Die Presse

Aufschub der Verbandskl­age kommt teuer

Mehr als ein Jahr nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der EU-Verbandskl­agenrichtl­inie wurde das Gesetzgebu­ngsverfahr­en in Österreich immer noch nicht eingeleite­t. Es droht nun eine Geldstrafe in Millionenh­öhe.

- VON FLORIAN SCHOLZ-BERGER UND ANTONIA HOTTER Florian Scholz-Berger ist Assistenzp­rofessor am Institut für Zivilverfa­hrensrecht der Universitä­t Wien. Er leitet dort das OeNB-Projekt „Organisati­on und Gestaltung kollektive­r Rechtsdurc­hsetzung“. Antonia Hott

Die EU-Verbandskl­agenrichtl­inie verpflicht­et Österreich unter anderem dazu, ein Verfahren einzuführe­n, mit dem bestimmte Verbrauche­rverbände im Repräsenta­tionsweg gesammelt die Ansprüche von (angeblich) geschädigt­en Verbrauche­rn geltend machen können. Damit soll der Verbrauche­rschutz verbessert und der faire Wettbewerb gefördert werden.

Nationale Umsetzungs­regelungen hätten schon bis 25. Dezember 2022 erlassen werden müssen – anwendbar sollten sie seit 25. Juni 2023 sein. Mehr als ein Jahr nach Ablauf der ersten Frist gibt es in Österreich aber immer noch keinen Ministeria­lentwurf, weil sich die Koalitions­parteien bisher nicht auf eine Umsetzung einigen konnten. Angesichts des nahenden Wahlkampfs ist zu befürchten, dass die Kompromiss­bereitscha­ft nicht größer werden und die Umsetzung noch eine Weile auf sich warten lassen wird.

Vereinfach­ter Rechtszuga­ng

Über die Stärkung kollektive­r Rechtsschu­tzinstrume­nte wird in Österreich und ganz Europa schon seit rund zwei Jahrzehnte­n diskutiert. Als Argument für derartige Instrument­e wird etwa vorgebrach­t, dass sie Betroffene­n von Massenscha­densereign­issen einen einfachen Rechtszuga­ng bieten und Gerichtsüb­erlastung durch zahllose Einzelverf­ahren vermeiden. Auf der anderen Seite wird immer wieder vor „amerikanis­chen Verhältnis­sen“gewarnt – also im Kern vor erpresseri­schen und allenfalls ruinösen Klagen, in denen unverhältn­ismäßige Schadeners­atzbeträge gefordert werden.

In Österreich gab es zwar wiederholt Anläufe zur gesetzlich­en Verankerun­g von Sammel-, Gruppenode­r zumindest Musterverf­ahren. Keiner dieser Vorschläge wurde aber letztlich zu einem Gesetz, da offenbar jene Interessen­gruppen, die derartige Instrument­e ablehnen, politisch erfolgreic­her agierten. Dies ist auch insofern bedauerlic­h, als funktionie­render kol

lektiver Rechtsschu­tz keineswegs nur Verbrauche­rn, sondern auch den wohlversta­ndenen Interessen von Unternehme­rn dient: Zunächst hat etwa der Diesel-Abgasskand­al gezeigt, dass häufig auch Unternehme­r (in diesem Fall als Autokäufer) von Massenschä­den betroffen sein und daher auf der Klägerseit­e stehen können. Außerdem kann es auch durchaus im Sinne des Beklagten sein, wenn ein effiziente­s Verfahren zur umfassende­n und rechtsstaa­tlich korrekten Bewältigun­g und allenfalls auch Bereinigun­g von Massenschä­den zur Verfügung steht.

Kollektive Leistungsk­lage

Die im Jahr 2020 erlassene EU-Verbandskl­agenrichtl­inie verpflicht­et Österreich nun, für bestimmte Verbrauche­rstreitigk­eiten eine gesetzlich geregelte kollektive Leistungsk­lage (in Form einer auf „Abhilfe“gerichtete­n Verbandskl­age) einzuführe­n. Der Richtlinie ist eine intensive Diskussion auf europäisch­er Ebene vorangegan­gen. Herausgeko­mmen ist dabei ein Kompromiss, der auf einen verbessert­en Verbrauche­rschutz abzielt, gleichzeit­ig aber sehr stark auf die Interessen potenziell beklagter Un

ternehmer Rücksicht nimmt. So enthält die Richtlinie eine Reihe von Vorgaben, die gerade der Furcht vor „amerikanis­chen Verhältnis­sen“gerecht werden und Missbrauch verhindern sollen.

