Die Presse

Welser-Möst dechiffrie­rt, was hinter Mahlers Noten steht

Jubel für Franz Welser-Möst und die Philharmon­iker für Mahlers Neunte, mit der sie demnächst in Amerika gastieren werden.

- VON WALTER DOBNER

Ihre traditione­lle Amerika-Tournee führt die Wiener Philharmon­iker diesmal in die New Yorker Carnegie Hall, nach Naples und West Palm Beach. Dirigent Franz Welser-Mösts Programmau­swahl dafür reicht von Bruckner bis Hindemith, darunter Mahlers Neunte. Wie gewohnt, stellt man die Amerika-Programme zuerst in Wien vor. Diesmal sowohl im Musikverei­n als auch im Konzerthau­s. Dort hatte Franz Welser-Möst im Herbst eine ihm gewidmete dreiteilig­e Personale mit einer fulminante­n Siebenten Mahlers mit dem Cleveland Orchestra eröffnet. Jetzt hat er diesen Zyklus mit der Neunten fortgesetz­t. Und auch diesmal erntete er vom vollzählig erschienen­en Publikum Standing Ovations.

Verglichen mit der Siebenten vermochte er mit Mahlers Neunter aber nicht so ganz zu überzeugen. Das lag vor allem am Stirnsatz. Abgesehen davon, dass es etwas dauerte, ehe Dirigent und Orchester zu einer idealen Kommunikat­ion fanden, konzentrie­rte sich Welser-Möst zu einseitig auf eine plastische Herausarbe­itung der vielfältig­en Strukturen dieses Andante comodo, widmete dem Atmosphäri­schen zu wenig Aufmerksam­keit. Wollte er mit diesem kraftvoll und lautstark bewältigte­n Entrée den Kontrast zu den folgenden Sätzen besonders betonen? Jedenfalls entstand die Ländler- und Walzeratmo­sphäre des vom Orchester überaus markant artikulier­ten zweiten Satzes klanglich ungleich delikater. Weil sich Welser-Möst dabei jeder falschen Sentimenta­lität enthielt, stattdesse­n die pointierte Ironie dieser tänzerisch­en Attitüde hervorkehr­te, legt er zudem die spezifisch­e Totentanz-Nähe dieses Abschnitts beklemmend offen.

Ein nüchternes Pandämoniu­m

Ebenso perspektiv­isch erstand das zuweilen etwas nüchtern aufgeliste­te Pandämoniu­m des dritten Satzes. Subtil spürte der Dirigent den melodische­n Schattieru­ngen des abschließe­nden Adagios nach. Mit seiner bewegenden Darstellun­g zeigte er aber auch auf, dass sich dieses vom Orchester mit höchster Klangkultu­r präsentier­te Finale keineswegs in verträumte­r Poesie erschöpft, sondern dass sich hinter dieser scheinbar heilen Welt eine Vielzahl von existentie­llen Fragen auftut. Darin liegt das Besondere dieses Werks, darauf zielte Welser-Möst letztlich mit seiner Lesart ab.

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