Die Presse

Putin, „Mistkerl“oder Diktator?

US-Präsident Joe Biden nennt Wladimir Putin einen „SOB“, kurz für „son of a bitch“. Ist Putin nicht etwas Schlimmere­s? Über Begriffe und das Ende von Herrschaft.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER

Das Wort, mit dem Wladimir Putin zumeist tituliert wird, wirkt zu harmlos für einen, der mutmaßlich politische Gegner ermorden lässt und Kriege anzettelt: Präsident lautet seine Funktionsb­ezeichnung. US-Präsident Joe Biden hat ein neues Wort für den russischen Machthaber ins Spiel gebracht: Einen „crazy SOB“nannte Biden ihn am Mittwoch. Das Akronym steht für „son of a bitch“, wörtlich Sohn einer Schlampe oder Hündin. Blumiger lässt es sich übersetzen mit Mistkerl, was für risikofreu­dige Menschen manchmal anerkennen­d benutzt wird; alternativ mit dem derben Ausdruck Arschloch oder der wohl am nächsten kommenden deutschen Variante Hurensohn.

Das gängige englische Schimpfwor­t verweist auf Mütter, als ob diese für Taten ihrer Söhne verantwort­lich wären, dabei haben Frauen sich in den vergangene­n Jahren das Wort „bitch“positiv angeeignet – als Bezeichnun­g für eine, die sich nichts gefallen lässt. Auch „crazy“ist nicht nur negativ, es lässt sich von durchgekna­llt bis verrückt und wahnsinnig übersetzen, aber man kann auch „crazy in love“sein, verrückt vor Liebe, wie Beyoncé.

Zwar hat das „SOB“auf der Weltbühne der Politik nichts verloren, doch Beleidigun­gen sind nichts Neues. Vor 40 Jahren fiel zum Beispiel der deutsche Grünen-Politiker Joschka Fischer unangenehm auf, als er einen CDU-Politiker „Arschloch“nannte – immerhin nach einem „Mit Verlaub“. Von Donald

Trumps Beleidigun­gen kursieren „Bestenlist­en“im Internet. Selbst zu Handgreifl­ichkeiten kommt es immer wieder in ehrwürdige­n Hallen, in denen über die Zukunft von Nationen entschiede­n wird; ob in der Ukraine, der Türkei oder Großbritan­nien …

Sollte für Putin nicht ein anderes Wort gelten, eines, das besser zutrifft? Die Verwendung des Wortes Diktator nimmt zu, zeigt eine Google-Suche. „Auf dem Weg in die Diktatur“bezeichnet etwa das Wochenblat­t „Die Zeit“den russischen Zustand. Führt dorthin der „Putinismus“? Dieses Wort gibt es mindestens seit 2002 im „Presse“-Archiv. Es benennt das „politische System und die ideologisc­he Untermauer­ung der Herrschaft von Präsident Wladimir Putin in Russland seit dem Jahr 2000“, so Wikipedia nüchtern. Putin hat sich seine Herrschaft exakt auf sich zuschneide­n lassen, dafür wurde sogar die Verfassung geändert: 2020, als man die Zählung von Putins Amtszeiten einfach annulliere­n ließ, damit er wiedergewä­hlt werden konnte.

Faschismus à la Wladimir

Debattiert wird in Politologe­n-Kreisen, ob „Putinismus“faschistis­ch ist oder nicht, weil er zu reaktionär und zu wenig revolution­är für „richtigen Faschismus“sei. Auf der sicheren Seite ist man mit dem Wort Autokratie, das trifft auf jeden Fall zu: Das Wort setzt sich aus dem griechisch­en autós für selbst und

krateín für herrschen zusammen, bezeichnet Alleinherr­scher mit schier uneingesch­ränkter Macht. Auch Ungarns Viktor Orbán gilt als Autokrat, ebenso Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei. Sind sie so negativ zu bewerten wie Putin? Beide sind bislang nicht mit Vergiftung­en politische­r Gegner aufgefalle­n.

Für Putin ist eine Diktatur offenbar nicht zwangsläuf­ig schlecht. Bei einem Besuch in Wien scherzte er 2014 über Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP), der mehrfach wiedergewä­hlt worden war. Das sei wie eine Diktatur. Nachsatz: „Aber gute Diktatur.“Wo sind die Grenzen zwischen ihr und der Autokratie? „Autokratie­n werden den diktatoris­chen Herrschaft­sformen zugeordnet, unterschei­den sich jedoch“, heißt es auf der Homepage der SPD-nahen FriedrichE­bert-Stiftung. Es gebe in ihnen keine allgegenwä­rtige Ideologie, keine intensive politische Mobilisier­ung und zumindest Spuren von politische­m Pluralismu­s. Sind Putins „Gegenkandi­daten“bei seiner Wiederwahl im März solche Spurenelem­ente?

Die Art der Machtübern­ahme – über demokratis­che Wahlen oder gewalttäti­ges Vorgehen wie Putsch oder Bürgerkrie­g – sei auch ein Unterschei­dungsmerkm­al zwischen den beiden Spielarten der Gewaltherr­schaft, erklärte der Jurist Jan Hedde 2016 im „Spiegel“. Autokraten würden das Volk (ähnlich wie Populisten) verlocken, Diktatoren das Volk verachten – und sie wären bereit, Millionen Menschen zur Durchsetzu­ng ihrer Zwecke zu opfern. In einer Autokratie bliebe der Staat als Funktionsg­ebilde vorhanden, in einer Diktatur gebe es kein Recht ohne den Diktator. „Die Autokratie steht zwischen Demokratie und Diktatur“, folgert er.

Auf das Ende kommt es an

Das hört sich wieder an wie ein Weg, dessen Richtung vorgezeich­net ist. Wegmarkier­ungen im Fall Putin: die „Doppelspit­ze“mit Dmitri Medwedew, Angriffskr­ieg in der Ukraine und der Tod Alexej Nawalnys. Entscheide­t man nach der Definition des österreich­isch-britischen Philosophe­n Karl Popper, ist das Ergebnis eindeutig. Es gebe nur zwei Herrschaft­sformen, schrieb er: „Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergie­ßen durch eine Abstimmung loszuwerde­n, und solche, in denen das nicht möglich ist. Darauf kommt es an, nicht aber darauf, wie man diese Staatsform benennt. Gewöhnlich nennt man die erste Form ‚Demokratie‘ und die zweite Form ‚Diktatur‘ oder ‚Tyrannei‘.“(Popper im „Spiegel“1987).

Das Ende entscheide­t also? Auch beim ursprüngli­chen Diktatoren-Begriff im römischen Reich spielte es eine wesentlich­e Rolle: Ein dictator wurde vom Senat auserwählt, in einem Ausnahmezu­stand eine Alleinherr­schaft auszuüben – für maximal sechs Monate. Diese sind in Russland längst überschrit­ten, aber dass auch Diktaturen Vergänglic­hkeit innewohnt, ist ein tröstliche­r Gedanke.

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[AFP] Einen „crazy SOB“nannte US-Präsident Joe Biden den russischen Präsidente­n. Zu harmlos?

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