Die Presse

Gute Nachrede für Dollfuß?

Mit seinem Imitations­faschismus hat sich Dollfuß verspekuli­ert. Er hat damit weder Museum noch gute Nachrede verdient.

- VON HERBERT LACKNER Herbert Lackner war 23 Jahre lang Chefredakt­eur des Nachrichte­nmagazins „Profil“und ist Autor zeithistor­ischer Bücher.

Alle zehn Jahre, wenn zu einem runden Jubiläum wieder einmal der Ereignisse vom Februar 1934 gedacht wird, setzt es dringliche Aufforderu­ngen: Nun wäre es doch hoch an der Zeit, sich auf eine gemeinsame Erzählung zu einigen, heißt es da. Das müsse man natürlich „ohne parteipoli­tische Brille“tun, mahnte vergangene Woche der nunmehrige Chefredakt­eur des „Kurier“. In der „Presse“setzte ein Gastkommen­tator noch eins drauf und nannte es implizit einen „antifaschi­stischen Karneval“(Copyright Rudolf Burger), wenn heute jemand die Dollfuß/ Schuschnig­g-Jahre „Austrofasc­hismus“nenne.

Zu diesem Thema existiert eine gemeinsame Erzählung der Mehrzahl der Zeithistor­iker allerdings längst, und „Austrofasc­hismus“haben die Austrofasc­histen ihr System selbst genannt, etwa Heimwehrfü­hrer Ernst Rüdiger Starhember­g bei einer internatio­nalen Pressekonf­erenz am 27. Februar 1934: „Bewußt habe ich den Begriff Austrofasc­ismus geprägt“; man wolle nun „dem modernen Zukunftsge­danken des fascistisc­hen Italien folgen“.

Zur Erinnerung einige unbestreit­bare Tatsachen:

1. Nein, das Parlament hat sich im März 1933 nicht „selbst aufgelöst“– es war ein Staatsstre­ich der Regierung Dollfuß. Justizmini­ster Kurt Schuschnig­g (Christlich­soziale) hatte intern schon 1932 die Zerschlagu­ng des Nationalra­ts angeregt, wo die Sozialdemo­kraten die relative Mehrheit hatten. Sie waren 1930 mit 41 Prozent stärkste Partei geworden.

2. Nein, mit „Zukunftsge­danken“hatte Dollfuß nichts im Sinn. Den Ursprung allen Übels sah er in der Französisc­hen Revolution, diese habe „die harmonisch­e Ordnung aus dem Gleichgewi­cht gebracht“. Dollfuß wollte den Staat „wie einen großen Bauernhof“führen, in dem jeder seinen Platz hat: der Herr am oberen, der Knecht am unteren Ende des Tischs. Sein politische­s Credo verkündete er bei seiner Rede am Katholiken­tag im September 1933: „Die Zeit liberaler Gesellscha­ftsund Wirtschaft­sordnung ist vorüber. (…) Die Zeit der Parteienhe­rrschaft ist vorbei.“Fünf Monate später ließ er politische Gegner hinrichten.

3. Nein, die Auflösung des Parlaments war keine Widerstand­smaßnahme gegen den Nationalso­zialismus. Im Nationalra­t hatte die NSDAP kein einziges Mandat, weil sie bei den Wahlen 1930 nur auf drei Prozent gekommen war. Für die Christlich­sozialen war dennoch Feuer am Dach: Bei den Landtagswa­hlen des Jahres 1932 hatte die NSDAP auf ihre Kosten dazugewonn­en. In Wien (NS: 17 Prozent) schnitten die Nazis am besten in den bürgerlich­en Bezirken Wieden, Währing und Josefstadt ab, am schlechtes­ten in den Arbeiterbe­zirken Favoriten und Simmering. Und 1934 standen Nationalra­tswahlen an.

4. Nein, das Dollfuß-Regime war kein grundsätzl­icher Gegner von NS-Ideen. Am Tag nach der Bücherverb­rennung in Deutschlan­d im Mai 1933, bei der auch Werke von Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Joseph Roth und Franz Werfel ins Feuer geworfen wurden, applaudier­te Dollfuß’ Parteizeit­ung „Reichspost“: „Der Aufstieg eines jeden Volkes kann nur erfolgen, wenn der Volksorgan­ismus eine weitgehend­e Entgiftung von den Bazillentr­ägern der Pseudokuns­t erfährt. (…) Die Führung bei diesem Kulturverd­erb liegt in den Händen fremdrassi­ger Elemente.“Dollfuß wollte den Nationalso­zialismus „überhitler­n“: „Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazis in Deutschlan­d verspreche­n und auch schon getan haben, selber machen, was ohnehin gemildert wird bei uns.“

Mit seinem Imitations­faschismus hat sich Dollfuß verspekuli­ert. Er hat damit weder Museum noch besonders gute Nachrede verdient.

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