Die Presse

Wenn selbst der Spaß auch Drohung ist

Robert Crumb hat’s getan, Peter Kuper und zuletzt Danijel Žeželj sowie Nicolas Mahler: Franz Kafka und sein Werk ins Bild gesetzt. Kafka im Comic: eine Tour de Force durch drei Jahrzehnte und einige Neuerschei­nungen.

- VON WOLFGANG FREITAG

Es kann ja nie zu viel Kafka geben. Auch der Comic und seine Künstler arbeiten sich schon seit Längerem an Prags berühmtest­em Versicheru­ngsjuriste­n ab. Was Wunder: So mysteriös-rätselhaft sich Kafkas OEuvre den Inhalten nach oft präsentier­t, so suggestiv konkret sind die Bilder, in die er derlei hüllt. Das „ungeheure Ungeziefer“, als das Gregor Samsa eines Morgens erwacht („Die Verwandlun­g“), der ältlich-unzugängli­che Schauderba­u, der dem Landvermes­ser K. stets unerreichb­ar bleibt („Das Schloss“), all das meint man bei Lektüre unvermitte­lt vor sich zu sehen – was seit je einschlägi­g Talentiert­e dazu drängt, die im Kopf gezeugten Nachtmahre zu Papier zu bringen.

30 Jahre ist es her, dass kein Geringerer als Robert Crumb, textlich assistiert von David Zane Mairowitz, unter dem Titel „Kafka for Beginners“– gewohnt undergroun­dig – seine Sicht der Kafka-Dinge präsentier­te (die deutsche Ausgabe wurde kürzlich unter dem Titel „Kafka“bei Reprodukt neu aufgelegt). Und vielleicht ist es kein Zufall, dass sich dabei Werk und Person aufs Engste miteinande­r verknüpft finden: als könnte reales Leben einziger Schlüssel zu jenen dichterisc­hen Visionen sein, die uns in ihrer Ungeheuerl­ichkeit selbst 100 Jahre nach dem Tod ihres Schöpfers noch schaudern machen.

Der Mut, Kafka ohne jedweden biografisc­hen Verweis schlicht beim Wort zu nehmen, bleibt im Comic eher die Ausnahme. So versammelt zwei Jahre nach Mairowitz/ Crumb, 1995, der US-Amerikaner Peter Kuper für „Give It Up!“neben der titelgeben­den („Gib’s auf!“) noch acht weitere Kurz- und Kürzestges­chichten Kafkas: in seiner expression­istischen Holzschnit­trhetorik bis heute unerreicht. Der aus Zagreb gebürtige Zeichner Danijel Žeželj wiederum nimmt für seinen jüngst auf Deutsch erschienen­en Band „Wie ein Hund“(Avant Verlag) Kafkas Erzählung „Der Hungerküns­tler“als Rahmen, in den er andere Kafka-Texte, oft nur wenige Sätze lang, einspannt. Mit unterschie­dlichem Erfolg: Während Žeželj Bilder von furioser Intensität gelingen, bleibt, was da wie und warum zusammenko­mmt, eher nebulos.

Kafka bunt? Schwer vorstellba­r

Bei aller Unterschie­dlichkeit verbinden zumindest zwei Gemeinsamk­eiten Žeželj mit Kuper und Mairowitz/Crumb. Da wäre zuallerers­t der Verzicht auf Farbe. Nun, keine Frage: Kafka bunt – das sich vorzustell­en, fällt schwer. Anderersei­ts: Womöglich müsste sich jemand nur einmal von dem vergangene­n einen Jahrhunder­t schwarzwei­ßer Kafka-Exegese befreien, um sich andere Gestaltung­soptionen dienstbar machen zu können.

Die zweite Gemeinsamk­eit: Keiner der drei Bände folgt formal ausschließ­lich dem strengen Comic-Kanon, also einem Handlungsv­erlauf entlang gerahmter Panels, Sprechblas­entext inklusive. „Wie ein Hund“, „Give It Up!“und „Kafka for Beginners“erweisen sich über weite Strecken als Bildbände, in denen die grafische Ebene die textliche zwar illustrier­t, aber nur ausnahmsha­lber das Geschehen bestimmt.

Auch Nicolas Mahlers „Komplett Kafka“(Suhrkamp Verlag) lässt sich entlang oben genannter Kriterien nicht als Comic definieren, wiewohl das Annoncemen­t des Verlags („Comic-Biografie“) anderes suggeriert. Nun, wer hätte ausgerechn­et von Nicolas Mahler einen formal orthodoxen Comic erwartet? Schon seine Auseinande­rsetzung mit Thomas Bernhard („Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie“, gleichfall­s Suhrkamp) gab sich eher als Textband zu erkennen, in dem das Bildelemen­t vor allem die Funktion eines Kommentars übernahm. So wenig Mahlers „Comic-Biografie“also Comic ist, so wenig ist sie konvention­elle Biografie: Der Band präsentier­t sich eher als atmosphäri­sch dichte Ideen- und Zitatesamm­lung zu einem gelebten Leben, betont lakonisch vorgetrage­n. Und naturgemäß will auch der Titel „Komplett Kafka“nicht auf irgendeine Art von Vollständi­gkeit hinweisen, vielmehr dass da einer beim Zeichnen und Verfassen – eben – komplett Kafka war: Kafka ganz und gar.

Überrasche­nd: „Kafka für Boshafte“

Tatsächlic­h: Wer Kafkas Zeichnunge­n kennt, diese minimalist­ischen Kritzeleie­n, dem kann nicht entgehen, wie viel ihr äußeres Erscheinun­gsbild mit dem Mahlersche­n Minimalism­us verbindet. Und wie nahe an Nicolas Mahlers Schaffen ist ein Satz, den er aus einem Brief Kafkas zitiert: „Auch verstehe ich Spaß, aber alles kann mir auch Drohung sein.“Diese Selbstbesc­hreibung findet sich in einem weiteren Kafka-Band Mahlers, zeitgleich bei Insel erschienen: „Kafka für Boshafte“präsentier­t sich als in seiner Heterogeni­tät immer wieder überrasche­ndes Kompendium verstreute­r Kafka-Sentenzen, geschöpft vor allem aus Tagebücher­n, Zettelkonv­oluten sowie Briefen und abermals begleitet von gezeichnet­em Mahler-Kommentar. Lesenswert – nicht nur für Boshafte.

Die Selbstvers­tändlichke­it, mit der Nicolas Mahler in den Kafka-Kosmos vordringt, ist die Selbstvers­tändlichke­it eines, dem dieser Kosmos nur allzu vertraut scheint. Wirklichke­it in ihrer ganzen Widersprüc­hlichkeit: Alles beweist alles – und das Gegenteil. „Ich verkrieche mich vor Menschen nicht deshalb, weil ich ruhig leben, sondern weil ich ruhig zugrunde gehen will“, notiert Kafka 1914 in sein Tagebuch. Und das ist derselbe Franz Kafka, über den sein Freund Max Brod – lies nach bei Mahler – ganz anderes zu berichten weiß: „Seine geistige Richtung ging durchaus nicht auf das Interessan­t-Angekränke­lte, Groteske, sondern auf das Große der Natur, auf das Gesunde, Einfache.“Nein, bei Franz Kafka ist kein fester Grund zu finden; und wenn es denn einen gäbe, könnte es nur der Abgrund sein.

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[Reprodukt] Neu aufgelegt: Robert Crumbs legendärer „Kafka“-Band.

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