Aufschub der Verbandsklage kommt teuer
Mehr als ein Jahr nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie wurde das Gesetzgebungsverfahren in Österreich immer noch nicht eingeleitet. Es droht nun eine Geldstrafe in Millionenhöhe.
Die EU-Verbandsklagenrichtlinie verpflichtet Österreich unter anderem dazu, ein Verfahren einzuführen, mit dem bestimmte Verbraucherverbände im Repräsentationsweg gesammelt die Ansprüche von (angeblich) geschädigten Verbrauchern geltend machen können. Damit soll der Verbraucherschutz verbessert und der faire Wettbewerb gefördert werden.
Nationale Umsetzungsregelungen hätten schon bis 25. Dezember 2022 erlassen werden müssen – anwendbar sollten sie seit 25. Juni 2023 sein. Mehr als ein Jahr nach Ablauf der ersten Frist gibt es in Österreich aber immer noch keinen Ministerialentwurf, weil sich die Koalitionsparteien bisher nicht auf eine Umsetzung einigen konnten. Angesichts des nahenden Wahlkampfs ist zu befürchten, dass die Kompromissbereitschaft nicht größer werden und die Umsetzung noch eine Weile auf sich warten lassen wird.
Vereinfachter Rechtszugang
Über die Stärkung kollektiver Rechtsschutzinstrumente wird in Österreich und ganz Europa schon seit rund zwei Jahrzehnten diskutiert. Als Argument für derartige Instrumente wird etwa vorgebracht, dass sie Betroffenen von Massenschadensereignissen einen einfachen Rechtszugang bieten und Gerichtsüberlastung durch zahllose Einzelverfahren vermeiden. Auf der anderen Seite wird immer wieder vor „amerikanischen Verhältnissen“gewarnt – also im Kern vor erpresserischen und allenfalls ruinösen Klagen, in denen unverhältnismäßige Schadenersatzbeträge gefordert werden.
In Österreich gab es zwar wiederholt Anläufe zur gesetzlichen Verankerung von Sammel-, Gruppenoder zumindest Musterverfahren. Keiner dieser Vorschläge wurde aber letztlich zu einem Gesetz, da offenbar jene Interessengruppen, die derartige Instrumente ablehnen, politisch erfolgreicher agierten. Dies ist auch insofern bedauerlich, als funktionierender kol
lektiver Rechtsschutz keineswegs nur Verbrauchern, sondern auch den wohlverstandenen Interessen von Unternehmern dient: Zunächst hat etwa der Diesel-Abgasskandal gezeigt, dass häufig auch Unternehmer (in diesem Fall als Autokäufer) von Massenschäden betroffen sein und daher auf der Klägerseite stehen können. Außerdem kann es auch durchaus im Sinne des Beklagten sein, wenn ein effizientes Verfahren zur umfassenden und rechtsstaatlich korrekten Bewältigung und allenfalls auch Bereinigung von Massenschäden zur Verfügung steht.
Kollektive Leistungsklage
Die im Jahr 2020 erlassene EU-Verbandsklagenrichtlinie verpflichtet Österreich nun, für bestimmte Verbraucherstreitigkeiten eine gesetzlich geregelte kollektive Leistungsklage (in Form einer auf „Abhilfe“gerichteten Verbandsklage) einzuführen. Der Richtlinie ist eine intensive Diskussion auf europäischer Ebene vorangegangen. Herausgekommen ist dabei ein Kompromiss, der auf einen verbesserten Verbraucherschutz abzielt, gleichzeitig aber sehr stark auf die Interessen potenziell beklagter Un
ternehmer Rücksicht nimmt. So enthält die Richtlinie eine Reihe von Vorgaben, die gerade der Furcht vor „amerikanischen Verhältnissen“gerecht werden und Missbrauch verhindern sollen.
