben kann. Peter Scholz gibt ihren Vater als leutseligen König mit gemeinen Untertönen: Medea ist für ihn ein Störenfried, der wegmuss, so einfach ist das. Schnell verkumpelt ist er dagegen mit Jason, den Jens Ole Schmieder als feschen Draufgänger anlegt, der erst spät merkt, dass er ein Getriebener ist. Dann werden seine Wangen hohl.
Medea freilich bleibt ihm unergründlich. Das ist sie auch, und Nina C. Gabriel – mit subtilem slawischem Akzent, der sie als Fremde noch glaubhafter macht – spielt sie als eine verwirrte, verzweifelte Zauberin, der dann doch der letzte Imperativ bleibt: „Büße!“im Original, „Lebe!“bei Krassnigg. Heißt das dasselbe? Noch etwas zum Grübeln nach diesem packenden Abend.