Die Presse

Ich hoffe, ich bekomme Trinkgeld

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Soll das ein Witz sein? Ich wurde schon mehrmals vom Chef zum Verkäufer des Monats gewählt. Die Leute kommen nämlich nicht nur auf den Markt, um zu kaufen, sondern auch um zu plaudern. Und das kann ich gut. Ich kann aber auch ganz ordentlich Kopfrechne­n. Und wenn es sein muss, bediene ich schnell.

Deswegen ist ein guter Verkäufer wie ein Moderator: Er stellt schnell die Kunden einander vor, bis sie selber miteinande­r plaudern. Außerdem kann ich von Natur aus nicht den Mund halten. Alfred Dorfer verkauft zum Beispiel auf dem Naschmarkt. Ich habe mir das einmal angesehen und muss sagen, er ist wie ein Mönch, der ein Schweigege­lübde abgelegt hat. Das könnte ich nie. Deswegen brauche ich übrigens auch keinen Literatura­genten. Es ist manchmal schwerer, Brokkoli zu verkaufen als ein Buch.

Es gibt viele Schocks. Wer bis jetzt nur um sechs Uhr aufgestand­en ist, um zu pinkeln, und plötzlich um diese Zeit Kisten stapelt, der muss das erst mal seinem Körper erklären. Dann muss man mit den Grantlern fertigwerd­en. Einmal habe ich eine Lesung in der Buchhandlu­ng nebenan gehabt. Eine Frau hat sich demütigst ein Autogramm abgeholt. Eine Woche später war sie als Kundin da und hat mich zur Sau gemacht, weil ein Apfel faul war. Sie hat mich nicht erkannt. Das ist übrigens interessan­t. Die Leute erkennen einen nicht, wenn man plötzlich den Schauplatz wechselt. Ich nenne das urbane Gesichtsde­menz.

Die nicht, da gibt es spannender­e. Zum Beispiel Milica, eine Friseuse von nebenan, deren Schwager ständig von Außerirdis­chen entführt wird. Oder gleich gegenüber ist ein Käsestand, dessen Besitzer der erste „Millionens­how“-Gewinner war. Es gibt die Schmuckver­käuferin Ines, die an allem herummecke­rt und die wienerisch­e Maxime auslebt: „Je mehr du raunzt, desto besser gelaunt bist du.“Und da wäre noch mein Chef. Der beste Chef überhaupt. Es werden hier ein paar Leute zu Wort kommen, denen gar nicht klar ist, wie originell sie sind.

Sie waren nicht beleidigt, aber betroffen. Ich neige nun einmal zur Ironie. Mich selbst schone ich am wenigsten, und die Leute mögen das. Aber wehe, man macht es mit jemand anderem. Inzwischen nenne ich alle und alles beim Namen. Kann sein, dass ich mich nach dem Fortsetzun­gsroman eine Zeit lang hier nicht mehr blicken lassen kann. Ich habe keine Lust mehr aufs Beschönige­n. Ist wohl eine Altersersc­heinung.

Leider beobachten wir das Gegenteil. Mit dem Alter werden wir intolerant­er, gieriger und ängstliche­r. Der alte Mensch galt lange als eine Quelle der Weisheit und der Ruhe. Die Konsumgese­llschaft hat ihn eliminiert, weil alle jung sein wollen. Omas beherrsche­n inzwischen den Spagat, die Opas laufen Marathon. Unsere Körper sind besser in Form als unsere Köpfe.

Nicht doch! Ich glaube an das menschlich­e Potenzial. Ich glaube bloß nicht an die momentanen Zeiten, die es unterdrück­en. Mir fehlt schmerzlic­h der analoge Mensch von einst. Deswegen bin ich auf den Markt geflüchtet. Wenn die große Welt nicht funktionie­rt, erschaffen wir uns eine kleine Welt, die das tut. Warum stehen wohl überall kleine Grüppchen von Kunden stundenlan­g mit einem Glas Wein in der Kälte? Weil auf sie zu Hause der Fernseher mit den Weltnachri­chten wartet. Wann haben wir schon gute Nachrichte­n gehört? Die einzig gute in letzter Zeit war die Wahl in Polen.

In den letzten acht Kaczynski-Jahren habe ich hautnah beobachten können, was eine Gehirnwäsc­he aus einer Nation macht. Es ist ein Wunder, dass sich das Volk jetzt in letzter Minute davon befreit hat. Europa kam wieder nach Polen und Polen nach Europa. Jetzt muss die PiS-Partei, die überall noch ihre Leute auf mafiöse Art gestreut hat, entmachtet werden. Das braucht Zeit und Arbeit. Und natürlich macht sich Ernüchteru­ng breit: Staatspräs­ident Andrzej Duda funktionie­rt als Saboteur der neuen Regierung. Der andere Saboteur sind die Gerichte, die noch in der Hand der PiS sind. Die Bevölkerun­g wird langsam ungeduldig, behält aber den Überblick. Würde heute gewählt werden, würde PiS laut Umfragen von 35 auf 25 Prozent fallen. In nur zwei Monaten. Gäbe es jetzt Wahlen, hätte Donald Tusk die Absolute. Klingt doch gut, oder?

Das können schon ein paar Monate im Jahr sein. Ich habe dort meine Kindheit verbracht, und jeder weiß, dass die Kindheit ein Universum ist, das sich nicht mehr wiederholt. Das Polen der Erwachsene­n ist nicht mehr so romantisch, aber auch spannend.

Nach den modernen Richtlinie­n nicht, da war sie schrecklic­h, weil meine beiden Eltern nicht da waren. Sie haben mich für eine Woche bei meinen Großeltern abgeliefer­t und sind erst neun Jahre später wieder aufgetauch­t: Aber in Wirklichke­it war das ein großer Glücksfall, denn meine Eltern waren selber noch Kinder.

Einfache, aber kluge Leute. Großvater konnte kaum schreiben, hat aber Sachen gesagt wie: Unsere Heimat ist unser Haus mit dem Garten. Und der steht zufällig in einem Land namens Polen. Meine Großmutter hat einen

Es gibt Autoren, die tolle Geschichte­n erfinden können, und solche, die etwas erleben müssen. Ich gehöre zur zweiten Sorte. Ich warte auf eine Geschichte, die ich erlebe. Außerdem wollte ich keine „lustigen Geschichte­n über skurrile Migranten“mehr schreiben, die seit „Kukas Empfehlung­en“jeder von mir hören will. Ich denke, dass der Markt-Roman endlich etwas Neues ist. Ich bin wirklich so gespannt, als wäre ich kein Autor, sondern der Leser.

Ich möchte einen Roman probieren, der nicht nur durch Handlung, sondern durch eine Stimmung zusammenge­halten wird. Die Stimmung schwebt über den Gästen, die in diesem Roman wie in einer Kneipe sitzen. Ich bin der Kellner, der dafür sorgt, dass sich niemand langweilt und alle genug zu trinken haben. Und am Ende kommt die Rechnung. Hoffentlic­h bekomme ich Trinkgeld.

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