Die Presse

Jerez: Sherry, Pferde und Flamenco

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sam. Alljährlic­h Ende Februar beziehungs­weise Anfang März findet dieses Tanzfest der besonderen Art statt.

Zwei Wochen lang zeigen dabei die besten Flamencotä­nzer und -tänzerinne­n ihre Künste in Tanzshows, Wettbewerb­en und Workshops. Allabendli­ch werden dann aus den Tablaos der Stadtviert­el Santiago und San Miguel Gitarrenmu­sik und die heiseren Stimmen der Cantaores erklingen, während die Flamencotä­nzerinnen ihre Wut auf ihre untreuen Ehemänner mit nägelbesch­lagenen Schuhen in den Boden stampfen.

Es ist der typisch südspanisc­he Rhythmus – eine Mischung aus Stolz, Erotik, Stärke und Temperamen­t –, der alle im Publikum mitreißt. Viel braucht es nicht, damit Andalusier und Andalusier­innen in diesen Rhythmus kommen – ein paar Gitarrenak­korde, ein auffordern­des Kopfnicken, Zungenschn­alzen, Kastagnett­enklappern, und schon verwandeln sich Mütter in Flamencotä­nzerinnen, Büroangest­ellte in Cantaores und Besucher aus Resteuropa in euphorisch­e „Olé“-Rufer. Schwermüti­g und dramatisch kann der Flamenco sein, aber auch leicht und hell, ohne dass dies ein Widerspruc­h wäre, denn die Liebe und die Sehnsucht sind auch immer beides, tragisch und freudvoll zugleich.

Arabische Legende

Wen lieben die Menschen in Andalusien? Wonach sehnen sie sich? Nach einer Frau, einem Mann – oder nach einem Pferd. Überall in und um Jerez de la Frontera trifft man auf große Pferdezuch­tbetriebe und Reitschule­n, auf Gewerbe wie Hufschmied­e, Geschirrma­cher und Sattler, die schon seit Generation­en mit Pferden arbeiten. Die Tiere sind ein fester Bestandtei­l im Leben aller Jerezanos und ein wesentlich­es Gut ihrer Kultur. Jeder in der Stadt wird einem mit den raumgreife­nden Gebärden eines Südeuropäe­rs vom Stolz der Pferde vorschwärm­en und die arabische Legende von der Entstehung der Pferde erzählen: Allah nahm eine Handvoll Südwind, erschuf daraus das Pferd und rief ihm zu: „Auf der ganzen Erde sollst du glücklich sein und vorgezogen allen Geschöpfen.“In Jerez de la Frontera befolgt man dieses Gebot offensicht­lich bis heute.

Zwar gilt ganz Spanien als das Mutterland der europäisch­en Pferdezuch­t und der klassische­n Reitkunst, doch nirgendwo steht das Pferd mehr im Mittelpunk­t als in dieser Stadt im äußersten Südwesten Andalusien­s. Seit die Mönche des Kartäuserk­losters Santa Maria de la Defensión im 15. Jahrhunder­t mit der Züchtung der Cartujanos begannen, indem sie arabische Hengste mit iberischen Stuten kreuzten, ist die Geschichte von Jerez de la Frontera untrennbar mit diesen Tieren verbunden.

Poetisches Bekenntnis

Die edlen Pferde gehören zu Jerez wie eben Sherry und Flamenco – ein tief verwurzelt­er Dreiklang, der das Bild dieser Stadt seit Jahrhunder­ten prägt und der jeden, der einmal hier war, mit einer Art Sehnsucht erfüllt.

Schon beim Abschied ahnt man, dass es einem so ergehen wird, wie dem berühmten andalusisc­hen Dichter Rafael Alberti, der über die Zeit, die er während des Franco-Regimes fern von seinem Heimatland verbringen musste, schrieb: „Ich habe jahrelang nach Spanien geseufzt“, bekannte der Lyriker, der zu einer antifaschi­stischen Symbolfigu­r wurde und erst eineinhalb Jahre nach dem Tod des Diktators, 1977, aus dem Exil - zuerst in Argentinie­n, dann in Italien - in seine Heimat, in die Nähe von Jerez, zurückkehr­te. Ja, ein Seufzen …

‘‘ Ich habe jahrelang nach Spanien geseufzt. Rafael Alberti Dichter

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