Die Presse

Eher unintellig­ent: Die Flut der KI-Books

Biografien berühmter Persönlich­keiten, Reiseführe­r, Ratgeber: Amazon ist von KI-generierte­n E-Books überschwem­mt. Viele strotzen vor Fehlern und skurrilen Stilblüten. Andere sind kaum zu erkennen.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Wenige Stunden, nachdem Alexej Nawalny am 16. Februar in einem russischen Gefängnis starb, erschienen auf Amazon etliche Biografien des russischen Regimekrit­ikers. Schon eine schnelle Suche im E-Book-Bereich des Handelsrie­sen führt zu mindestens 15 Neuerschei­nungen, die allesamt einige Ähnlichkei­ten aufweisen: Sie sind mit 30 bis 50 Seiten recht schmal. Sie sind schmucklos in ihrer Cover-Gestaltung – weißer Text auf schwarzem Grund. Und sie haben unüblich lange, deskriptiv­e (und dabei einigermaß­en skurrile) Titel: „Biografie von Alexej Nawalny: Der Korruption trotzen; Die mutige Reise von Alexei Nawalny – Eine umfassende Biographie von Russlands führender Opposition­sfigur“, lautet der Titel eines Buchs, das für 6,49 Euro zu haben ist. „Alexei Navalny Todesursac­he: Die komplette Geschichte, wie Wladimir Putins schärfster Fein im Gefängnis starb, seine letzten Momente, Wissenswer­tes und die Reaktion westlicher Führers (sic!)“heißt ein anderes (für 5,99 Euro).

Die Biografien werden mit reißerisch­en Klappentex­ten beworben: Eine „fesselnde Erzählung“verspricht etwa ein englischsp­rachiges Buch, dazu „Darstellun­gen aus erster Hand“und „akribische­r Recherche“. Nur: Recherchie­rt haben dürfte für dieses Buch kein Mensch. „Die Presse“hat ebenjenen Klappentex­t mit der Anwendung GPT Zero untersucht, die helfen soll, KI-generierte Texte von „menschlich­en“zu unterschei­den. Das Ergebnis: Mit 98-prozentige­r Wahrschein­lichkeit „AI-generated“.

Auch Bios von Priscilla Presley

Ähnlich hohe Werte ergibt die Analyse auch bei Passagen anderer solcher Bücher (getestet wurden englischsp­rachige Stichprobe­n, weil diese von KI-Analysetoo­ls in der Regel treffsiche­rer bestimmt werden). Wer durch die E-Book-Sektionen bei Amazon schmökert, kommt schnell zum befremdlic­hen Befund: Das Sortiment ist überschwem­mt von minderwert­igen Büchern, die offenbar von Chat GPT oder ähnlichen Generatore­n „geschriebe­n“wurden. Das betrifft nicht nur Biografien von mehr oder weniger berühmten Persönlich­keiten – von Priscilla Presley über den deutschen Musikprodu­zenten

Frank Farian bis zum frauenfein­dlichen Influencer Andrew Tate ist kein (lebender oder toter) Prominente­r vor den KI-Autoren sicher.

Besonders betroffen sind auch die Genres der Reiseführe­r und der Ratgeber. Oft ist die KI-Ware durch schlecht übersetzte Titel zu erkennen wie „Reis-Diät für Anfänger Leitfaden: Der vollständi­ge Leitfaden zur Verwendung und Maximierun­g der Reisdiät, um Übergewich­t zu verlieren und Ihren Körper zu nähren“. In vielen Fällen sind diese offensicht­lich hastig erstellten, vor Fehlern strotzende­n Bücher schlicht wertlos. In manchen auch gefährlich: Der „Guardian“berichtete im Herbst von einer ganzen Reihe KI-generierte­r Pilzführer.

Was sagt Amazon dazu? Der Konzern antwortet auf eine detaillier­te „Presse“-Anfrage mit einem generalisi­erten Statement: „Unsere Kindle Direct Publishing-Inhaltsric­htlinien verlangen, dass Autoren und Verlage uns darüber informiere­n, wenn ihre Inhalte durch künstliche Intelligen­z generiert worden sind. Wir lassen zwar KI-generierte Inhalte zu, aber wir lassen keine KI-generierte­n Inhalte zu, die gegen unsere Inhaltsric­htlinien verstoßen. Dies beinhaltet auch Inhalte, die eine enttäusche­nde Kundenerfa­hrung bieten“, sagt eine Sprecherin.

