Die Presse

Dieses Projekt hält Wort

Malmös Neubauvier­tel Västra Hamnen (Westhafen) löst alle Verspreche­n farbenfroh­er Renderings ein: Hier wechseln sich gelb gepflaster­te Gassen ab mit Platzaufwe­itungen, Weilern, Grüninseln; zu entdecken gibt es Steinbrunn­en, Sitzecken, Tümpel.

- Von Harald A. Jahn

‘‘ Entlang der Wasserkant­e schützt eine Zeile mehrgescho­ßiger Wohnbauten das Idyll vor den Westwetter­lagen.

Es ist dies ein Bonmot unter Stadtplane­rn: Das beste Stadtentwi­cklungsgeb­iet Kopenhagen­s ist in Malmö. Die beiden Städte am 15 Kilometer breiten Øresund sind durch die im Sommer 2000 eröffnete Brücke über die Meerenge deutlich aufeinande­r zugerückt, das schwedisch­e Malmö wurde zum Einzugsgeb­iet der dänischen Hauptstadt. Auf der Kopenhagen­er Seite quert die mit der Brücke verbundene Autobahn das Entwicklun­gsgebiet Ørestad, das eher schroff und gar nicht „hygge“wirkt; in Malmö entstand dagegen ein Projekt, das alles hält, was die farbenfroh­en Renderings von Neubauvier­teln anderswo verspreche­n.

Malmö teilte das Schicksal vieler Arbeiterun­d Hafenstädt­e: Eine lange Krise der Schwerindu­strie vernichtet­e Zehntausen­de Arbeitsplä­tze und hinterließ Brachfläch­en in durchaus attraktive­r Lage am Meer. Die Erholung begann Ende des 20. Jahrhunder­ts, mit der Øresundbrü­cke kam der Boom in die „kleine Großstadt“, die mit ihren Pflasterst­raßen und Backsteinb­auten ein wenig an Gent oder Antwerpen erinnert. Der „Förstadtsk­analen“um das Zentrum definiert die Grenze zwischen Stadt und Hafen. Hier steht auch der alte Kopfbahnho­f, ebenfalls ein historisch­er Backsteinb­au; früher war hier Endstation, heute geht es weiter zu der Brücke, die alles verändert hat.

Jenseits der Gleistrass­e Richtung Meer sieht es sofort völlig anders aus – der Platzbedar­f der Industrie hat eine ganz andere Maßstäblic­hkeit entstehen lassen, weite Betonfläch­en prägen das Bild. Folgt man dem „Vorstadtka­nal“jedoch ein Stück weiter nach Westen, trifft man auf neue Landmarks: Das Hafenmeist­ergebäude von 1910 wurde um einen Zubau ergänzt, eine braune, stark gefaltete Blechstruk­tur der Architektu­rbüros Terroir und Kim Utzon umgreift den Altbau und soll als Scharnier Richtung Hafen fungieren.

Dreieckige Blech- und Glasfläche­n wechseln sich ab, dabei wirkt die dunkle Konstrukti­on angenehm harmonisch; der Verlockung, hier einen allzu harten Kontrast zum historisch­en Ziegelbau zu erzeugen, sind die Architekte­n nicht erlegen. Nun hat hier im „Tornhuset“die World Maritime University ihren Sitz, und zusammen mit den drei in der Höhe gestaffelt­en Hochhaustü­rmen dahinter – sie gehören zum ebenfalls neuen Veranstalt­ungs-, Konzert- und Konferenzz­entrum – wurde das Ensemble zum Instagram-tauglichen Symbol des neuen Malmö.

Hinter dem Blechschar­nier führt eine baumlose und daher leider etwas ungastlich­e Straßenach­se Richtung Hafen und zur neuen grünlich schimmernd­en Orkanen-Universitä­t.

Von der öffentlich­en Unibibliot­hek im fünften Stock geht der Blick weit über das Areal, über historisch­e und neue Hallenbaut­en, und hinter einer inzwischen zum Medienzent­rum verwandelt­en Backsteinh­alle sticht ein Projekt im Wortsinn heraus: Der Turning Torso von Santiago Calatrava ist mit 190 Metern nicht nur der zweithöchs­te Wolkenkrat­zer Skandinavi­ens, sondern auch das weithin sichtbare neue Wahrzeiche­n der Stadt – symbolträc­htig hat er den 2002 abgebauten gigantisch­en Kockumskra­n abgelöst. Wohnen und Freizeit verdrängen auch hier die Schwerindu­strie, heute steht der Kran in Südkorea. Der Trauer der Bevölkerun­g über diesen Verlust Rechnung tragend, hat die Hyundai-Werft den Kran am neuen Standort in Asien „Tränen von Malmö“getauft.

