Russische Banken
Sie stehen unter Sanktionen. Aber sie schreiben Gewinne wie nie. Warum ist das so? Und könnten die Banken für das Kriegsbudget geschröpft werden?
Es passt so gar nicht ins Bild. Da hat der Westen als Reaktion auf den Ukraine-Krieg die historisch umfangreichsten Sanktionen gegen Russland und insbesondere den dortigen Finanzsektor verhängt. Und dann weist just dieser Sektor neue Gewinnrekorde aus, sodass die Zentralbank neulich von einer „Überraschung“sprechen musste.
Eine Bank um die andere nämlich verweist in ihren Bilanzen darauf, dass im Geschäftsjahr 2023 nicht nur das auch wirtschaftlich desaströse erste Kriegsjahr 2022 mehr als wettgemacht worden ist. Sie können auch belegen, dass mit ihren Ergebnissen das Vorkriegsjahr 2021 und alle vorausgehenden Jahre übertroffen worden sind.
Zuletzt die VTB, das landesweit zweitgrößte Geldinstitut und so wie fast alle Banken aus den dominanten Top Ten des Sektors mehrheitlich in staatlicher Hand. Wie sie in der Vorwoche mitteilte, hat sie 2023 einen Gewinn von 432 Milliarden Rubel (4,32 Mrd. Euro) eingefahren. Das ist um ein ein Drittel mehr als der Rekord aus dem Vorkriegsjahr 2021. Ganze 44 Prozent des Zuwachses gegenüber 2022 erbrachte das Unternehmens- und Investitionsgeschäft, heißt es. Das Kreditportfolio wuchs hier um 19 Prozent. In dem etwas geringer ausgeprägten Retailgeschäft legte das Kreditportfolio um 25 Prozent zu.
Variable Zinsen beliebt
Ins Auge springt, dass die Nachfrage nach Unternehmenskrediten fast das ganze Jahr über anhielt. Dies trotz der Tatsache, dass die Zentralbank den Leitzins, der Anfang 2023 noch bei 7,5 Prozent gestanden war, ab Juli bis Dezember sukzessive auf letztlich extrem hohe 16 Prozent anhob, um der durch die hohen Budgetausgaben für Krieg und Soziales gestiegenen Inflation Herr zu werden. Offenbar trauen die Unternehmen der Zentralbank diesen Erfolg zu, weil sie Fixzinssätze meiden. „Fast alle Unternehmen nehmen variable Kredite
auf, weil sie an die Fähigkeit der Zentralbank glauben, die Inflation zu besiegen, und mit einer Senkung des Leitzinses rechnen“, erklärte VTB-Vizechef Dmitrij Pjanov.
Generell brachte das Jahr 2023 aufgrund des aufgepäppelten Rüstungssektors eine starke Erholung der russischen Wirtschaft um über drei Prozent, nachdem sie 2022 um 2,1 Prozent geschrumpft war.
Kredite zum Firmenkauf
Auch die Banken hatten 2022, also zu Beginn der Sanktionen, eine tiefe Zäsur erlebt. Der jetzige Rekordgewinn der VTB etwa muss also auch als Kontrast zum Rekordverlust von 667,5 Milliarden Rubel 2022 gesehen werden. 2022 hatte es nach Sanktionseinführung einen Ansturm auf Devisenkonten gegeben, weshalb die Bank Dollar und Euro zu Höchstpreisen einkaufen und nach der Aufwertung des Rubels einen Verlust hinnehmen musste. 2022 mussten daher die Ausgaben für Rückstellungen auf das Rekordniveau von 514,3 Mrd. Rubel erhöht werden. Im Vorjahr waren dafür nur noch 187,2 Milliarden nötig.
Die VTB steht beispielhaft für die Tendenz im russischen Fi
nanzsektor. Wie die Zentralbank Ende Jänner mitteilte, erzielte er 2023 den Rekordgewinn von 3,3 Billionen Rubel – mehr als 16 Mal so viel wie im ersten Kriegsjahr 2022 und 37,5 Prozent mehr als 2021. Neben allen erwähnten Faktoren kam dem Sektor die temporär starke Rubelabwertung im Sommer und Herbst zugute. „In gewisser Weise ist es eine Überraschung“, meint Alexandr Danilov, Chef für Bankenregulierung in der Zentralbank. Das Portfolio bei Firmenkrediten sei um 20,1 Prozent gewachsen. Als Grund für dieses Tempo wird unter anderem die Kreditvergabe zur Übernahme jener westlichen Firmen genannt, die Russland seit 2022 verließen.
Holt sich der Staat mehr Geld?
Aber nicht nur die Unternehmen scheinen unter Ausblendung des Krieges wieder normal zu wirtschaften. Auch die Bevölkerung konsumiert eifrig. Reicht das Geld nicht, wird auf Kredite zurückgegriffen, allen voran bei Immobilien. Laut Zentralbank sprang das Hypothekenportfolio im Vorjahr um 34,5 Prozent auf 18,2 Bio. Rubel hoch, weil der Staat diese Kredite großzügig subventionierte. Und die Menschen
sparten wieder mehr.
Das alles kommt vor allem der größten russischen Bank, Sberbank, zugute, bei der allein das Retailkreditvolumen um 29 Prozent auf 15,5 Billionen Rubel stieg. Die Sberbank hat bereits im Jänner mitgeteilt, dass sie 2023 einen Rekordgewinn von 1,5 Bio. Rubel erzielte – beinahe eine Verfünffachung gegenüber 2022. Die Nettozinseinnahmen betrugen 2,33 Bio. Rubel. Das entsprach auch den Erwartungen der Regierung, die in ihrem Budget für 2024 eine Dividende von 375 Mrd. Rubel veranschlagt hatte.
Ob sich der Staat – mit einer Sonderabgabe – mehr vom Kuchen holen will, weil er angesichts der um 60 Prozent gestiegenen Rüstungsausgaben auf Probleme beim Budget zusteuert, ist vorerst Spekulation. 2022 hat er, ohne zu fackeln, den Gaskonzern Gazprom geschröpft und zusätzlich 1,2 Bio. Rubel an Steuer eingehoben. „Ich habe aus irgendeinem Grund so ein Gefühl, dass die Banken 2024 mehr werden zahlen müssen“, meinte Natalja Subarewitsch, Ökonomin der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) dieser Tage im Interview mit der „Presse“. „Wie sie sich einigen werden, weiß ich nicht.“