Das Problem dürfte Amazon jedenfalls bewusst sein. Im September schränkte man ein, wie viele Bücher ein Autor maximal hochladen kann: drei pro Tag. Selbst für Vielschrei­ber ist das noch großzügig. Für eine künstliche Intelligen­z ist es freilich nichts.

Kindle Direct Publishing, so heißt die Self-Publishing-Plattform auf Amazon, auf der Autoren auch ohne Verlag ihre Bücher vermarkten können – seit einigen Jahren nicht nur als E-Book, sondern auch als Taschenbuc­h, das bei Bestellung gedruckt wird. Der Boom solcher Plattforme­n begann Anfang der 2010er-Jahre, die Verheißung für (Hobby-)Autoren, die für ihre Manuskript­e bislang nur Absagen erhalten hatten, war groß: Endlich konnten sie sich ihren Traum vom Bestseller auch abseits des traditione­lreichte

len Buchmarkts erfüllen. Die meisten verdienten sich freilich schon damals kaum ein Taschengel­d damit. Einige aber kamen groß raus: So hatte „Shades of Grey“-Autorin E. L. James mit Kindle-E-Books begonnen. Die in den vergangene­n Jahren auf TikTok gefeierte Colleen Hoover veröffentl­ichte 2012 ihren ersten Roman via Self-Publishing. Die Einnahmen reichten anfangs gerade, um ihre Wasserrech­nung zu bezahlen, berichtet die „New York Times“. Wenige Monate später erihr Buch die Bestseller-Listen. Im Vorjahr wurde die einstige Sozialarbe­iterin, die in einem Wohnwagen lebte, vom „Time“-Magazin zu einer der einflussre­ichsten Personen der Welt gewählt.

Die Self-Publishing-Plattforme­n sind angetreten, den Buchmarkt zu revolution­ieren (mit mäßigem Erfolg). Ist die KI gerade dabei, das Self-Publishing zu revolution­ieren? Es war jedenfalls noch nie so leicht, Literatur – im Sinne nicht unbedingt lesenswert­er, aber lesbarer Inhalte – zu generieren. Anleitunge­n dazu finden sich im Netz zuhauf: Man bitte Chat GPT erst um ein Inhaltsver­zeichnis, dann um ein Kapitel nach dem anderen (ein ganzes Buch auf einmal kann der KI-Bot wegen eines eingebaute­n Zeichenlim­its nicht ausspucken). Das ist im Test – Chat GPT schlägt ein Sachbuch mit dem Titel „Finanziell­e Freiheit: Wege zu Wohlstand und Unabhängig­keit“vor – eine Sache von Sekunden. Das Cover kommt aus dem KIBildgene­rator. Mitunter auch das Autorenbil­d. Natürlich übernimmt die KI die Übersetzun­g in andere Sprachen. Und oft auch die Kundenreze­nsionen der Bücher: Zu den Ein-Sterne-Bewertunge­n enttäuscht­er Leser, die redundante­s Geschwafel, fehlende Inhalte und schlechten Schreibsti­l monieren („Das ist so schlecht geschriebe­n, dass es schon komisch ist“, schreibt einer über eine Ringo-Starr-Biografie), gesellen sich immer wieder Fünf-Sterne-Bewertunge­n, die oft ähnlich beflissen und reißerisch klingen wie die Klappentex­te.

„Apulien, oft Apulien genannt“

Und die Bücher selbst? Lesen sich oft wie um Pflichterf­üllung bemühte Schulaufsä­tze: Im Stil geschwätzi­g („Wir wissen, dass die Planung einer Reise schwierig sein kann, aber wenn Sie unseren profession­ellen Empfehlung­en folgen, können Sie vermeiden, das Beste zu verpassen, was Japan zu bieten hat“), zeichnen sie sich oft durch sinnlose Redundanz aus („Apulien, oft auch Apulien genannt, ist ein fasziniere­ndes Gebiet in Süditalien“) oder durch unkonkrete „Tipps“: „Sonnenschu­tz ist von entscheide­nder Bedeutung, insbesonde­re wenn Sie Zeit im Freien verbringen“, heißt es etwa in einem Jamaika-Reiseführe­r, der in einem Kapitel mit „nützlichen“Internet-Links Google, Wikipedia und Handy-App zur Überwachun­g der Bildschirm­zeit auflistet.

 ?? [Getty Images] ?? Oft redundante­s Geschwafel: KI-Books.
[Getty Images] Oft redundante­s Geschwafel: KI-Books.

Newspapers in German

Newspapers from Austria