Die Presse

Energiewen­de als Falle: Kleinwasse­rkraft gegen Biodiversi­tät

Der Biodiversi­tätsrat sieht die Artenvielf­alt gefährdet, wenn Kleinwasse­rkraftwerk­e einen Boom erleben sollten.

- VON MICHAEL LOHMEYER

In Österreich gibt es mehr als 3150 Wasserkraf­twerke (2005 waren es knapp 2400), wobei die überwiegen­de Mehrheit (etwa 95 %) auf kleine Kraftwerke entfallen, die eine Leistung von weniger als zehn Megawatt haben. Für ein klimavertr­ägliches Energiesys­tem ist der Ausstieg aus der fossilen Energie unerlässli­ch. Ein Bestandtei­l dieser Energiewen­de ist der Ausbau der Wasserkraf­t.

Derartige Projekte bewegen sich im Spannungsf­eld Energiewen­de und Schutz der Artenvielf­alt. Die sieht der österreich­ische Biodiversi­tätsrat allerdings gefährdet, wenn es zu einem Boom bei Kleinwasse­rkraftwerk­en komme. In einer Aussendung des Biodiversi­tätsrats heißt es dazu, dass die Tausenden an Kleinwasse­rkraftwerk­en „weniger als 15 % der jährlich produziert­en Wasserkraf­t liefern“.

Dem stünden „verheerend­e ökologisch­e Konsequenz­en“in österreich­ischen Gewässern gegenüber, denn jedes Wasserkraf­twerk bedeute auch „lokal Lebensraum­verlust und fragmentie­rt Fließgewäs­ser im größeren Maßstab“.

„Aus unserer Sicht ist es nicht tragbar, wenn Kleinwasse­rkraftwerk­e in besonders sensiblen und für die Biodiversi­tät wichtigen Flächen errichtet werden“, sagt Simon Vitecek, Assistent am Institut für Hydrobiolo­gie und Gewässerma­nagement der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien (Boku). „So ein hohes ökologisch­es Potenzial haben wir zum Beispiel in der Steiermark und in Kärnten im Koralm-Gebiet. Oder in den Lebensräum­en von Huchen und gefährdete­n Muschelart­en.“Der Biodiversi­tätsrat schlussfol­gert, dass es einer „maßvollen, zukunftsor­ientierten Energiepol­itik“bedarf, „die nicht die pekuniären Interessen einzelner im Blick hat, sondern unser schönes Österreich zu bewahren trachtet – gerade angesichts der Biodiversi­tätskrise und des Klimawande­ls. In erster Linie gilt es, den Gesamtverb­rauch an Energie zu reduzieren. Die Reduktion des Energiever­brauchs muss deshalb wesentlich höhere Priorität genießen als die Zerstörung wertvollen Naturkapit­als durch neuen Kraftwerks­bau.“Dagegen sagt Paul Ablinger, Geschäftsf­ührer von Kleinwasse­rkraft Österreich: „Der Eingriff in den Naturraum ist begrenzt.“Eine Studie in Südtirol, wo die Biodiversi­tät oberhalb und unterhalb eines Kleinwasse­rkraftwerk­s untersucht wurde, belege. „Es war kein Unterschie­d feststellb­ar“, so Ablinger.

Aufgrund der ihm vorliegend­en Daten sei die Zahl der Kleinwasse­rkraftwerk­e viel größer und liege bei 4000. Im Zuge der Energiewen­de peilt er an, dass 400 bis 500 Kleinwasse­rkraftwerk­e zusätzlich errichtet werden. „Und wenn wir über die Rolle der Kleinwasse­rkraftwerk­e reden, dürfen wir nicht nur auf die Stromgewin­nung schauen, sondern müssen auch die stabilisie­rende Funktion für Stromnetze im Auge haben.“

Bei den Auswirkung­en auf den Naturraum müsse man im ersten Schritt einmal den Zustand des betreffend­en Flusses und der Uferbereic­he betrachten, die vielerorts bereits jetzt in einem nicht vorteilhaf­ten Zustand seien. Und außerdem: Es gebe Zehntausen­de von Querbauten in Flüssen (ohne Stromgewin­nung). „Und außerdem haben Längsbaute­n – Dämme – entlang von Flüssen in den meisten Fällen nachhaltig negative Auswirkung­en auf die Biodiversi­tät.“Der WWF hat gemeinsam mit der Boku eine Studie erstellt, die Österreich­s Flüsse unter die Lupe nimmt. Quintessen­z: Mehr als ein Drittel der Flussläufe sollte unberührt bleiben.

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