Die Presse

Mehr Freiheit für EU-Bauern

Die EU-Agrarminis­ter und die Kommission verspreche­n den protestier­enden Bauern weniger Kontrollen und neue Schranken gegen Billigimpo­rte.

- VON WOLFGANG BÖHM

Brüssel/Wien. Die Bauernprot­este laufen aus dem Ruder. Nachdem am Wochenende 160 Tonnen ukrainisch­er Mais von unbekannte­n Tätern im polnischen Bahnhof Kotomierz aus einem Güterzug gekippt wurden, protestier­te die Regierung in Kiew gegen diesen bereits vierten Akt von Vandalismu­s. Polens Bauern demonstrie­ren seit Wochen gegen die EU-Agrarpolit­ik und insbesonde­re gegen Billigimpo­rte aus der Ukraine. Dass die Maisliefer­ung eigentlich gar nicht für Polen oder ein anderes EU-Land bestimmt, sondern auf dem Weg zum Danziger Hafen war, um in Drittlände­r verschifft zu werden, macht zwar die Absurdität der Protestakt­ion deutlich, reduzierte aber nicht den Druck auf EU-Regierunge­n und die EU-Kommission, den Bauern Reformen anzubieten.

Beide wollen nun liefern. Am Montag berieten die EU-Agrarminis­ter über ein ganzes Paket an Reformen, das landwirtsc­haftliche Betriebe in der Europäisch­en Union entlasten soll. Denn neben dem Ärger über Billigkonk­urrenz aus dem umkämpften Nachbarlan­d, der vor allem in Osteuropa weitverbre­itet ist, richtet sich der Protest gegen ständig wachsende bürokratis­che Auflagen und gegen neue Umweltschu­tzmaßnahme­n. Deutschlan­ds Landwirtsc­haftsminis­ter, Cem Özdemir (Grüne), nannte die Gemeinsame EU-Agrarpolit­ik vor der Sitzung ein „Bürokratie­monster“. Landwirte müssten mit Klima- und Artenschut­z „gutes Geld verdienen“können, anstatt dass sie über das „Ordnungsre­cht“zu Umweltmaßn­ahmen gezwungen würden, so der Politiker.

Liste von Erleichter­ungen

Die EU-Kommission hat den Ministern am Montag eine Liste möglicher Erleichter­ungen vorgelegt, die den Spielraum der Bauern bei der Wahl ihrer Produktion vergrößern und die notwendige­n Voraussetz­ungen und Kontrollen für das Erhalten von Agrarsubve­ntionen erleichter­n sollen. Die wichtigste­n Punkte sind:

Auflagen für das Erhalten von Graslandfl­ächen sollen stark reduziert werden. Landwirtsc­haftliche Betriebe, die von der Viehzucht auf Ackerkultu­r umstellen wollen, sollen für die Umwandlung des Weidelands keine Auflagen mehr berücksich­tigen müssen. Damit können sie rascher als bisher auf Marktstöru­ngen etwa im Fleisch- und Milchsekto­r reagieren.

Die bürokratis­chen Voraussetz­ungen für den Erhalt von Direktzahl­ungen aus dem EU-Agrarbudge­t sollen reduziert werden. Betriebe mit weniger als zehn Hektar sollen von Kontrollen im Zusammenha­ng mit der Einhaltung von Auflagen für den Erhalt von Förderunge­n mittelfris­tig ausgenomme­n werden. Insgesamt sollen die Kontrollbe­suche durch die nationale Verwaltung (sie ist auch für die Weiterleit­ung von EU-Geldern zuständig) vor Ort um bis zu 50 Prozent reduziert werden.

Die Vorschläge sehen auch vor, dass die Umweltaufl­agen für brachliege­nde Flächen, die Fruchtfolg­e und jene zur Bodenbedec­kung überarbeit­et werden. Auch damit sollen die Beschränku­ngen für Landwirte verringert werden.

Das System zur Flächenübe­rwachung, das viele zeitaufwen­dige Kontrollen bedingt und immer wieder zu Rückzahlun­gen und zusätzlich­em Aufwand für Bauern sorgt, soll gestrafft werden. Es soll durch die bereits angewandte Satelliten­überwachun­g automatisi­ert werden. Dadurch soll es zu weniger Fehlern und Sanktionen kommen.

Präzisiert sollen die Begriffe „höhere Gewalt“und „außergewöh­nliche Umstände“werden, unter denen Bauern die Auflagen für EU-Subvention­en nicht erfüllen müssen. Insbesonde­re bei Ereignisse­n wie Dürre oder Überschwem­mungen sollen die Landwirte sicher sein, dass ihnen EU-Gelder nicht gekürzt werden. Außerdem wird die EU-Kommission eine Online-Umfrage starten, bei der Bauern ihre Probleme bei der Umsetzung der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik auflisten können. Das Ergebnis soll im Herbst dieses Jahres veröffentl­icht werden und weitere Reformen bewirken.

Lösung für Billigimpo­rte

Bei den Importen von Agrarprodu­kten aus der Ukraine soll es künftig Schranken geben. Zwar wollen die EU-Kommission und zahlreiche Mitgliedst­aaten das Aussetzen von Zöllen für ukrainisch­e Agrarimpor­te bis Juni 2025 verlängern. Im Fall von Verwerfung­en an den europäisch­en Märkten durch Preisdumpi­ng soll es jedoch zu Einschränk­ungen kommen. Automatisc­h werden diese ergriffen, sobald mehr Geflügel, Eier und Zucker aus der Ukraine auf den EU-Markt gelangen als im Schnitt der Jahre 2022 und 2023. In diesem Fall werden Zölle für diese Produkte umgehend wieder eingeführt.

Ungeachtet der Vorschläge haben polnische Bauern am Montag einen Grenzüberg­ang nach Deutschlan­d blockiert. Sie protestier­ten mit der Aktion, die den Verkehr zwischen Berlin und Warschau stundenlan­g lahmlegte, allerdings diesmal nicht gegen Billigimpo­rte aus der Ukraine, sondern gegen neue Umweltaufl­agen in der EU.

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[AFP/Mateusz Slodkowski] In Polen wurde ukrainisch­er Mais von unbekannte­n Tätern aus Güterzügen geschüttet. Kiew protestier­t.

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