Gilt bald ganze AfD als rechtsextrem?
Deutschland. Der Verfassungsschutz bereitet ein drittes Gutachten über die Partei vor. Eine Hochstufung wird erwartet, die Umfragewerte der Rechtsaußen sinken.
Beim ersten Mal wurde sie zum „Prüffall“ernannt. Beim zweiten Mal zum „Verdachtsfall“erklärt. Wenn der deutsche Verfassungsschutz im März sein drittes Gutachten über die Rechtsaußen-Partei AfD vorlegt, wird eine weitere Hochstufung erwartet: „Gesichert rechtsextremistische Bestrebung“könnte es dann heißen. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung“(„SZ“), die sich in dieser Einschätzung auf Mails aus dem Inneren des Inlandsnachrichtendienstes beruft.
Demnach arbeite ein eigenes Team im deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz seit Monaten an einem neuen Gutachten zur AfD. Dieses hätte die „Entwicklung der Partei seit März 2022“zum Thema. In einem eigenen Punkt soll laut „SZ“auf das Verhältnis der deutschen Rechtsaußen zu Russland eingegangen werden. Bisher hatten die deutschen Verfassungsschützer nur einzelne Landesverbände der AfD, die offiziell aufgelöste innerparteiliche Strömung Der Flügel und die Jugendorganisation Junge Alternative als „gesichert rechtsextremistisch“eingestuft. Sollte dieses Urteil auf die gesamte Partei ausgeweitet werden, könnte der Inlandsnachrichtendienst
die AfD, einzelne Funktionäre oder Mitglieder observieren, Informanten aus ihrem Umfeld anwerben oder Kommunikation wie Telefonate und Mails überwachen. Dabei müssen die Verfassungsschützer aber verhältnismäßig vorgehen. Für Mandatare gelten bei der Beobachtung strenge Regeln. Die AfD kann die Einstufung vor Gericht bekämpfen. Im März soll das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheiden, ob die
Partei 2021 als „Verdachtsfall“kategorisiert werden durfte. Laut „SZ“wollen die Verfassungsschützer das Urteil abwarten, bevor sie ihr Gutachten vorlegen.
Sellner im ersten Gutachten
Wie ein solches Dokument aussieht, lässt sich am Prüffall-Gutachten zur AfD aus dem Jahr 2019 nachlesen. Die Nachrichtenplattform
Netzpolitik hat die mehr als 400 Seiten lange Sammlung in voller Länge online gestellt. Darin werden an mehreren Stellen auch die Kontakte von AfD-Politikern mit dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner angeführt. Dieser sorgte mit einem Vortrag vor AfD-Funktionären, CDU-Mitgliedern und Unternehmern in Potsdam im November für Schlagzeilen. Der Österreicher soll sich dort für die Aussiedlung von Millionen Menschen aus Deutschland ausgesprochen haben. Am vergangenen Freitag trat er vor der als rechtsextremistisch eingestuften Sachsengarde in der 250.000 Einwohner zählenden Stadt Chemnitz auf. Die deutschen Behörden prüfen derzeit ein Einreiseverbot für Sellner.
Auf die Berichte über das Potsdamer Treffen folgten Massendemonstrationen gegen rechts in mehr als hundert Städten in ganz
Deutschland. Die AfD verlor danach in den Umfragen erstmals seit Monaten an Zustimmung und rutschte wieder unter die 20-Prozent-Marke. Sie liegt weiter auf dem zweiten Platz hinter der CDU.
Weiter Debatte um Verbot
Nun fordern die politischen Gegner der AfD wieder vermehrt, die Partei zu verbieten. Im Gegensatz zu Österreich ist ein solches Parteiverbot in Deutschland möglich, muss aber auf einen politischen Antrag hin vom Verfassungsgerichtshof erlassen werden. „Das ist ein Katz-undMaus-Spiel, das sicher mehr als zwei Jahre dauern würde“, sagte Staatsrechtler Ulrich Battis vor ausländischen Journalisten in Berlin.
In einem Prozess müsse der AfD als Ganzer nachgewiesen werden, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland zu arbeiten. Selbst wenn die Verfassungsschützer in unzähligen Aktenordnern problematische Aussagen sammelten, müssten diese alle erst geprüft werden. Bereits in der Vergangenheit reagierte die Partei zudem immer wieder auf Druck von außen. Die Gruppe Der Flügel löste sich beispielsweise auf, nachdem sie als rechtsextremistisch eingestuft worden war. Ihre Führungsfiguren blieben aber – und gewannen sogar an Einfluss.
Das ist ein Katzund-Maus-Spiel, das sicher mehr als zwei Jahre dauern würde.
Ulrich Battis, deutscher Staatsrechtler