Palästinenser vor Führungswechsel
Israels ultimative Drohung mit Rafah-Offensive erhöht Druck vor Ramadan: Während in Doha die Verhandlungen über einen Geiseldeal weitergehen, kündigte der PLO-Premier seinen Rücktritt an.
Wien/Jerusalem. Die Ankündigung seines Rücktritts kam einigermaßen überraschend, hatte Mohammed Shtayyeh doch noch kürzlich bei der Münchner Sicherheitskonferenz ebenso überraschend just für den Montag einen Palästinensergipfel in Moskau in Aussicht gestellt. Um das Treffen in der russischen Hauptstadt blieb es zunächst merkwürdig still. Vielleicht findet es in den kommenden Tagen ja noch statt.
Und auch mit seinem Rückzug hat es der palästinensische Premier nicht so eilig. Seine Demission hat er bereits am vorigen Dienstag eingereicht, teilte er mit. Der PalästinenserPräsident hat sie bisher nicht angenommen, also bleibt Shtayyeh weiter interimistisch im Amt. Ein palästinensischer Gardewechsel, der offenbar auf Druck der USA und einiger arabischer Staaten erfolgt, die seit Monaten eine Erneuerung der palästinensischen Regierung urgieren.
Showdown vor dem Ramadan: Unter Druck einer für den Beginn des Fastenmonats am 10. März angedrohten Großoffensive in Rafah weitet die israelische Armee die Angriffe gegen die Hisbollah im Libanon aus. Währenddessen gehen in Doha die Verhandlungen über einen Geiseldeal im Gazastreifen auf Unterhändlerebene weiter. Am Dienstag bricht schließlich auch Außenminister Alexander Schallenberg zu einer Reise in den Nahen Osten auf, inklusive Besuchen in Israel, Jordanien und Libanon. Die avisierte Ägypten-Etappe entfällt. Am Mittwoch steht ein Gespräch mit Mohammed Shtayyeh in Ramallah auf dem Programm.
Der Rücktritt des palästinensischen Premiers und seiner Regierung soll den Weg für eine von Washington forcierte Revitalisierung und Neustrukturierung freimachen. Mit neuen Gesichtern will sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter Vorsitz des 88-jährigen Mahmoud Abbas für eine Führungsrolle in einem Nachkriegsszenario profilieren – was in Israel allerdings auf massive Skepsis stößt.
Statt des Rücktritts des Kabinetts hätten die Palästinenser indessen jenen des greisen Führers bejubelt. In Umfragen sprechen sich im Westjordanland mehr als 80 Prozent für einen Rückzug des Präsidenten aus, der seit 2005 in Ramallah – dem Sitz der PA – mit seiner Fatah-Partei am Ruder ist. Die Palästinenser buhen Abbas bei seinen Touren durch das zum Teil von Israel kontrollierte Territorium, etwa in der Extremistenhochburg Jenin, regelmäßig aus.
Aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Premiers ist Mohammed Mustafa, ein Ökonom und Ex-Vizepremier. Unter den Palästinensern ist indes Marwan Barghuti, einer der Mitstreiter Jassir Arafats, einer der Drahtzieher der Intifada und seit 20 Jahren in israelischer Haft, am populärsten. Neuerdings macht auch Mohammed Dahlan wieder von sich reden. Geboren in Khan Yunis im Gazastreifen, war er Arafats Sicherheitsberater, bis er sich mit Abbas überworfen hat. Seit Längerem lebt er im Exil in Abu Dhabi und knüpft an seinem Netzwerk in den arabischen Staaten. Dahlan pflegt engen Kontakt mit der Zayed-Herrscherfamilie in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Abdel Fatah al-Sisi, dem ägyptischen Präsidenten. Seine Parole für ein Nachkriegs-Gaza: „Keine Hamas, kein Abbas.“
Netanjahu legte seiner Regierung jüngst die Strategie für eine Großoffensive in Rafah samt Evakuierungsplan für die Zivilbevölkerung vor, der allerdings die USA – den wichtigsten Verbündeten – nicht zufriedenstellt, wie US-Sicherheitsberater Jake Sullivan monierte. Der Plan für die Zivilisten blieb zunächst geheim, während die Hilfsorganisationen schon Alarm schlagen. In Rafah an der ägyptischen Grenze drängen sich bis zu 1,5 Millionen Palästinenser.
Der israelische Premier stellte in einem Interview mit dem US-Sender CBS klar, dass Israel den Krieg mit einem Sieg über die verbliebenen rund 10.000 Hamas-Kämpfer und einer Zerstörung der Tunnel nach Ägypten zu einem Ende bringen werde – unabhängig von einer einstweiligen Waffenruhe. Dies würde nur den Krieg verzögern. Israelische Medien berichten von einer Kluft im Kriegskabinett in Tel Aviv. Netanjahu wolle das Abkommen torpedieren, Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz die Ramadan-Pause einhalten.