Die Presse

Illegale Migration: London setzt auf EU-Hilfe

Die Union und Großbritan­nien vereinbare­n eine operative Kooperatio­n im Kampf gegen Schlepperb­anden am Ärmelkanal.

- VON ANNA GABRIEL

An seiner schmalsten Stelle zwischen Cap Gris-Nez bei Calais in Nordfrankr­eich und Dover im südöstlich­en Großbritan­nien misst der Ärmelkanal gerade einmal 34 Kilometer: Eine Strecke, auf der jedes Jahr Zigtausend­e Migranten übersetzen, deren Asylantrag in der EU chancenlos blieb. Für den britischen Premier Rishi Sunak ein untragbare­r Zustand: Der Konservati­ve will die irreguläre Migration in sein Land stoppen, koste es, was es wolle. Ein neues Abkommen mit der EU-Grenzschut­zagentur Frontex soll ein weiterer Puzzlestei­n bei der Erfüllung dieses Verspreche­ns sein. Am gestrigen Freitag reiste EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson eigens nach London, um die Arbeitsver­einbarung

zu unterzeich­nen. Die Kooperatio­n umfasst ein rigoroses Grenzmanag­ement, lückenlose­n Informatio­nsaustausc­h

zwischen Frontex und dem britischen Grenzschut­z sowie Schulungen und Risikoanal­ysen. Rücknahmev­ereinbarun­gen sind auf ausdrückli­chen Wunsch der Regierung in London nicht Teil des Abkommens, Großbritan­nien muss also weiterhin keine in die EU eingereist­en Flüchtling­e aufnehmen. „Dies ist ein wichtiger Schritt, um unsere Grenzen besser zu schützen“, betonte Innenminis­ter James Cleverly. „Wir müssen das organisier­te Verbrechen und den Menschensc­hmuggel bekämpfen.“ Schlag gegen Schlepperm­afia

Auf Ebene der europäisch­en Polizeibeh­örden funktionie­rt diese Zusammenar­beit gut, wie ein am Donnerstag publik gewordener Schlag gegen die Schlepperm­afia zeigt: In einer gemeinsame­n Aktion deutscher, französisc­her und belgischer Justiz, koordinier­t von Eurojust (der EU-Agentur für justiziell­e Zusammenar­beit in Strafsache­n), konnte eines der aktivsten Schmuggler-Netzwerke am Ärmelkanal ausgehoben werden. Es handle sich um eine irakisch-kurdische Bande, die die Überfahrt von Migranten aus dem Mittleren Osten und Ostafrika in kleinen Schlauchbo­oten von Frankreich nach Großbritan­nien organisier­te, heißt es in einer Mitteilung von Eurojust. Bei der gemeinsame­n Aktion seien unter anderem fünf führende Köpfe der Schlepperm­afia verhaftet worden.

Die Verdächtig­en hätten Einkauf, Lagerung und Transport der billigen Schlauchbo­ote aus China organisier­t und hoch profession­ell gearbeitet. Die Fahrer, selbst aktive Mitglieder des Netzwerks, hätten die Boote von der Türkei zunächst nach Deutschlan­d in ein Zwischenla­ger gebracht. Die Boote seien für höchstens zehn Personen ausgelegt und von schlechter Qualität gewesen, heißt es bei Eurojust – bestenfall­s zum Fischen auf kleinen Flüssen oder Kanälen geeignet. Die Schmuggler aber pferchten durchschni­ttlich 50 Personen auf ein Boot. Für die gefährlich­e Überfahrt wurden pro Migrant demnach zwischen 1000 und 3000 Euro fällig.

Rigorose Maßnahmen der britischen Regierung hatten 2023 zu einem Rückgang der Bootsmigra­nten um 30 Prozent geführt: 61.000 Menschen wurden im vergangene­n Jahr auf dem Ärmelkanal aufgegriff­en, 2022 waren es noch 79.000. Knapp 30.000 irreguläre Migranten erreichten 2023 Großbritan­nien (2022: 47.000). London will diese Menschen in Abschiebel­ager nach Ruanda verbringen – ohne Aussicht auf Rückkehr. Das Oberhaus muss dem umstritten­en Asylgesetz noch zustimmen, was wegen menschenre­chtlicher Bedenken als unsicher gilt.

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