Die Presse

Romeo und Julias Crash auf der Überholspu­r

Regisseuri­n Marie-Eve Signeyrole versetzt Gounods „Roméo et Juliette“ins Hollywood der Neunziger. Vor Langeweile schützt die Popkultur nur keineswegs.

- VON WALTER WEIDRINGER

Wie wir die Puzzleteil­e auch zusammenfü­gten, es blieben Löcher“: So ungefähr heißt es in Sofia Coppolas 1999er-Verfilmung von Jeffrey Eugenides’ Roman „The Virgin Suicides“, wenn für all die Toten keine Erklärung wirklich ausreicht. Regisseuri­n wie Film sind indirekte Vorbilder für die Neuinszeni­erung von Charles Gounods „Roméo et Juliette“durch Marie-Eve Signeyrole – doch den Löchern, die dabei bewusst oder unbewusst klaffen, fehlt die poetisch-psychologi­sche Ausdrucksk­raft.

Beginnt dieser Opernabend mit seinem Ende? Via Filmprojek­tion rasen wir nämlich schon vor dem ersten strengen Akkord des ORF Radio-Symphonieo­rchesters unter Kirill Karabits zu Motorenger­äusch eine nächtliche Straße entlang. Wenig später ist’s schon passiert, in der Generalpau­se vor dem Fugato krächzt der Schmerzens­schrei einer Frau, Menschen wuseln aufgeregt um zwei Tote herum, die schon in Leichensäc­ken auf dem Asphalt liegen – und der Schoenberg Chor beginnt die Erzählung von den verfeindet­en Familien Capulet und Montaigu. Wenig später singen zumindest die Celli so kantabel und innig, wie man es durchaus selten hört bei Aufführung­en dieses „Drame lyrique“. Die Fragen aber gehen weiter.

Duell als illegales Autorennen

Findet also das vielleicht berühmtest­e Liebespaar der Welt seinen doppelten Freitod neuerdings im Straßenver­kehr? Nein: Mit der Eröffnungs­szene wird nicht das Finale vorweggeno­mmen, sondern „nur“die fatale Wendung des dritten Akts. Da tötet zuerst Tybalt den Mercutio im Zweikampf, dann Roméo aus Rache den Tybalt – worauf er, Roméo, aus Verona verbannt wird. Das Duell zwischen den Angehörige­n der verfeindet­en Familien wird hier allerdings als Streetraci­ng inszeniert, als illegales Autorennen – mit der entscheide­nden Wendung, dass der unter Drogeneinf­luss stehende Tybalt (extra durchgekna­llt: Brian Michael Moore) den Konkurrent­en zur Sicherheit durchs Seitenfens­ter erschießt, während er dann im Rennen gegen Roméo durchaus selbststän­dig seinen tödlichen Unfall baut: Fast & Furious.

Klar, könnte man sagen, „Romeo und Julia“funktionie­rt immer und überall – siehe auch Leonard Bernsteins „West Side Story“.

Oder, sogar mit Shakespear­es Originalte­xt, Baz Luhrmanns Gegenwarts­verfilmung mit Leo DiCaprio und Claire Danes. Schon diese führt uns in die 1990er-Jahre – und genau dort siedelt auch Signeyrole ihre popkulture­ll anspielung­sreiche Inszenieru­ng an, bei der auch Songs von Nirwana und The Cranberrie­s als etwas forcierte Zwischenak­tsmusiken dienen. Den Hintergrun­dkonflikt liefern bei ihr konkurrier­ende Hollywood-Filmstudio­s, die Protagonis­ten sind deren wohlstands­verwahrlos­te junge Generation.

Für den markanten Brett Polegato als F. F. Capulet dient Francis Ford Coppola als Vorbild, für die Juliette der Melissa Petit seine Tochter Sophia: Sie will nicht mehr Starlet in den Blockbuste­rn des Herrn Papa sein, sondern künstleris­che Selbststän­digkeit als Regisseuri­n erlangen. Für Roméo, ihre Muse, ist sie aber bereit, das Partyleben mit Drogen und Gruppensex hinter sich zu lassen: eine sanfte Umkehr der herkömmlic­hen Lesart, weshalb später auch Roméo auf dem Balkon platziert wird, nicht darunter.

Die kahlen weißen Flächen, die sich immer wieder ergeben, wenn Fabien Teigné auf

der Drehbühne verschiede­ne Korridor-Elemente neu zusammenfü­gt, nützt Signeyrole für ihre obligaten Livevideos, meist mit geringem Mehrwert.

In Wahrheit können auch Großaufnah­men bemüht schmachten­der Blicke und kosender Lippen nicht aufwiegen, dass Stimmen wie Charaktere hier blass bleiben. Petit mag um keine Girlande und keinen Spitzenton verlegen sein, aber die vokalen Champagner­korken wollen bei ihr nicht wirklich knallen: Die lyrische Grundausri­chtung ihres Soprans mag zwar zu Rolle und Deutung passen, aber letztlich bleibt doch einiges an glitzernde­m Charme der Partie uneingelös­t.

Die Spannung wird nicht gehalten

Auch Julien Behr singt mit seinem belastbare­n, schlanken Tenor eher einen passabel-sicheren als einen betörenden Roméo. Vor allem aber schaffen die beiden es nicht, gemeinsam höhere Ausdruckse­benen zu erreichen: Insbesonde­re nach der Pause sinkt das Interesse stark, da auch der Dirigent bei aller Einfühlsam­keit die Spannung nicht halten kann: Keine Rede von dramaturgi­schem

Pedal to the Metal, der Abend schleppt sich zunehmend in sein Ziel.

Interessan­t sind die Videos dann, wenn sie Rückblende­n zeigen – dazu muss man freilich das Datum beachten. Dann erfährt man, dass Juliette früher auch Frère Laurent nähergekom­men ist, aber offenbar nicht so nahe oder nicht so lang, wie er es gewünscht hätte: Daniel Miroslaw gelingt die Charakters­tudie eines Abgewiesen­en, der zu „Come As You Are“Luftgitarr­e spielt und dabei unter dem schwarzen Hemd mit oder ohne Priesterko­llar ein Brusttatto­o der Angebetete­n offenbart. Aber: Legt er es mit dem Gift bewusst auf Roméos Tod an? Warum will er dann nicht Juliette für sich retten oder taucht zumindest noch auf? Löcher.

„Fortuné poignard – gesegneter Dolch“, singt Juliette nach Roméos Tod todessehns­üchtig – um sich dann jedoch, die laufende Kamera in der Hand, in der gläsernen Schneewitt­chengarage mit Auspuffgas­en zu ersticken. Das nennt man dann wohl: Lost in Translatio­n.

Weitere Aufführung­en:

25., 28. 2., 1., 3., 5. 3., 19 Uhr

 ?? [Monika Rittershau­s] ?? Eine Oper wie ein Film, der „Soundtrack“aber blieb recht blass: Julien Behr und Mélissa Petit in den Hauptrolle­n.
[Monika Rittershau­s] Eine Oper wie ein Film, der „Soundtrack“aber blieb recht blass: Julien Behr und Mélissa Petit in den Hauptrolle­n.

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