Konzerthaus: Chopin, ohne Einschmeicheln
Kirill Gerstein machte aus einem Klassikschlagerprogramm einen Abend höchster Konzentration.
Kaum zu glauben, dass das schon fast wieder ein Jahrzehnt her ist: Kirill Gersteins zutiefst ergreifender „Enoch Arden“mit Bruno Ganz im Mozart-Saal, oder seine Richard-Strauss-Burleske im Saal nebenan, überraschend subtil und wunderbar atmend. Höchste Zeit, ihm wieder zu lauschen, diesmal als alleinig Ausführendem in einem Klavierabend im halbwegs ordentlich gefüllten Mozart-Saal. Was kann ein Pianist, der aus solch eher unpopulären Werken Meisterwerke herauskitzelt, erst mit relativen Schlagern von Chopin, Schumann oder Kreisler machen?
Nun, es klang zumindest anders, als die unterbewusste Erwartung es wohl vorgab. Sein Chopin, ob in dem Spätwerk der Polonaise-Fantaisie Op. 61, der f-Moll Fantaisie Op. 49 oder dem durch Rubato entwalzten Grande Valse brilliante Op. 42, war von ungeheurer Zerrissenheit geprägt, frakturiert, sich in Einzelteile auflösend, die großer Konzentration bedurften, um der auf einmal gar nicht mehr einschmeichelnden Musik folgen zu können.
Die Polonaise-Fantaisie ist zugegebenermaßen von Haus aus kein pflegeleichtes Stück – und entsprechend war der Schritt zur letzten Nocturne von Fauré (Nr. 13, Op. 119) nicht groß. Normalerweise treffen sich die beiden Komponisten auf einer romantischen Ebene. Bei Gerstein trafen sich die beiden Komponisten in der Moderne und die pointillistische Nocturne rückte eher in Richtung Alban Berg: Dazu dunkel, bedrohlich, chromatisch wild, dem Entstehungsjahr 1921 gänzlich entsprechend.
Vieles schien erkämpft
Auch der Faschingsschwank aus Wien – Robert Schumanns Hymne für alle in Wien lebenden Deutschen, die schon einmal gefragt worden sind, ob sie es hier schön finden und wann sie wieder zurückfahren – ist von Natur aus nicht lustig. Aber gleich so durchtrieben, jede natürliche Agogik vermeidend, jede Erwartungshaltung untergrabend?
So vieles an diesem Abend schien erkämpft und introspektiv, grüblerisch, höchst animiert, aber irgendwie innerlich leblos wie Totentanz. So auch die LisztPolonaise vor der Halbzeit, Kreisler-Rachmaninoffs „Liebesleid“(ohne Freud) oder die zwei grabgesanggleichen armenischen „Tänze“von Komitas Vardapet der Zugabe. Da blieb es als heiterem Lichtblick inmitten des unerwarteten Dunkels dem ebenfalls viel zu selten zu hörenden Francis Poulenc überlassen, mit seinen, Ernst und Humor mühelos verschmelzenden, „Drei Intermezzi“dem Publikum einen Kicherer zu entlocken.