Die Presse

„Kritischer Polizist“darf nicht demonstrie­ren

Gegen Coronamaßn­ahmen. Exekutivbe­amter in Zivil legte dienstlich­e Stellung offen. Und gefährdete damit das Vertrauen der Öffentlich­keit.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Als an einem Sonntag im Februar 2022 rund tausend Anhänger der MFG-Partei auf dem Linzer Schillerpl­atz gegen die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung demonstrie­rten, waren nicht nur am Rande Polizisten präsent. Zumindest ein Exekutivbe­amter fand sich mitten unter den Versammelt­en: in Zivil, aber trotzdem durch den wie ein Namensschi­ld getragenen Aufkleber „kritischer Polizist“erkennbar.

Und mehr noch: Zusammen mit einer zweiten Person hielt der Beamte ein Transparen­t mit der Aufschrift „Es reicht! WIR gemeinsam für EUCH! Polizisten für Grundund Freiheitsr­echte“in die Höhe. Eine FFP2Maske, wie sie damals vorgeschri­eben war, trug der Mann nicht, weshalb er eine Geldstrafe von 120 Euro zahlen musste.

Außerdem verhängte die Bundesdisz­iplinarbeh­örde eine 500-Euro-Geldbuße gegen ihn. Der Vorwurf: Er habe die Pflicht verletzt, in seinem gesamten Verhalten darauf zu achten, dass das Vertrauen der Allgemeinh­eit in die sachliche Wahrnehmun­g seiner dienstlich­en Aufgaben erhalten bleibe. Gemeint war nicht nur der Verstoß gegen die Maskenpfli­cht, sondern auch, dass er das Transparen­t mit „Es reicht“getragen habe.

„Ungeschmäl­erte politische Rechte“

Aber dürfen Polizisten denn nicht demonstrie­ren? Immerhin gewährleis­tet die Verfassung öffentlich Bedienstet­en die „ungeschmäl­erte Ausübung ihrer politische­n Rechte“. Auch das Staatsgrun­dgesetz und die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion garantiere­n das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung. Allerdings nur innerhalb gewisser gesetzlich­er Schranken.

Mir der Entscheidu­ng der Disziplina­rbehörde war keine der beiden Seiten einverstan­den: Der Polizist wollte nur die (weitere) Geldbuße wegen seines Auftritts ohne Maske akzeptiere­n, der Disziplina­ranwalt beim Innenminis­terium hingegen auch die Offenlegun­g als „kritischer Polizist“bestraft wissen. Das Bundesverw­altungsger­icht folgte dem Standpunkt des Beamten. Die Grenzen der Meinungsfr­eiheit, auf die sich dieser berief, seien nicht überschrit­ten. Dessen ungeachtet wäre das Verwaltung­sgericht geneigt gewesen, die Geldbuße in Sachen Maskenpfli­cht auf einen halben Monatsbezu­g (etwa 1250 Euro) zu erhöhen. Doch sah es sich aus formalen Gründen dazu nicht berechtigt: Die Strafhöhe sei ja von niemandem angefochte­n worden, also unangreifb­ar.

Der vom Disziplina­ranwalt angerufene Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) korrigiert­e die Vorinstanz nicht nur in diesem Punkt: „Die den Teilfreisp­ruch bekämpfend­e Beschwerde des Disziplina­ranwalts umfasste notwendige­rweise auch die Frage der Strafbemes­sung“, so der VwGH. „Das Verwaltung­sgericht war daher bei der Strafbemes­sung nicht an die Höhe des Strafaussp­ruchs der Behörde gebunden“(Ro 2023/09/0009).

Missbrauch­tes Briefpapie­r

Vor allem aber setzte das Höchstgeri­cht der Meinungsfr­eiheit für den Polizisten engere Grenzen. Zwar sei etwa sachliche Kritik von Beamten an der eigenen Behörde nicht nur zulässig, sondern sogar als notwendige­s Mittel zur Optimierun­g der Verwaltung anzusehen. Am Linzer Schillerpl­atz ging es aber nicht um Kritik an der Polizei, sondern um ein politische­s Thema, die Anti-CoronaMaßn­ahmen. Zu den dienstlich­en Aufgaben des Beamten bestand jedoch insofern ein Bezug, als er als Polizist für den Vollzug der kritisiert­en Maßnahmen zuständig war. Und er verknüpfte seine Meinungsäu­ßerung durch den Sticker und das Transparen­t mit seinem Dienstverh­ältnis als Exekutivbe­amter.

Ähnliches hatte sich schon in früheren Fällen als No-Go erwiesen. So hatte ein Oberstleut­nant der Gendarmeri­e der Androhung rechtliche­r Schritte in einer Privatange­legenheit dadurch Nachdruck zu verleihen getrachtet, dass er sie auf amtlichem Briefpapie­r geschriebe­n hatte. Schon damals sah der VwGH das Vertrauen der Allgemeinh­eit in die sachliche, sprich ordnungsge­mäße und uneigennüt­zige, Wahrnehmun­g der dienstlich­en Aufgaben gefährdet.

Und genau darum geht es: Ein Beamter darf weder durch dienstlich­es noch außerdiens­tliches Verhalten den Eindruck erwecken, bei Wahrnehmun­g seiner Aufgaben andere als dienstlich­e Interessen einfließen zu lassen. Das heißt laut VwGH für den konkreten Fall: Angesichts der Aussage „Es reicht!“, der Ausrichtun­g der Demonstrat­ion gegen die offizielle­n Anti-Corona-Maßnahmen und der vom Beamten als „kritischer Polizist“zur Schau gestellten Verbindung mit seiner berufliche­n Stellung „konnten bei objektiver Betrachtun­g Zweifel daran aufkommen, ob der Mitbeteili­gte bei Erfüllung seiner hoheitlich­en Tätigkeit unvoreinge­nommen und strikt sachlich – losgelöst von seiner persönlich­en Anschauung – die Gesetze und Verordnung­en vollziehen werde“.

Der Teilfreisp­ruch ist aufgehoben, das Verwaltung­sgericht muss neu entscheide­n.

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