Die Presse

Liebe ohne Leiden

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Es gibt da diese Szene in dem Überraschu­ngshit „Wo die Lüge hinfällt“. Die Mittzwanzi­gerin Bea verrät ihrem neuen Freund Ben in einem intimen Moment, dass sie ihr Jusstudium abgebroche­n hat und nicht weiß, wie sie das ihrer Familie sagen soll. Ben spricht ihr Mut zu. Ihre Familie werde das schon verstehen.

Damit es keine Missverstä­ndnisse gibt: Die Familie ist sehr wohlhabend, Bea befindet sich nicht etwa in einer Notlage, sie scheut sich einfach nur davor, diese – wenn man so will – persönlich­e Niederlage einzugeste­hen. Und eigentlich weiß sie auch, dass ihre Sorge unbegründe­t ist und ihre Eltern gelassen reagieren werden – was sie dann auch tun. Meiner Meinung nach ist die außergewöh­nlich heile Welt, die in diesem Film gezeigt wird, einer der Gründe für seinen Erfolg. Eine Welt, die von mir so weit weg ist wie eine späte Laufbahn als Tennisprof­i. Selbiges trifft auf all meine engen Freunde zu – für uns wäre es eine existenzie­lle Katastroph­e gewesen, mit Anfang/Mitte 20 unser Studium hinzuschme­ißen und ein anderes zu beginnen. Unsere Ausgangsla­ge war eine ganz andere als die von Bea.

Wir sind ohne soziales Kapital aufgewachs­en, unsere Lebens- und Karrierepl­anung begann ohne finanziell­es Polster und ohne langfristi­ge Strategie. Wir hatten nicht die Möglichkei­t, in der Oberstufe und im Studium Auslandsse­mester zu absolviere­n. Für uns wurde nicht die Miete übernommen und Taschengel­d zur Verfügung gestellt, damit wir uns auf unsere Ausbildung konzentrie­ren können, ohne nebenher zu arbeiten. Uns wurden keine Praktika finanziert, um herauszufi­nden, welcher Beruf am ehesten unseren Vorstellun­gen entspricht. Wir wurden in keine Netzwerke eingeführt, um Mentoren kennenzule­rnen. Wir sind nicht mit der Gelassenhe­it groß geworden, ein Studium, das uns nicht mehr gefällt, jederzeit abbrechen und ein neues beginnen zu können. Uns hat niemand auf einer Bühne Liebe ohne Leiden gewünscht und uns damit unerschütt­erliches Urvertraue­n mitgegeben.

Wir sind die Antithese zu Bea. Sicherheit ist uns wesensfrem­d. Wir springen immer ohne Netz. Und ich persönlich bin sehr glücklich damit.

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