Freud und Leid auf dem Land
Influencerin Madeleine Becker berichtet vom „Kuhscheln“mit Milchvieh, aber auch von gescheiterter Nachfolge und dem Lebensabend von Nutztieren.
Man zittert auch diesmal viel mit. Mit kranken Kühen, deren Leistung um die Hälfte einbricht (für Futter- und Tierarztkosten gilt das freilich nicht). Mit der fast blinden Kuh Birke, die vom Rest der Herde gemobbt wird. Mit Herrn Salmiak, dem anhänglichen Stierkalb, das abgeholt wird, weil Stiere keine Milch geben. Und mit Selma, die nach einem Reha-Aufenthalt der Jungbauern einfach weg ist. Zu spät, um sie zurückzuholen: Die alte Kuh hängt längst am Haken.
2018 war die deutsche Historikerin und Influencerin Madeleine Becker via Roadtrip auf einem Mölltaler Milchhof aufgeschlagen; hatte sich in die Arbeit, die Tiere und den Jungbauern verliebt. 2022 erschien mit „Erstmal für immer: Vom Hörsaal in den Kuhstall“ihr erster Statusbericht in Buchform. Viel positives Feedback sei damals auch aus der Branche gekommen, von Menschen, die sich in ihren Erzählungen wiedererkannten. Für alle anderen sei es eine Art „Ausflug aufs Land“gewesen, „sowohl im Positiven wie auch im Negativen“.
Dass sie da eine Vermittlerfunktion innehat, habe sie einst schon nach ihrem ersten Posting als Neuling vom Kärntner Bauernhof gemerkt. Inzwischen kennt sie seit Jahren die Sicht der Landwirte und weiß, „warum manche Dinge sind, wie sie sind, was man aus der Städterperspektive nicht sofort nachvollziehen kann“. Ein bisschen sitze sie da auch zwischen den Stühlen, schildert sie bei einem Besuch in Wien. Landwirte würden „Tierschützer und Veganer“über einen Kamm scheren – und umgekehrt. „Die Kommunikation ist auf beiden Seiten oft unterirdisch, weil sehr viel pauschalisiert wird.“
Arbeit als „teures Hobby“
„Hin & Weg“heißt nun der Nachfolgeband, in dem Becker erzählt, wie es ihr seither ergangen ist. „Ich habe mir gedacht, ich kann das erste Buch nicht so stehen lassen“, sagt sie, „weil sich so viel getan und so viel geändert hat. Zum Teil ist es wohl auch ein Verarbeitungsprozess gewesen.“2022 hatten sie und ihr Partner die Verantwortung für den Hof übernommen. „In dem Moment, in dem man für die Finanzen zuständig ist, sieht man, wie sehr kleine Betriebe zu kämpfen haben“, sagt sie. Frustrierend, „weil ich ja weiß, wie viel Arbeit wir da reingesteckt haben. Wir stehen sieben Tage die Woche im Stall, morgens, abends und wenn nötig nachts. Und am Ende bleibt nichts übrig.“
Sowohl sie als auch ihr Partner arbeiteten daneben in anderen Berufen. Ein „teures Hobby“nennt ihr Partner
die Landwirtschaft. Ihre Vermutung: „Dass es bei anderen kleinen Betrieben ähnlich ist. Da kann man den Unmut von vielen Landwirten auch verstehen. Wenn es sich um andere Berufe handeln würde, würde längst der Arbeitnehmerschutz auf der Matte stehen.“
Die eigenen Pläne haben dann letztlich zwischenmenschliche Aspekte zu Fall gebracht. Es war ein Generationskonflikt, der die erhoffte Hofübergabe am Ende scheitern ließ. Auch das ein Thema, das wohl nicht nur sie allein betrifft. Vor allem habe sie seither von vielen Frauen gehört, die in ähnlich verfahrenen Situationen feststecken. Frauen, „die extrem unter den Konflikten leiden, wenn ganze Familien auseinanderbrechen und die Höfe dann am Ende zumachen.“Becker hofft, scheidende Generationen würden früher begreifen, „dass es wichtig ist, die Neuen bei der Stange zu halten. Das Letzte, was alle
wollen, ist, dass der Hof schließt.“Im konkreten Fall ist genau das passiert. Auch um der psychischen Gesundheit willen sei für sie „Gehen“der einzige Ausweg gewesen. Becker und ihr Partner zogen mit ein paar Tieren in die Steiermark, wenige Monate später wurden die verbliebenen Milchkühe abgeholt und die Milchproduktion eingestellt. „Es ist jetzt wieder einer weniger.“
Langfristig, glaubt sie, werden kleine Betriebe nur mit eigenen zusätzlichen Nischen überleben. Mit Direktvermarktung, Urlaub oder Schule am Bauernhof. Sie und ihr Partner hatten eigene Formate entwickelt, um Menschen Kühe wieder näherzubringen. Die „Kuhschel-Programme“mit den sanften Tieren würden sich großer Beliebtheit erfreuen. Es gab „kleines Kuhscheln“(mit Kälbern), „großes“(mit Milchkühen) oder „Mitmachmelken“. Für das Wichtigste hält sie einen Kurs, bei dem sie Menschen mit panischer Angst vor Kühen deren Körpersprache erklärt.
Für sie selbst sind die Tiere nun offiziell ein Hobby. Und: Unter dem Titel „Chickago Care“wurden Patenschaften für ihre ehemaligen Nutztiere gesucht (und bisher auch gefunden). „Man kann natürlich sagen, das kann nicht jeder Hof so machen. Aber man kann Ausnahmen machen. Und ich kenne andere Höfe, die haben auch ein, zwei Omis, die bleiben dürfen.“