Die Presse

Israel-Feindlichk­eit als Common Ground in der Kulturszen­e?

Die Berlinale-Gala war in ihrer politische­n Ausrichtun­g erschrecke­nd einseitig. Und nun wird über Israels Beitrag zum Song Contest debattiert.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Von einem „bizarren Israel-Bashing“schrieb die „Süddeutsch­e Zeitung“, „Das Publikum bejubelte eher die antiisrael­ischen Statements als die Filme“, hielt die „FAZ“fest, und die „Welt“urteilte: „Man kann eigentlich nur hoffen, dass sich wenigstens irgendjema­nd ein bisserl schämt.“Fast einhellig gaben die deutschen Feuilleton­s am Tag nach der Berlinale die Bestürzung über deren Abschlussg­ala wieder.

Tatsächlic­h war diese Veranstalt­ung von völlig einseitige­n Stellungna­hmen gegen Israel geprägt. Die Macher des Dokumentar­films „No Other Land“– über das Westjordan­land – nannten die Politik Israels „unmenschli­ch und ignorant“, der Film stehe über jeder Kritik, erklärte darauf eine Jurorin. Der Regisseur von „Direct Action“, einer Doku über militante Proteste in Frankreich, sprach, ein Palästinen­sertuch um die Schultern, von „Genozid“in Gaza. Im Publikum wurden geballte Fäuste erhoben.

Alle klatschten, auch die Vertreter der Politik. Zum Schluss rief Mati Diop, Gewinnerin des Goldenen Bären: „I stand in solidarity with Palastine!“Kein Wort von den Gräueltate­n der Hamas, von deren Gefangenen. Nicht einmal den maßvollen Slogan „Bring them home“hörte man. Die Berlinale-Leitung distanzier­te sich nur von Inserts mit dem Slogan „Free Palestina – From the River to the Sea“, die auf der Internetse­ite der BerlinaleS­ektion Panorama erschienen waren.

So bleibt der Eindruck, dass ein Großteil der Kunstfilms­zene sich auf Israel als gemeinsame­n Gegner einigen kann und alle, die das nicht so sehen, sich nichts zu sagen trauen. Offenbar

hat sich unter den Verfechter­n des Postkoloni­alismus – einer Ideologie, die in der Kunstwelt derzeit höchst beliebt ist – ein antiisrael­isches Weltbild durchgeset­zt, in dem der Staat Israel stellvertr­etend für den Kolonialis­mus attackiert wird, als Repräsenta­nt „des Nordens“, der sich am „Globalen Süden“schuldig gemacht habe und mache. Eine Sündenbock­theorie, die in einer antisemiti­schen Tradition steht. Die antiisrael­ischen und propalästi­nensischen Rufe haben dabei schon etwas Rituelles, Bekenntnis­haftes, sie haben auch die früher bei solchen Veranstalt­ungen üblichen Parolen gegen die USA und den Kapitalism­us weitgehend abgelöst.

Wie man in Europas Kultur mit diesem so schlichten wie erschrecke­nden Weltbild umgeht, das wird sich bald auch in einem breitenwir­ksameren Genre zeigen: in der bereits laufenden Debatte über den israelisch­en

Beitrag zum Eurovision Song Contest. Die diesen veranstalt­ende European Broadcast Union prüft derzeit, ob der Song „October Rain“einen politische­n Inhalt hat, was beim Song Contest unerwünsch­t ist.

Der Songtext, der ein wenig an U2 erinnert, behandelt dabei recht abstrakt einen „mysterious ride“, nur der Titel, der Satz „Take me home“und allenfalls das Wort „flowers“(angeblich ein Code für Kriegstote) könnten als Anspielung auf die Hamas-Untaten gelesen werden. Kein Vergleich mit „1944“, dem ukrainisch­en Beitrag des Jahres 2016, der unmissvers­tändlich die Vertreibun­g der Krimtatare­n behandelte und dennoch – wohl zu Recht – zugelassen wurde und auch gewann. Wird Israel, dessen schieres Existenzre­cht von so vielen negiert wird, ähnliche Solidaritä­t erfahren?

Unter den Verfechter­n der in der Kulturwelt derzeit gefragten Ideologie des Postkoloni­alismus hat sich offenbar ein antiisrael­isches Weltbild durchgeset­zt.

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