Macht ja sonst keiner: Warum Kogler mit Slogan der Neos wirbt
Für den Vizekanzler ist die Regierungsbeteiligung der Grünen offenbar ein höherer Wert, dem anderes unterzuordnen ist: ein Garant für vieles, glaubt er. Was genau?
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, der Vizekanzler und Chef der Grünen, Werner Kogler, hat sich in der „Pressestunde“vergangenen Sonntag vor dem Bundeskongress der Grünen heute, Samstag, in Graz um Kopf und Kragen geredet. Was glaubt man besser zu wissen? Dass die Basis der Grünen nicht noch einmal vor Wahlen politisch Harakiri betreiben wird, indem sie Lena Schilling mit einem mageren Abstimmungsergebnis als grüne EU-Spitzenkandidatin einen Denkzettel verpasst. Und damit Kogler vor der Nationalratswahl schwächt.
Zwar konnte man Überraschungen bei Kongressen der Grünen nie ausschließen, aber so viel Unvernunft ist ihnen nicht zuzutrauen. Wer es bis Sonntag nicht begriffen hat, dem schien es Kogler in seinem Wortschwall, bei dem die Journalisten um die Fragen kämpfen mussten, eintrichtern zu wollen. Seine Eloge auf die Regierungsarbeit seines Teams klang, als hätte er den Wahlslogan der Neos von 2019 gestohlen: Macht ja sonst keiner! Die Unabhängigkeit der Justiz garantieren; Klimaschutz vorantreiben; vernünftige Wirtschaftspolitik mit sozialer Absicherung kombinieren. Kogler sagte folgenden Satz in Bezug auf ein Thema, schien aber alles zu meinen, was die Regierungsarbeit betrifft: „Wir fahren den Karren aus dem Dreck – Schritt für Schritt.“Macht ja sonst keiner …
Der Mann war „on fire“. Es entstand der Eindruck, Kogler wollte Sonntagvormittag nicht nur ein etwas breiteres Publikum von den Segnungen einer Regierungsbeteiligung der Grünen überzeugen, sondern vor allem auch die Skeptiker in den eigenen Reihen. Die Stille im grünen Basislager ist nach der Blamage um die erzwungene Verschiebung des Bundeskongresses um zwei Monate und diversen Zumutungen durch den Koalitionspartner ÖVP in den vergangenen Monaten eher seltsam. Offenbar ist sie auch nicht so einhellig, wie sie scheint. So berichtet Josef Votzi im „Trend“von anonymen Spitzengrünen, die mit der Wahl Schillings als EU-Spitzenkandidatin so gar nicht einverstanden seien. In früheren Zeiten wäre ein mageres Abstimmungsergebnis als Schlag gegen Kogler über die Bande zu werten gewesen. Aber in früheren Zeiten waren die Grünen auch noch nicht Regierungspartei. Die Führung wird der Basis in der Zwischenzeit schon die Vorteile einer Regierungsbeteiligung, die sie als Gestalten, Mitbestimmen, Vorantreiben verpackt, nähergebracht haben. Vor allem in Bezug auf Postenbesetzungen, Zugang zu Finanzmitteln, Kompromisse entgegen früheren Versprechungen hat sie schnell gelernt. Zu sagen, „von den Besten“, nämlich der ÖVP, wäre zynisch.
Werner Kogler glaubt offenbar an das ultimative Gegenargument für die Enttäuschten, die nicht verstanden haben, warum um der Koalitionstreue willen die eine und andere bittere Pille wortlos geschluckt wurde: Wer, wenn nicht wir, hätte Ärgeres verhindern können? Macht ja sonst keiner …
Wechselwählern dürfte das kaum reichen. Für jene, die die Grünen 2019 unbedingt wieder im Parlament haben wollten und sie in der Regierung wiedersahen, wird so manche Enttäuschung ausschlaggebend sein. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Grünen jemals mit der Einstellung der „Wiener Zeitung“der Schaffung einer Propagandaplattform des Bundeskanzleramts zustimmen würden? Dabei ging es nicht um das Was, sondern das Wie, immerhin um Pressefreiheit und Demokratie. Nie und nimmer hätten das so manche Grünwähler erwartet. Nur ein Beispiel.
Die Grünen befanden sich nun vier Jahre lang in einer Zwickmühle, die nur von den Krisen beiseitegeschoben worden ist: zwischen Koalitionstreue und dem Beweis, auch als Regierungspartei anders zu sein, moralischer, sauberer etc. Ob allerdings nicht als einziger Beweis jener übrig bleiben wird, dass die ÖVP einen weiteren Koalitionspartner „verbraucht“hat, hängt von der SeptemberWahl und dem Stillhalte-Abkommen in der Partei ab.
Wer hätte gedacht, dass die Grünen der Schaffung einer Propagandaplattform des Bundeskanzleramts zustimmen würden?