Geben die Restwerte dem E-Auto den Rest?
Nach der Knappheit sind Elektroautos wieder bestens verfügbar – doch die Kundschaft ziert sich. Besonders im Leasing sind fallende Restwerte zu einem Problem geworden. Wie kam es dazu – und wird’s wieder besser?
Nach der Reichweitenangst, die sich im tatsächlichen Betrieb eines E-Autos vielleicht als grundlos entpuppt hat, lernen Halter eines solchen Fahrzeugs einen neuen Begriff: Restwertangst. Klingt auch nicht gut und bezeichnet die Sorge, dass das geleaste Auto am Ende der Laufzeit nicht mehr den Wert hat, von dem zu Vertragsabschluss eigentlich alle Beteiligten ausgegangen sind.
Sinkende Restwerte sind derzeit das Thema in der Branche – kein Wunder, denn die meisten Stromer sind geleast. Schließlich sind es zum weit überwiegenden Teil gewerbliche Zulassungen, über die BEVs auf die Straße finden, und in Flotten, ob sie nun zwei Autos umfassen oder 200, wird zu 80 Prozent geleast. Aber auch Private entscheiden sich bei einem BEV häufiger für ein Leasing als bei einem Verbrenner. Die sinkenden Restwerte fallen nun allen auf den Kopf. Zu den Opfern kann man durchaus auch das E-Auto an sich zählen, denn die Situation wirkt nicht als Verkaufsförderung.
Warum das so ist und wie sich die weiteren Aussichten gestalten, dazu haben wir Daniel Hammerl vom Leasingunternehmen Vibe befragt. Hammerl ist unter frühen Tesla-Aficionados gut bekannt, denn als Geschäftsführer der USMarke war er maßgeblich am Aufbau der Österreich-Niederlassung beteiligt. 2018 sattelte er um und konzipierte mit dem Reiseunternehmer Paul Blaguss ein Unternehmen, das die „Megatrends in der Mobilität“zum Geschäftsfeld erklärte – Hammerl: „Zum einen die E-Mobilität, wir beim Hochlaufen unterstützen wollen, indem wir zu ihrer Demokratisierung beitragen, zum andern: alternativer Besitz.“Darunter versteht man bei Vibe: „Es gehört mir nicht, aber ich kann es nutzen, als ob es mir gehört.“
Demnach ist Vibe kein klassisches Leasingunternehmen. Stattdessen hält man einen Pool an Fahrzeugen, die umgehend verfügbar sind und in einem „KomplettAbo“für einen Zeitraum zwischen sechs bis 48 Monaten übernommen werden. Ob Service oder Winterreifen, alles ist in der Monatsrechnung inkludiert. Der
Pool umfasst knapp 2500 Fahrzeuge von 14 Marken mit über 40 Modellen, die durchschnittliche Abozeit sind 24 Monate. Während die Kunden zu 90 Prozent gewerblich sind, gehen diese Autos „refurbished“in einer zweiten Runde an Privatkunden, die auf diese Weise zu einem günstig zu finanzierenden E-Auto kommen. Hammerl sind also beide Seiten vertraut.
Die Restwerte-Story beginnt für ihn im Jahr 2018/19, als die niederländische ING-Bank feststellte, dass die Restwerte von E-Autos höher einzustufen sind als von Verbrennern. Zu dem Zeitpunkt wusste man bereits, dass die Batterien eine hohe Haltbarkeit aufweisen, dass Software sie im laufenden Betrieb noch verbessern kann – und
ohnehin, dass BEVs von den tyliche pischen Phänomenen verschont bleiben, die die Verbrenner-Mechanik ab 100.000 km so zu plagen beginnen. Das habe sich im Wiederverkauf gespiegelt, indem BEVRestwerte höher waren als bei Verbrennern gleichen Alters. Dazu kamen Chipkrise und Ukraine-Krieg, die beide zur einer Verknappung der Produktion und damit des Angebots führten. Niemand musste Rabatte geben, die Preise waren hoch. Pech für viele, die teuer gekauft haben.
Nach und nach änderten sich einige Parameter, die alle zusammen zur heutigen Situation beitrugen. So führte die höchst unterschieddie Förderlandschaft in den EULändern – in Deutschland bis zu 10.500 Euro – zu einer „Verwässerung“der Listenpreise, die als Grundlage für die Restwertberechnung nun an Verlässlichkeit einbüßen. E-Autos lassen sich leicht über Grenzen schieben, so kommt der Effekt stärker zum Tragen. Schließlich endete im Vorjahr die Verknappung, Fahrzeuge sind wieder gut verfügbar, doch inzwischen verunsichern die Anstiege von Zinsen und Energiepreisen die Konsumenten. Weil die Produktion aber läuft und Fahrzeuge sich nur begrenzt in Lagern unterbringen lassen, „beginnt die Rabattschlacht“. Und hohe Rabatte, die teilweise versteckt geboten werden und nur selten den Namen tragen, sind Gift für die Restwerte. Wer darunter leidet: Beim klassischen Leasing ist das Risiko beim Kunden, beim „Operating“-Leasing bei der Bank. Hammerls Prognose ist vorsichtig optimistisch. Ab dem dritten Quartal rechnet er mit einem leicht sinkenden Leitzins und damit, dass die Kauflust wieder steigt: „Das Interesse ist ja da.“2024 sollten die Restwerte nicht weiter fallen, besser würden sie aber auch nicht. Hammerls Wunsch: Nachdem viel für Unternehmen getan wurde, sollte man nun die Privatkunden nicht vergessen. In Frankreich und Dänemark wird der BEV-Gebrauchtmarkt mit Förderungen angekurbelt.