Die dunklen und die hellen Seiten des Menschseins
Das arrogante „Wir gegen die anderen“ist als Teil der menschlichen Natur von den Herrschenden einfach zu aktivieren und zu instrumentalisieren.
Erschütternd, wie wenig es braucht, um aus „ganz normalen“Männern Killer und Vergewaltiger zu machen! So massakrierten, folterten und vergewaltigten Hamas-Leute weit über 1000 Menschen in Israel auf die grausamst mögliche Art und amüsierten sich dabei offenbar köstlich. Sie stellten das auch noch ins Internet, was unfassbar vielen digitalen Zaungästen gefällt – welche (Selbst-) Entmenschlichung der Opfer, der Täter und auch der Beifallspender! Dem folgte ein rational verbrämter Rachefeldzug biblischen Ausmaßes durch den politisch angeschlagenen Benjamin Netanjahu. Zivilisten werden massenhaft getötet, unversorgt zur Flucht gezwungen, die zentrale UN-Hilfsorganisation wird desavouiert und offenbar in kollektiver Bestrafung die Lebensgrundlagen der (noch?) überlebenden Bevölkerung zerstört. Berichtet wird über viele schwer verletzte Kinder getöteter Eltern – oder umgekehrt. „Verhältnismäßig“oder Kriegsverbrechen? Geht es dabei tatsächlich „bloß“um die Vernichtung der Hamas?
Die Gewaltspirale begann vor Jahrhunderten mit Judenpogromen in der Diaspora, mit der Shoa, mit der Gründung des Staats Israel und der damit verbundenen Vertreibung der Palästinenser. Die wird es aber auch nach der Gaza-Aktion geben, selbst die Hamas wird irgendwie überleben, und neue Generationen werden auf noch schrecklichere Rache sinnen.
Gescheite Politologen mögen beurteilen, ob Israel als der demokratische, in jeder Beziehung potentere Seniorpartner in dieser andauernden Zerfleischung letztlich sein eigenes Grab schaufelt und den Nahen Osten und die Welt ins Armageddon befördert oder ob vielmehr die Apokalypse Versöhnung und Frieden ermöglicht.
Als Ethnologe mit Fokus auch auf menschliches Verhalten sehe ich uralte Mechanismen am Werk, instinktiv geprägtes Territorialverhalten im „Wir gegen die anderen“. Wie bei so vielen Konflikten entmenschlicht ein sich selbst als zivilisatorisch überlegen wähnendes Wir die anderen und handelt entsprechend. Auch die grönländischen Wikinger fühlten sich jahrhundertelang den „Scraelings“überlegen, bis ihnen schließlich in der kleinen Eiszeit des 15. Jahrhunderts die verachteten Inuit den Garaus machten. Dieses arrogante „Wir gegen die anderen“ist als Teil der menschlichen Natur von den Herrschenden einfach zu aktivieren und zu instrumentalisieren. Erschütternd, wie wenig es braucht, um aus „ganz normalen“Männern Killer und Vergewaltiger zu machen! Mittels Außenfeinden schließt man trefflich die Reihen im Staat, wie Putins schrittweiser Überfall auf die Ukraine belegt. Ähnlich im Nahen Osten: Während die Hamas vom Wahn der Vernichtung Israels lebt, eint der Abwehrkampf (samt latent antipalästinensischem Rassismus) den demokratisch-pluralistischen Staat – in nicht unüblicher Allianz zwischen den „Bösen“und den „Guten“.
Wie da rauskommen? Es liegt wohl vor allem am Seniorpartner, die Hand zu reichen. Egal, ob Ein- oder Zweistaatenlösung – ein enormer Leidensdruck wird letztlich dazu zwingen, dem Freundlich-Kooperativen der menschlichen Natur eine Chance zu geben, indem man die wechselseitige Entmenschlichung beendet. Weil wir Menschen in unserem Verhalten „altmodisch“sind und bleiben, führt kein Weg an Respekt und Versöhnung vorbei. Die Alternative wäre Pogrom. Nur mittels der starken freundlichen Seiten der menschlichen Natur ist diese Spirale an Katastrophen zu beenden.