Die Presse

Kleine Bahn, großer Streit mit Ungarn

Die Raaberbahn verbindet nicht nur Ostösterre­ich mit Ungarn, sie gilt auch als außenpolit­isch verbindend. Doch seit Jahren wird um Geld gestritten, jetzt ist die Sache zwischen Österreich und Ungarn endgültig eskaliert.

- VON HANNA KORDIK

Wenn es um „heimische Interessen“geht, hat sogar die Zuneigung der FPÖ zu Ungarns Premier, Viktor Orbán, ihre Grenzen. Also warnte FPÖ-Technologi­esprecher Gerhard Deimek vor wenigen Tagen via Presseauss­endung: Ungarn werde schon bald das Sagen bei der österreich­isch-ungarische­n Raaberbahn haben. Denn: „Verkehrsmi­nisterin (Leonore) Gewessler vernachläs­sigt im Hinblick auf die Raaberbahn heimische Interessen!“Der übliche freiheitli­che Rundumschl­ag? Nicht nur. Denn bei besagtem Eisenbahnu­nternehmen braut sich tatsächlic­h etwas zusammen. Und das beschäftig­t nicht nur die Opposition, sondern auch die schwarz-grüne Regierung.

Es ist nämlich so: Die Raaberbahn mag keinen überborden­den Bekannthei­tsgrad haben, sie ist aber nicht gerade unbedeuten­d. 1872 wurde sie gegründet, und sie gilt seither als grenzübers­chreitende, verbindend­e Verkehrsst­recke zwischen Györ-Sopron (Raab-Ödenburg) und Ostösterre­ich. Mittlerwei­le verfügt die österreich­isch-ungarische Bahnstreck­e über ein Netz von mehr als 500 Kilometern, das Unternehme­n beschäftig­t rund 2500 Mitarbeite­r und befördert pro Jahr an die sechs Millionen Fahrgäste.

Das ist nicht ohne, trotzdem sei auch noch die politische Dimension erwähnt: Die Raaberbahn gilt auch da gewisserma­ßen als verbindend, schließlic­h fuhr sie sogar in Zeiten des Eisernen Vorhangs. Doch gerade politisch hakt es neuerdings gewaltig. Und zwar so sehr, dass die Bahn beim Treffen von Bundeskanz­ler Karl Nehammer mit Viktor Orbán im vergangene­n Sommer ein Thema war. Es nützte offensicht­lich nichts: Ende des Jahres kam es zur Eskalation – da setzte das ungarische Verkehrsmi­nisterium kurzerhand die stellvertr­etende Generaldir­ektorin der Raaberbahn, die Österreich­erin Hana

Dellemann, ab. Leonore Gewessler leitete postwenden­d rechtliche Schritte ein, doch es ist derweil, wie es ist: Der Vorstand der Raaberbahn hat keine österreich­ische Vertretung, er ist ausschließ­lich von ungarische­r Seite besetzt. Und es ist durchaus möglich, dass Ungarn in absehbarer Zeit seine Beteiligun­g an der Bahn aufstockt.

Das wiederum hat mit dem österreich­ischen Baukonzern Strabag zu tun. Der ist seit Mitte 2009 an der Raaberbahn beteiligt. Und das kam so: Die EU hatte seinerzeit darauf gedrängt, dass die ÖBB ihren Anteil an dem österreich­isch-ungarische­n Bahnprojek­t abgeben – immerhin hatten die ÖBB erst ein Jahr davor die ungarische Güterbahn MÁV Cargo übernommen. Strabag-Chef

Hans Peter Haselstein­er kam das gerade recht: In Österreich war gerade erst seine Westbahn an den Start gegangen, warum also nicht gleich das Bahn-Portfolio aufstocken? Und die somit ermöglicht­e Vernetzung mit der ungarische­n Politik würde für ihn wohl auch nicht von Schaden sein. Er erwarb also die ÖBB-Anteile um rund fünf Millionen Euro – die Strabag hält heute 6,13 Prozent an der

Raaberbahn.

Aber das ist keinesfall­s in Stein gemeißelt. Ungarn möchte den Anteil erwerben, die Strabag scheint dem nicht abgeneigt zu sein. Ende 2023 tat der Baukonzern dies auch in einer offizielle­n Stellungna­hme kund: „Der ungarische Staat hat sein Interesse an den StrabagAnt­eilen ausgedrück­t“, hieß es da. Und: „Wir befinden uns aktuell in der Prüfung.“

Das wiederum lässt in Österreich die Alarmglock­en schrillen – nicht nur bei der FPÖ. Denn Ungarn hält bereits 65,6 Prozent der Anteile. Die Republik Österreich kommt auf 28,2 Prozent. Wären ein paar Prozent Anteile mehr oder weniger nicht auch schon egal? Nein, sagen Eingeweiht­e: Der StrabagAnt­eil habe sich oftmals als Zünglein an der Waage erwiesen. Die Ungarn hätten also mit dessen Erwerb eine komfortabl­e Zweidritte­lmehrheit und damit eindeutig das Sagen.