„Amerikanische Verhältnisse“
So sind zum Beispiel nicht einzelne Geschädigte oder gar marktwirtschaftlich ausgerichtete Akteure, sondern nur nach verschiedenen Kriterien „qualifizierte“und staatlich überwachte Verbraucherverbände klagebefugt. Außerdem muss die unterlege Partei – wie auch sonst im österreichischen Recht, aber anders als normalerweise im US-amerikanischen Prozessrecht – die Verfahrenskosten der Gegenseite ersetzen. Das erhebliche finanzielle Risiko im Fall eines Prozessverlustes ist freilich ein zusätzlicher Anreiz, nur wohlüberlegte Klagen mit soliden Erfolgsaussichten zu führen. Die Erwägungsgründe zur Richtlinie stellen weiters etwa ausdrücklich klar, dass Strafschadenersätze nach amerikanischem Vorbild unerwünscht sind. Die Finanzierung von Verfahrenskosten und Prozessrisiko durch Dritte ist zwar im Anwendungsbereich der Richtlinie
nicht gänzlich verboten, aber nur unter relativ strengen Auflagen erlaubt. Gerade gewerbliche Prozessfinanzierer haben aber ohnehin ein ureigenes Interesse daran, nur gut begründete Klagen mit soliden Erfolgsaussichten zu finanzieren. Dass sie Klagemissbrauch fördern, ist kaum zu befürchten.
Niemand in Österreich sollte sich also vor der – längst überfälligen – Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie fürchten müssen. Durchaus besorgt sollten österreichische Steuerzahler aber im Fall der weiteren Verletzung der Umsetzungspflicht sein. Denn die Verletzung von EU-Recht durch einen Mitgliedstaat kann – abgesehen davon, dass sie für den Staat, seine politischen Verantwortungsträger und Bürger peinlich ist – teuer werden.
Kommission aktiv geworden
Die Europäische Kommission hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Der erste Schritt war schon vor einem Jahr erfolgt, als die Kommission Österreich (und 23 andere damals säumige Mitgliedstaaten) zu einer Stellungnahme aufgefordert hatte. Österreich konnte offenbar keine zufriedenstellenden Informationen über die Maßnahmen zur Umsetzung vorlegen und erhielt daher gleichzeitig mit Rumänien im November 2023 eine „mit Gründen versehene Stellungnahme“der Europäischen Kommission. Für eine Antwort hatte Österreich bis Mitte Jänner Zeit. Sollte diese Antwort – was angesichts der fortdauernden Inaktivität zu erwarten ist – aus Sicht der Kommission erneut nicht zufriedenstellend ausgefallen sein, kann sie den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen. Dieser kann in letzter Konsequenz finanzielle Sanktionen erlassen, die sich im Falle Österreichs voraussichtlich auf mindestens 1,9 Millionen Euro belaufen würden. Erhöhungen sind möglich, abhängig von der Dauer und Schwere des festgestellten Verstoßes gegen das Unionsrecht.
Mehr als Minimum gefordert
Angesichts des schon länger als ein Jahr andauernden Unionsrechtsverstoßes sollte man sich jedenfalls wünschen, dass Österreich endlich seiner europarechtlichen Verpflichtung nachkommt und ein den Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie entsprechendes Umsetzungsgesetz erlässt. Mit Blick auf eine sinnvolle Weiterentwicklung des Rechtsschutzsystems ist aber, wie auch OGH-Präsident Georg Kodek im „Presse“-Interview betonte, nicht auf eine bloße Mindestumsetzung der Regeln über die Abhilfeverbandsklage zu hoffen. Schließlich liegen ausreichend Vorschläge auf dem Tisch, wie dieses Instrument im Sinne eines effizienten und sinnvoll strukturierten Verfahrens, das die Interessen aller Beteiligten angemessen berücksichtigt, ausgestaltet werden könnte. Im Idealfall würde der Gesetzgeber also gleichzeitig den Rechtsstandort Österreich zumindest ein wenig weiterentwickeln.