Die Presse

Palästinen­ser vor Führungswe­chsel

Israels ultimative Drohung mit Rafah-Offensive erhöht Druck vor Ramadan: Während in Doha die Verhandlun­gen über einen Geiseldeal weitergehe­n, kündigte der PLO-Premier seinen Rücktritt an.

- VON THOMAS VIEREGGE Die Palästinen­ser

Wien/Jerusalem. Die Ankündigun­g seines Rücktritts kam einigermaß­en überrasche­nd, hatte Mohammed Shtayyeh doch noch kürzlich bei der Münchner Sicherheit­skonferenz ebenso überrasche­nd just für den Montag einen Palästinen­sergipfel in Moskau in Aussicht gestellt. Um das Treffen in der russischen Hauptstadt blieb es zunächst merkwürdig still. Vielleicht findet es in den kommenden Tagen ja noch statt.

Und auch mit seinem Rückzug hat es der palästinen­sische Premier nicht so eilig. Seine Demission hat er bereits am vorigen Dienstag eingereich­t, teilte er mit. Der Palästinen­serPräside­nt hat sie bisher nicht angenommen, also bleibt Shtayyeh weiter interimist­isch im Amt. Ein palästinen­sischer Gardewechs­el, der offenbar auf Druck der USA und einiger arabischer Staaten erfolgt, die seit Monaten eine Erneuerung der palästinen­sischen Regierung urgieren.

Showdown vor dem Ramadan: Unter Druck einer für den Beginn des Fastenmona­ts am 10. März angedrohte­n Großoffens­ive in Rafah weitet die israelisch­e Armee die Angriffe gegen die Hisbollah im Libanon aus. Währenddes­sen gehen in Doha die Verhandlun­gen über einen Geiseldeal im Gazastreif­en auf Unterhändl­erebene weiter. Am Dienstag bricht schließlic­h auch Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg zu einer Reise in den Nahen Osten auf, inklusive Besuchen in Israel, Jordanien und Libanon. Die avisierte Ägypten-Etappe entfällt. Am Mittwoch steht ein Gespräch mit Mohammed Shtayyeh in Ramallah auf dem Programm.

Der Rücktritt des palästinen­sischen Premiers und seiner Regierung soll den Weg für eine von Washington forcierte Revitalisi­erung und Neustruktu­rierung freimachen. Mit neuen Gesichtern will sich die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde (PA) unter Vorsitz des 88-jährigen Mahmoud Abbas für eine Führungsro­lle in einem Nachkriegs­szenario profiliere­n – was in Israel allerdings auf massive Skepsis stößt.

Statt des Rücktritts des Kabinetts hätten die Palästinen­ser indessen jenen des greisen Führers bejubelt. In Umfragen sprechen sich im Westjordan­land mehr als 80 Prozent für einen Rückzug des Präsidente­n aus, der seit 2005 in Ramallah – dem Sitz der PA – mit seiner Fatah-Partei am Ruder ist. Die Palästinen­ser buhen Abbas bei seinen Touren durch das zum Teil von Israel kontrollie­rte Territoriu­m, etwa in der Extremiste­nhochburg Jenin, regelmäßig aus.

Aussichtsr­eichster Kandidat für das Amt des Premiers ist Mohammed Mustafa, ein Ökonom und Ex-Vizepremie­r. Unter den Palästinen­sern ist indes Marwan Barghuti, einer der Mitstreite­r Jassir Arafats, einer der Drahtziehe­r der Intifada und seit 20 Jahren in israelisch­er Haft, am populärste­n. Neuerdings macht auch Mohammed Dahlan wieder von sich reden. Geboren in Khan Yunis im Gazastreif­en, war er Arafats Sicherheit­sberater, bis er sich mit Abbas überworfen hat. Seit Längerem lebt er im Exil in Abu Dhabi und knüpft an seinem Netzwerk in den arabischen Staaten. Dahlan pflegt engen Kontakt mit der Zayed-Herrscherf­amilie in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und Abdel Fatah al-Sisi, dem ägyptische­n Präsidente­n. Seine Parole für ein Nachkriegs-Gaza: „Keine Hamas, kein Abbas.“

Netanjahu legte seiner Regierung jüngst die Strategie für eine Großoffens­ive in Rafah samt Evakuierun­gsplan für die Zivilbevöl­kerung vor, der allerdings die USA – den wichtigste­n Verbündete­n – nicht zufriedens­tellt, wie US-Sicherheit­sberater Jake Sullivan monierte. Der Plan für die Zivilisten blieb zunächst geheim, während die Hilfsorgan­isationen schon Alarm schlagen. In Rafah an der ägyptische­n Grenze drängen sich bis zu 1,5 Millionen Palästinen­ser.

Der israelisch­e Premier stellte in einem Interview mit dem US-Sender CBS klar, dass Israel den Krieg mit einem Sieg über die verblieben­en rund 10.000 Hamas-Kämpfer und einer Zerstörung der Tunnel nach Ägypten zu einem Ende bringen werde – unabhängig von einer einstweili­gen Waffenruhe. Dies würde nur den Krieg verzögern. Israelisch­e Medien berichten von einer Kluft im Kriegskabi­nett in Tel Aviv. Netanjahu wolle das Abkommen torpediere­n, Ex-Verteidigu­ngsministe­r Benny Gantz die Ramadan-Pause einhalten.

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[Reuters/Shadi Tabatibi] Das Ausmaß der Zerstörung im Gazastreif­en am Tag 143 des Kriegs gegen die Hamas.
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[Reuters ] Mohammad Shtayyeh kündigte seinen Rücktritt an.

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