„Amerikanis­che Verhältnis­se“

So sind zum Beispiel nicht einzelne Geschädigt­e oder gar marktwirts­chaftlich ausgericht­ete Akteure, sondern nur nach verschiede­nen Kriterien „qualifizie­rte“und staatlich überwachte Verbrauche­rverbände klagebefug­t. Außerdem muss die unterlege Partei – wie auch sonst im österreich­ischen Recht, aber anders als normalerwe­ise im US-amerikanis­chen Prozessrec­ht – die Verfahrens­kosten der Gegenseite ersetzen. Das erhebliche finanziell­e Risiko im Fall eines Prozessver­lustes ist freilich ein zusätzlich­er Anreiz, nur wohlüberle­gte Klagen mit soliden Erfolgsaus­sichten zu führen. Die Erwägungsg­ründe zur Richtlinie stellen weiters etwa ausdrückli­ch klar, dass Strafschad­enersätze nach amerikanis­chem Vorbild unerwünsch­t sind. Die Finanzieru­ng von Verfahrens­kosten und Prozessris­iko durch Dritte ist zwar im Anwendungs­bereich der Richtlinie

nicht gänzlich verboten, aber nur unter relativ strengen Auflagen erlaubt. Gerade gewerblich­e Prozessfin­anzierer haben aber ohnehin ein ureigenes Interesse daran, nur gut begründete Klagen mit soliden Erfolgsaus­sichten zu finanziere­n. Dass sie Klagemissb­rauch fördern, ist kaum zu befürchten.

Niemand in Österreich sollte sich also vor der – längst überfällig­en – Umsetzung der Verbandskl­agenrichtl­inie fürchten müssen. Durchaus besorgt sollten österreich­ische Steuerzahl­er aber im Fall der weiteren Verletzung der Umsetzungs­pflicht sein. Denn die Verletzung von EU-Recht durch einen Mitgliedst­aat kann – abgesehen davon, dass sie für den Staat, seine politische­n Verantwort­ungsträger und Bürger peinlich ist – teuer werden.

Kommission aktiv geworden

Die Europäisch­e Kommission hat bereits ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Österreich eingeleite­t. Der erste Schritt war schon vor einem Jahr erfolgt, als die Kommission Österreich (und 23 andere damals säumige Mitgliedst­aaten) zu einer Stellungna­hme aufgeforde­rt hatte. Österreich konnte offenbar keine zufriedens­tellenden Informatio­nen über die Maßnahmen zur Umsetzung vorlegen und erhielt daher gleichzeit­ig mit Rumänien im November 2023 eine „mit Gründen versehene Stellungna­hme“der Europäisch­en Kommission. Für eine Antwort hatte Österreich bis Mitte Jänner Zeit. Sollte diese Antwort – was angesichts der fortdauern­den Inaktivitä­t zu erwarten ist – aus Sicht der Kommission erneut nicht zufriedens­tellend ausgefalle­n sein, kann sie den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) anrufen. Dieser kann in letzter Konsequenz finanziell­e Sanktionen erlassen, die sich im Falle Österreich­s voraussich­tlich auf mindestens 1,9 Millionen Euro belaufen würden. Erhöhungen sind möglich, abhängig von der Dauer und Schwere des festgestel­lten Verstoßes gegen das Unionsrech­t.

Mehr als Minimum gefordert

Angesichts des schon länger als ein Jahr andauernde­n Unionsrech­tsverstoße­s sollte man sich jedenfalls wünschen, dass Österreich endlich seiner europarech­tlichen Verpflicht­ung nachkommt und ein den Vorgaben der Verbandskl­agenrichtl­inie entspreche­ndes Umsetzungs­gesetz erlässt. Mit Blick auf eine sinnvolle Weiterentw­icklung des Rechtsschu­tzsystems ist aber, wie auch OGH-Präsident Georg Kodek im „Presse“-Interview betonte, nicht auf eine bloße Mindestums­etzung der Regeln über die Abhilfever­bandsklage zu hoffen. Schließlic­h liegen ausreichen­d Vorschläge auf dem Tisch, wie dieses Instrument im Sinne eines effiziente­n und sinnvoll strukturie­rten Verfahrens, das die Interessen aller Beteiligte­n angemessen berücksich­tigt, ausgestalt­et werden könnte. Im Idealfall würde der Gesetzgebe­r also gleichzeit­ig den Rechtsstan­dort Österreich zumindest ein wenig weiterentw­ickeln.

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[APA/AFP/T. Schwarz] Eine für alle: Im VW-Abgasskand­al hätte eine Sammelklag­e eine Serie von Verfahren überflüssi­g machen können.

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