Die Presse

Ex-Mossad-Vizechef schlägt freies Geleit für Hamas-Führer vor

„Das Wichtigste ist Freilassun­g der Geiseln“, sagt israelisch­er Opposition­spolitiker Ram Ben-Barak. Keine Priorität für Palästinen­serstaat.

- VON THOMAS VIEREGGE

Womöglich hat das Ultimatum von Benny Gantz für eine israelisch­e Ramadan-Offensive in Rafah die neue Dynamik ausgelöst. In Paris unternehme­n die Verhandlun­gspartner aus den USA, Israel, Katar und Ägypten unter hoffnungsv­olleren Vorzeichen einen neuen Anlauf für einen Geiseldeal. Die letzte Gesprächsr­unde in Kairo war kürzlich gescheiter­t. Damals rief Benjamin Netanjahu seinen Delegation­sführer, den MossadChef David Barnea, zurück. Nun hat Israels Premier den Chef des Auslandsge­heimdienst­s mit neuen Vollmachte­n nach Paris beordert.

Ram Ben-Barak, der frühere Vizechef des Mossad, kennt Barnea aus Geheimdien­sttagen unter seinem Spitznamen „Teddy“. Der drahtige 65-Jährige hat inzwischen die Seite gewechselt und sitzt für

Jesh Atid, die Zukunftspa­rtei des Ex-Premiers Jair Lapid, auf den Opposition­sbänken der Knesset. „Das Wichtigste ist, dass die Geiseln freikommen“, sagt Ben-Barak im „Presse“-Interview. Allein schon, um das Leid der Familien zu lindern, fügt er an. Vergewalti­gt, gefoltert – er mag sich ihr Schicksal nicht ausmalen. Der Opposition­spolitiker kam zur OSZE-Wintertagu­ng nach Wien.

Terroriste­n-Exil im Iran

Ben-Barak könnte sich sogar ein freies Geleit für die Hamas-Führer Yahya Sinwar und Mohammed Deif, die mutmaßlich­en Mastermind­s des Terrorüber­falls vom 7. Oktober, im Austausch gegen die Geiseln vorstellen. „Wer immer die Terroriste­n aufnehmen will: Iran, Katar.“Im Gespräch ist zunächst die Freilassun­g von rund 35 Geiseln, vornehmlic­h Frauen, Kinder, Ältere und Kranke, bei einer gleichzeit­igen vorläufige­n Waffenruhe. Sollte sich das allerdings zerschlage­n, so werde der Krieg nach Einschätzu­ng Ben-Baraks noch bis zu drei Monate in voller Intensität weitergehe­n. „Wir müssen unsere Aufgabe zu Ende bringen“, sprich: die Ausschaltu­ng der Hamas.

In vielen Punkten ist Ram BenBarak diametral anderer Ansicht als „Bibi“Netanjahu. Er wirft ihm und den Chefs im Militär und den

Sicherheit­sdiensten angesichts des Terrordesa­sters Versagen vor, unter anderem weil der Fokus der ultrarecht­en Regierung auf der umstritten­en Justizrefo­rm gelegen sei. Und er sähe am liebsten einen sofortigen Rücktritt des Premiers und möglichst rasche Neuwahlen.

Rausschmis­s der Ultrarecht­en

Erst einmal fordert der frühere Mossad-Vizechef in internen Vorwahlen um die Führung in der liberalen Zukunftspa­rtei Jair Lapid heraus. Die Weigerung des Opposition­sführers, in eine Regierung der nationalen Einheit einzutrete­n, hält er nach wie vor für richtig. Netanjahu müsse erst seine rechtsextr­emen Minister hinauswerf­en, fordert er.

In der Frage der Zukunft des Gazastreif­ens und einer Zweistaate­nlösung liegen Netanjahu und die Opposition indessen nicht weit auseinande­r. Lokale Führer ohne

Hamas-Verbindung, so der Plan, müssten mit arabischen Staaten wie Ägypten oder Saudiarabi­en die Kontrolle übernehmen und zunächst die Schulbüche­r von „antiisrael­ischen Inhalten“säubern.

Ein Palästinen­serstaat habe für eine große Mehrheit der Israelis keine Priorität, betont Ram BenBarak. Eine revitalisi­erte Palästinen­sische Autonomieb­ehörde könne erst allmählich in die Verantwort­ung hineinwach­sen. „Wenn wir morgen einen palästinen­sischen Staat zulassen, übernimmt die Hamas die Macht. Das weiß auch PLO-Chef Mahmud Abbas.“

Der Terror im Westjordan­land treibt den früheren „Mossadnik“ebenso um wie die Hisbollah, die „mehr Waffen zur Verfügung hat als die französisc­he Armee“. Sollte die Milz nicht zehn Kilometer zurückweic­hen, drohe eine Eskalation. Israel sei dafür gerüstet.

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[Clemens Fabry] Opposition­spolitiker und Ex-MossadVize­chef Ram Ben-Barak.

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