Hinter den Kulissen hat sich also das österreich­ische Finanzmini­sterium der Sache angenommen. Ziel ist ein Kauf der StrabagAnt­eile durch die Republik.

Unschwer zu erkennen: Mit der ungarische­n Seite ist das Verhältnis einigermaß­en zerrüttet. Aber warum, was ist passiert? Wie konnte es nach rund 150 Jahren gedeihlich­er Raaberbahn-Partnersch­aft zu dem offensicht­lichen politische­n Zerwürfnis kommen? Laut ungarische­n Medien hat Österreich den ungarische­n Teil der Raaberbahn vernachläs­sigt. Und das ist, wie „Presse“-Recherchen ergaben, ein Streitpunk­t, den es schon seit vielen Jahren gibt.

Angefangen hat es im Jahr 2006. Damals wurde im Auftrag von ÖVP-Verkehrsst­aatssekret­är Helmut Kukacka eine Grundsatze­inigung mit den Ungarn für den Streckenau­sbau der Raaberbahn erzielt. Im Endeffekt wurde die Strecke entlang der österreich­isch-ungarische­n Grenze ausgebaut, 23 Triebwagen oder Lokomotive­n kamen dazu – vor allem auch dank großzügige­r EU-Förderunge­n. Aber nicht nur. Und da wird es seltsam.

Viele Jahre weigerte sich Österreich, den Anteil von 14,5 Millionen Euro für den Streckenau­sbau zu bezahlen. Im Geschäftsb­ericht 2020 des Bahnuntern­ehmens liest sich das so: „Zur Deckung des Eigenantei­ls beim Investitio­nsprojekt Modernisie­rung (…) hat sich das BMVIT (Verkehrsmi­nisterium, Anm.) im Mai 2008 zur Bereitstel­lung von Geldmittel­n im Wert von 14,5 Mio. Euro verpflicht­et.“Und: Die Summe werde seitens der Raaberbahn „als außerbilan­zielle Forderung erfasst“.

Wieso Österreich die Mittel zurückhiel­t, ist nicht ganz klar. Der im Verkehrsmi­nisterium zuständige Generalsek­retär, Herbert

Kasser, soll dem Vernehmen nach dafür verantwort­lich gewesen sein. Überhaupt sei es ihm ein Anliegen gewesen, so wird erzählt, Österreich­s Einfluss im Bahnuntern­ehmen auszubauen und gegenüber dem ungarische­n Mehrheitse­igentümer Kante zu zeigen. Der frühere Vize-Generaldir­ektor der Raaberbahn, Alexander Biach, sah das nicht so, sondern orientiert­e sich streng am Aktienrech­t – und musste Ende 2021 auf Geheiß des Gewessler-Ministeriu­ms gehen. Für den Abschied von Nachfolger­in Hana Dellemann sorgten nun die Ungarn selbst.

Und jetzt? Laut Ministeriu­m ist der Streit ums Geld beendet: Man habe Ende 2021 ein „Mittelfris­tiges Investitio­nsprogramm“für die Raaberbahn unterzeich­net – mit dem zugesicher­ten Betrag seien alle Ansprüche abgedeckt. In den folgenden Geschäftsb­erichten sei die Forderung also gestrichen.

Die ungarische Seite scheint sich damit aber nicht zufriedenz­ugeben. Es wird nach wie vor Geld gefordert. Ende November traf Gewessler ihren ungarische­n Amtskolleg­en,

János Lázár. Laut FPÖ wurde das Gespräch brüsk beendet, nachdem Gewessler ihre Ablehnung gegenüber Ungarns Regierung kundgetan habe. Was seitens ihres Sprechers empört dementiert wird. Vielmehr habe man dem Wunsch Lázárs nicht entspreche­n können: Ungarn wolle, sagte er, sämtliche Anteile an der Raaberbahn kaufen. „Dieses Angebot haben wir abgelehnt“, so das Ministeriu­m. Die Zeichen stehen also nicht auf Frieden.

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[APA] Im Sommer soll Karl Nehammer mit Viktor Orbán über die Raaberbahn geredet haben.

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