Mit Licht Belastungsstörungen schneller heilen Ein Team um Sandra Siegert experimentiert am Ista in Klosterneuburg mit Immunzellen des Gehirns und einer gezielten Lichttherapie. Die Hoffnung: unkomplizierte und rasche Hilfe bei psychischen Erkrankungen.
Albträume, Schlafstörungen, Flashbacks, Bedrohungsgefühle und Angst – die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) können zu schweren sozialen und beruflichen Einschränkungen führen. Ausgelöst wird die Erkrankung durch Krieg, (sexualisierte) Gewalt, eine Katastrophe oder einen Unfall. Ihre Behandlung ist langwierig und kann Jahre dauern.
Die Therapiezeit bei PTBS oder anderen psychischen Erkrankungen wie Depression zu verkürzen und die Nebenwirkungen der sonst eingesetzten Medikamente zu vermeiden – das könnten die Vorteile eines neuen neurowissenschaftlichen Ansatzes mit Licht sein, an dem Sandra Siegert am Institute of Science und Technology Austria (Ista) in Klosterneuburg (Niederösterreich) forscht. Medikamente bringen zudem nicht für alle die gewünschten Ergebnisse. Bei Depression spricht etwa ein Drittel der Patientinnen und Patienten nicht oder nur kaum auf die Therapie an.
Der Zusammenhang sei ein Zufallsfund gewesen, meint Siegert, die mit ihrer Gruppe zu Mikroglia arbeitet. Die Existenz dieser Immunzellen des Nervensystems ist zwar seit hundert Jahren bekannt, über ihr Aufgabenrepertoire gibt es aber wenig Wissen. „Man dachte lang, die Immunzellen werden nur aktiviert, wenn das Gehirn verletzt ist, damit keine Bakterien hineingelangen. Dieses Dogma fällt langsam“, erklärt die Neurowissenschaftlerin. „Die Immunzellen sitzen nicht statisch im Gehirn, sondern tasten konstant Nervenzellen ab und überprüfen ihre Verbindungen.“Mikroglia können diese Verbindungen sogar entfernen.
2015 vom MIT (Massachusetts Institute of Technology, USA) kommend ging Siegert am Ista diesen Zusammenhängen nach. Sie wollte herausfinden, inwieweit die Immunzellen wissen, wann sie Synapsen auflösen und wann sie diese in Ruhe lassen sollen. Dazu untersuchten sie im Mausmodell, wie sich Mikroglia bei der Gabe von Ketamin (Narkosemittel) verhalten. „Bei einer Anästhesie werden die neuronalen Aktivitäten der Nervenzellen herunterreguliert: ein mögliches Zeichen für die Immunzellen, dass etwas nicht stimmt“, so Siegert.
Wie erwartet wurden die Mikroglia auch tätig – aber sie agierten nicht an den Nervenverbindungen, sondern an einer netzgleichen extrazellulären Struktur, die bestimmte Nervenzellen umschließt. Das Besondere: „Durch dieses Netz sind die Nervenzellen vor Veränderungen geschützt. Ob gute oder schlechte, Veränderungen sind schwierig möglich.“Unter Anästhesie entfernen die Mikroglia die Blockierungen – vorübergehend. Der ideale Moment für eine Therapie. „Innerhalb einer Woche baut sich die Struktur wieder auf. Das ist ein Fenster der Möglichkeiten, um falsche Verbindungen aufzubrechen und neue einzubauen“, resümiert Siegert. „Und die bleiben dann, wenn das Netz wieder da ist.“
Inspiriert von einer MIT-Studie, die zeigte, dass Licht, das 40 Mal pro Sekunde (40 Hertz) flackert, Mikroglia dazu anregen kann, im Gehirn von Menschen mit Alzheimer Plaques (Amyloid-Klumpen, die Ausgangspunkt für den Nervenzelltod und den damit einhergehenden Gedächtnisverlust sind) zu entfernen. Siegerts Gruppe probierte daraufhin aus, mit welcher Lichtstimulation ähnliche Effekte wie mit Ketamin erzeugt werden können. Und siehe da: Bei 60 Hertz wurden die Mikroglia aktiviert und begannen, die Netzstruktur zu entfernen „Nicht so dramatisch, wie bei der Ketamin-Therapie, aber genug, um neue Verbindungen zu erschaffen“, sagt die Neurowissenschaftlerin.
Eine kürzlich bewilligte Förderung vom Europäischen Forschungsrat (ERC) will sie in den kommenden eineinhalb Jahren nutzen, um das Konzept in einem Modell der PTBS anzuwenden. Anschließend sollen die Ergebnisse in eine medikamentenfreie Behandlungsalternative beim Menschen überführt werden.
Im Idealfall setzt die Therapie bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung zwölf Stunden nach der Stresssituation ein – doch dies ist nur selten möglich. Im Mausmodell untersuchen Siegert und ihr Team deshalb auch Fälle, in denen sich die Erinnerung an das Erlebnis (ein elektrischer Impuls, von der Intensität her wie die Berührung eines statisch geladenen Kleidungsstückes) schon länger in die Netzstruktur im Gehirn eingraviert hat, angefangen von einem Tag bis hin zu mehreren Wochen. Üblicherweise zeigen die Mäuse Angst, wenn man sie in die Umgebung zurückbringt, in der sie den elektrischen Impuls erhalten haben.
Im Experiment erhält eine Gruppe von Tieren zurück in ihrem Nest eine 60-Hertz-Lichttherapie, eine zweite wird mit Licht derselben Intensität, aber ohne Flackern behandelt. In regelmäßigen Abständen werden die Mäuse nun in die „gefährliche“Umgebung zurückgebracht, um zu vergleichen, wie lang sie brauchen, bis das Erlebnis vergessen ist. Die Vermutung: Die Tiere der ersten Gruppe lernen dank nicht blockierter Verbindungen rascher als die anderen, dass die Umgebung jetzt sicher ist. Klappt alles, wird die neue Therapie nach Durchlaufen der klinischen Prüfphasen über das Startup Syntropic Medical angeboten.