Im Jahr 2001 begann auf dem früheren Gelände der Kockums-Werft dann mit einer internatio­nalen Wohnbaumes­se die große Entwicklun­g, die die Westhafeni­nsel inzwischen prägt. Dabei war der Beginn ebenso holprig wie die nicht fertiggest­ellten Straßen, die sich durch das Ausstellun­gsgelände zogen; noch während der Messe wurden die Musterhäus­er bezogen, aber erst nach ihrem Ende konnte das Areal ohne Eintrittsk­arte betreten werden. Hier im Westhafen entstand mit „Bo01“(„Wohnen 01“) ein Stadtviert­el, das zum Besten gehört, was zeitgenöss­ische Stadtentwi­cklung zu bieten hat.

Ein Wasserlauf markiert das Entrée in diesen fast dörflich wirkenden Bereich mit seinem unregelmäß­igen Straßennet­z, das bewusst an malerische mittelalte­rliche Siedlungss­trukturen angelehnt wurde. Gelb gepflaster­te Gassen ohne Gehsteige wechseln sich mit kleinen Platzaufwe­itungen, Weilern, Grüninseln ab, die Kleinteili­gkeit der Strukturen ist der menschlich­en Schaulust angepasst, überall verzahnt sich die Aufmerksam­keit des Flaneurs mit Kleinigkei­ten am Straßenran­d – ein schön geformter Steinbrunn­en, dessen Wasser in eine offene Regenablau­frinne plätschert, gemütliche Sitzecken, eine dicht überwachse­ne Pergola über Fahrradabs­tellplätze­n, ein Tümpel mit einer Bank zur Rast. All das wirkt selbstvers­tändlich und unverkitsc­ht, die Vielfalt an Gebäudefor­men bleibt durch den häufigen Einsatz von Backstein und das viele Grün harmonisch, jede Ecke bietet neue angenehme Eindrücke – und das Calatrava-Hochhaus ist als Orientieru­ngspunkt fast immer über den niedrigen Wohnhäuser­n zu sehen.

Von diesem Turm führt eine etwas breitere Achse zum Meer, sie endet in einem zur Hälfte über die Küstenlini­e hinausgesc­hobenen quadratisc­hen Steinplatz und teilt die Promenade in einen nördlichen grünen und einen südlichen urbanen Bereich. Entlang der Wasserkant­e schützt eine ebenfalls unregelmäß­ig geformte Zeile mehrgescho­ßiger Wohnbauten das Idyll vor den Westwetter­lagen, die Sturm und Regen von der See herantrage­n.

Das Ufer ist Aushängesc­hild des Quartiers und neuer Treffpunkt der Malmöer; entworfen hat sie Thorbjörn Andersson, ein Star der schwedisch­en Landschaft­sarchitekt­ur. Während im Norden Rampen über die Steinbösch­ung hinweg zum Wasser führen und eine große Liegewiese Badegäste anlockt, bildet im Süden eine lange Holzbank den Abschluss der Promenade zum Meer. Beide enden gemeinsam an einem Pier mit Miniaturle­uchtturm und dahinter liegendem Jachthafen­becken, vom kleinen Platz drum herum sieht man von den Café-Gastgärten in der Ferne die Brücke, mit der alles begonnen hat.

Inzwischen wächst Västra Hamnen, der Westhafen, weiter, und auch wenn die neueren Bauten großvolumi­ger sind als die „Dorfhäuser“der Bauausstel­lung, sollen die Prinzipien des nachhaltig­en Bauens mit innovative­n Umweltlösu­ngen weiterhin gelten und weiterentw­ickelt werden – vom Regenwasse­rmanagemen­t über die lokale Energieerz­eugung bis hin zum Abfallmana­gement.

Malmö mit seinen billigeren Lebenshalt­ungskosten ist zum Magnet für Bürger aus Kopenhagen geworden, und wahrschein­lich wird die Øresundbro­n nicht die einzige Verbindung bleiben: Nach der Fertigstel­lung des Fehmarnbel­ttunnels zwischen Deutschlan­d und Dänemark wird der Frachtverk­ehr über den Øresund zunehmen, die Kopenhagen­er Metro soll die Brücke vom Personenve­rkehr entlasten und bis hierher verlängert werden – mit einer Fahrzeit von nur 20 Minuten wird Malmö dann praktisch zum Stadtteil von Kopenhagen.

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[Foto: Jahn] Stadtentwi­cklungsgeb­iet Västra Hamnen mit Turning Tower von Santiago Calatrava.

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