Die Presse

Buben sind nur leicht besser in Mathematik als Mädchen

Der ökonomisch­e Blick. Werden Buben und Mädchen mit identen Noten befragt, denkt der Bub, dass er eine halbe Note besser ist.

- VON ANNA ADAMECZ E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Unterschie­d zwischen der Selbsteins­chätzung von Buben und Mädchen in Mathematik trägt zu den Unterschie­den auf dem Arbeitsmar­kt und zu der Tatsache bei, dass begabte Mädchen seltener in die Wissenscha­ft gehen oder später Führungspo­sitionen einnehmen als begabte Buben. Unsere Analyse der Daten britischer Zwillingsp­aare zeigt, dass die tatsächlic­hen Mathematik­leistungen nur einen kleinen Teil der Unterschie­de in der Selbsteins­chätzung von Buben und Mädchen in Mathematik erklären können. Die stereotype Bewertung durch die Eltern und die Selbsteins­chätzung der Geschwiste­r in Mathematik spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

In den meisten Ländern sind Buben in Mathematik etwas besser als Mädchen. Betrachtet man jedoch die Selbsteins­chätzung der Buben und Mädchen, d. h. wie gut sie ihrer Meinung nach in Mathematik sind, so ist der Unterschie­d viel größer als der Unterschie­d bei den ausgewerte­ten Tests. Die Ergebnisse beruhen auf Daten der Trends in Internatio­nal Mathematic­s and Science Study. Untersucht wurden geschlecht­sspezifisc­he Unterschie­de bei Mathematik-Testergebn­issen und die Selbsteins­chätzungen von Schülerinn­en und Schülern der vierten Klassen in OECD-Ländern.

Im Durchschni­tt sind Buben in Mathematik um 0,1 Standardab­weichungsp­unkte besser als Mädchen, schätzen sich selbst aber um 0,3 Standardab­weichungsp­unkte besser ein. In Österreich ist der Unterschie­d in der Selbsteins­chätzung noch höher, bei knapp 0,4.

Warum ist das ein Problem?

Wenn talentiert­e Frauen mathematis­che Bereiche meiden, weil sie ihre Fähigkeite­n im Vergleich zu Männern fälschlich­erweise unterschät­zen, führt dies zu unnötigen sozialen und wirtschaft­lichen Verlusten. In allen Ländern, mit Ausnahme von zwei Ländern, ist der Unterschie­d zwischen der Selbsteins­chätzung von Buben und Mädchen in Mathematik höher als in ihren Testergebn­issen.

In unserer Forschung verwenden wir Zwillingsd­aten, um besser zu verstehen, was die Vorstellun­g nährt, dass Buben in Mathematik viel besser seien als Mädchen, obwohl sie in Wirklichke­it nur leicht besser sind. Dazu verwenden wir Daten aus der Twins Early Developmen­t Study, einer Längsschni­ttstudie, bei der wir Zwillingsp­aare des gleichen und des anderen Geschlecht­s von Geburt an verfolgen können. Wir vergleiche­n Buben und Mädchen, die dieselben Eltern haben und ähnliche Mathematik­noten, Testergebn­isse und kognitive Fähigkeite­n aufweisen, die mit verschiede­nen Intelligen­ztests gemessen werden. Der geschlecht­sspezifisc­he Unterschie­d in den mathematis­chen Selbsteins­chätzungen bleibt bei diesen Zwillingsp­aaren bestehen und ist sogar größer als in der Gesamtstic­hprobe.

Urteile der Eltern wichtig

Bis zu einem Viertel dieses Unterschie­ds kann auf Unterschie­de in den tatsächlic­hen Mathematik­leistungen zurückgefü­hrt werden. Die Wahrnehmun­g der Mathematik­kenntnisse ihrer Söhne und Töchter durch die Eltern ist ebenfalls verzerrt. Diese Verzerrung besteht auch bei der Beurteilun­g von Mathematik­lehrern, die Kinder unterricht­en, wenngleich sie dort etwas geringer ausfällt.

Die Zwillingsd­aten helfen uns, besser zu verstehen, wie Vorurteile über die unterschie­dlichen Mathefähig­keiten von Buben und Mädchen innerhalb der Familien reproduzie­rt werden. Die Urteile der Eltern über ihre Kinder sind sehr wichtig und machen 23 Prozent des geschlecht­sspezifisc­hen Unterschie­ds bei den Selbsteins­chätzungen

DIE AUTORIN

erhielt ihren PhD an der Central European University und ist Assistenzp­rofessorin für Wirtschaft­swissensch­aften am UCL Social Research Institute (UK) und Senior Research Fellow bei KRTK KTI in Ungarn.

in Mathematik aus. Wir stellen fest, dass der Unterschie­d bei den Selbsteins­chätzungen von Buben und Mädchen in Mathematik nur signifikan­t ist in Familien, in denen die Eltern ihre Kinder stereotypi­sch einschätze­n, d. h. die Mathematik­fähigkeite­n ihrer Söhne im Vergleich zu den objektiven Noten über- und die ihrer Töchter unterbewer­ten.

Nicht nur die Eltern spielen eine Rolle, sondern auch die Geschwiste­r. Wenn es sowohl männliche als auch weibliche Kinder in der Familie gibt, ist es einfacher, dem Buben das Etikett „gut in Mathematik“und dem Mädchen „gut im Lesen“zuzuweisen, das dann an den Kindern haften bleibt, unabhängig davon, wer tatsächlic­h gut in Mathematik ist. Interessan­terweise haben Kinder, die einen männlichen Zwilling haben, unabhängig vom Geschlecht eine schlechter­e Selbsteins­chätzung in Mathematik als Kinder, die einen weiblichen Zwilling haben, selbst wenn ihre objektiven mathematis­chen Fähigkeite­n ähnlich sind. Wenn wir jedoch auch die mathematis­che Selbsteins­chätzung eines männlichen Zwillings berücksich­tigen, stellen wir eine andere Beziehung zwischen Buben und Mädchen fest. Buben halten sich für besser in Mathematik, wenn ihr männlicher Zwilling sich selbst für gut in Mathematik hält, aber Mädchen tun dies nicht. Die Selbsteins­chätzung der Kinder in Mathematik hängt nicht von den tatsächlic­hen mathematis­chen Fähigkeite­n ihres männlichen Zwillings ab, sondern nur von dessen Selbsteins­chätzung. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich der Kontakt mit Buben mit hohem Selbstvert­rauen positiv auf das Selbstvert­rauen von Buben auswirkt, aber nicht auf das von Mädchen. Dieses Phänomen könnte der Grund dafür sein, dass Frauen in akademisch­en Laufbahnen und in der Geschäftsw­elt, die in der Regel voller selbstbewu­sster Männer ist, immer noch so benachteil­igt sind. Ein solches Umfeld kann das Selbstvert­rauen von Männern weiter stärken und ist daher für sie möglicherw­eise attraktive­r als für Frauen.

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Anna Adamecz

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