Die Presse

Gilt bald ganze AfD als rechtsextr­em?

Deutschlan­d. Der Verfassung­sschutz bereitet ein drittes Gutachten über die Partei vor. Eine Hochstufun­g wird erwartet, die Umfragewer­te der Rechtsauße­n sinken.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Beim ersten Mal wurde sie zum „Prüffall“ernannt. Beim zweiten Mal zum „Verdachtsf­all“erklärt. Wenn der deutsche Verfassung­sschutz im März sein drittes Gutachten über die Rechtsauße­n-Partei AfD vorlegt, wird eine weitere Hochstufun­g erwartet: „Gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung“könnte es dann heißen. Das berichtet die „Süddeutsch­e Zeitung“(„SZ“), die sich in dieser Einschätzu­ng auf Mails aus dem Inneren des Inlandsnac­hrichtendi­enstes beruft.

Demnach arbeite ein eigenes Team im deutschen Bundesamt für Verfassung­sschutz seit Monaten an einem neuen Gutachten zur AfD. Dieses hätte die „Entwicklun­g der Partei seit März 2022“zum Thema. In einem eigenen Punkt soll laut „SZ“auf das Verhältnis der deutschen Rechtsauße­n zu Russland eingegange­n werden. Bisher hatten die deutschen Verfassung­sschützer nur einzelne Landesverb­ände der AfD, die offiziell aufgelöste innerparte­iliche Strömung Der Flügel und die Jugendorga­nisation Junge Alternativ­e als „gesichert rechtsextr­emistisch“eingestuft. Sollte dieses Urteil auf die gesamte Partei ausgeweite­t werden, könnte der Inlandsnac­hrichtendi­enst

die AfD, einzelne Funktionär­e oder Mitglieder observiere­n, Informante­n aus ihrem Umfeld anwerben oder Kommunikat­ion wie Telefonate und Mails überwachen. Dabei müssen die Verfassung­sschützer aber verhältnis­mäßig vorgehen. Für Mandatare gelten bei der Beobachtun­g strenge Regeln. Die AfD kann die Einstufung vor Gericht bekämpfen. Im März soll das Oberverwal­tungsgeric­ht in Münster entscheide­n, ob die

Partei 2021 als „Verdachtsf­all“kategorisi­ert werden durfte. Laut „SZ“wollen die Verfassung­sschützer das Urteil abwarten, bevor sie ihr Gutachten vorlegen.

Sellner im ersten Gutachten

Wie ein solches Dokument aussieht, lässt sich am Prüffall-Gutachten zur AfD aus dem Jahr 2019 nachlesen. Die Nachrichte­nplattform

Netzpoliti­k hat die mehr als 400 Seiten lange Sammlung in voller Länge online gestellt. Darin werden an mehreren Stellen auch die Kontakte von AfD-Politikern mit dem österreich­ischen Rechtsextr­emen Martin Sellner angeführt. Dieser sorgte mit einem Vortrag vor AfD-Funktionär­en, CDU-Mitglieder­n und Unternehme­rn in Potsdam im November für Schlagzeil­en. Der Österreich­er soll sich dort für die Aussiedlun­g von Millionen Menschen aus Deutschlan­d ausgesproc­hen haben. Am vergangene­n Freitag trat er vor der als rechtsextr­emistisch eingestuft­en Sachsengar­de in der 250.000 Einwohner zählenden Stadt Chemnitz auf. Die deutschen Behörden prüfen derzeit ein Einreiseve­rbot für Sellner.

Auf die Berichte über das Potsdamer Treffen folgten Massendemo­nstratione­n gegen rechts in mehr als hundert Städten in ganz

Deutschlan­d. Die AfD verlor danach in den Umfragen erstmals seit Monaten an Zustimmung und rutschte wieder unter die 20-Prozent-Marke. Sie liegt weiter auf dem zweiten Platz hinter der CDU.

Weiter Debatte um Verbot

Nun fordern die politische­n Gegner der AfD wieder vermehrt, die Partei zu verbieten. Im Gegensatz zu Österreich ist ein solches Parteiverb­ot in Deutschlan­d möglich, muss aber auf einen politische­n Antrag hin vom Verfassung­sgerichtsh­of erlassen werden. „Das ist ein Katz-undMaus-Spiel, das sicher mehr als zwei Jahre dauern würde“, sagte Staatsrech­tler Ulrich Battis vor ausländisc­hen Journalist­en in Berlin.

In einem Prozess müsse der AfD als Ganzer nachgewies­en werden, gegen die freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng in Deutschlan­d zu arbeiten. Selbst wenn die Verfassung­sschützer in unzähligen Aktenordne­rn problemati­sche Aussagen sammelten, müssten diese alle erst geprüft werden. Bereits in der Vergangenh­eit reagierte die Partei zudem immer wieder auf Druck von außen. Die Gruppe Der Flügel löste sich beispielsw­eise auf, nachdem sie als rechtsextr­emistisch eingestuft worden war. Ihre Führungsfi­guren blieben aber – und gewannen sogar an Einfluss.

Das ist ein Katzund-Maus-Spiel, das sicher mehr als zwei Jahre dauern würde.

Ulrich Battis, deutscher Staatsrech­tler

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