Die Presse

Auf gute Kooperatio­n! Aber wie?

Von der WG bis zur Klimakonfe­renz: Wo sich mehrere ein Gut teilen, gibt es oft Probleme. Werden sie größer oder kleiner, wenn der Reichtum ungleich verteilt ist?

- VON KARL GAULHOFER

Es frustriert mich, wenn ich die Zeitung lese“, sagt Valentin Hübner. Etwa bei Artikeln über die Klimadebat­te: „Alle wissen, was getan werden muss, aber es passiert zu wenig.“Mit dieser Klage ist der junge Mathematik­er nicht allein. Doch die Probleme dahinter sind knifflig: Sollen reiche Industries­taaten wie Österreich und Deutschlan­d Vorreiter spielen und weit mehr in den Klimaschut­z investiere­n als andere? Ein mögliches Argument dafür: Bei uns haben solche Investitio­nen einen besonders hohen Nutzen für den Planeten, weil neue Technologi­en zum Einsatz kommen, die viele übernehmen können. Andere sagen hingegen: Wir verpulvern nur unsere Geld, wenn wir vorpresche­n, während China oder Indien laufend neue Kohlekraft­werke bauen.

Wer hat recht? Und wie bringt man überhaupt 195 Staaten dazu, dauerhaft zu kooperiere­n? Solche Fragen stehen hinter Hübners spieltheor­etischen Modellen zu öffentlich­en Gütern. Seine jüngste Studie, die er mit einem Team am Ista (Institute of Science and Technology Austria) in Klosterneu­burg erarbeitet hat, könnte die Forschung ein gutes Stück voranbring­en (Pnas, 26. 2.).

In einer Studenten-WG ist es noch einfach. Man kennt einander, trifft sich jeden Tag und weiß: Ich muss heute den Abwasch machen, sonst tun es meine Mitbewohne­r den Rest der Woche auch nicht. Wenn du nehmen willst, dann gib. In der Sprache der Spieltheor­etiker und Verhaltens­ökonominne­n: Die Kooperatio­n ist umso stabiler, je weniger Teilnehmer die Gruppe hat und je öfter diese interagier­en. Viel schlechter sieht es aus, wenn die Gruppe sehr groß und anonym ist. Dann ist es immer rationaler, den Trittbrett­fahrer zu spielen – selbst nichts beizutrage­n und darauf zu setzen, dass die anderen es tun. Das führt zur sprichwört­lichen „Tragödie der Allmende“: Was allen gratis gehört, ist den Einzelnen nichts wert und wird übernutzt – vermüllte Parks, dreckige Strände, schlechte Luft. Da können wir froh sein, wenn die Regierung uns Egoisten die Entscheidu­ng abnimmt – durch Steuern, die öffentlich­e Güter finanziere­n, und Strafen, die sie schützen.

Zwischen Staaten gibt es diesen Schiedsric­hter nicht. Trotzdem müssen sie bei globalen öffentlich­en Gütern wie dem Klimaschut­z kooperiere­n. Es gibt reiche und arme Staaten. Sie haben, abstrakt gesagt, ungleiche Ressourcen. Und sie können unterschie­dlich wirksam zum Gemeinwohl beitragen – in der

Sprache des „Öffentlich­e-Güter-Spiels“: Sie sind nicht gleich produktiv. Das haben bisherige Modelle meistens ausgeklamm­ert. Das neue aus Österreich berücksich­tigt es, und sogar für beliebig viele Teilnehmer.

Die komplizier­te Mathematik dahinter ersparen wir uns. Aber was dabei herauskomm­t, lässt sich anhand eines Beispiels plausibel machen: Mehrere Einfamilie­nhäuser teilen sich eine Zufahrt, die Bewohner müssen sie selbst vom Schnee räumen. Wer packt an? Am besten alle. Aber wenn das nicht selbstvers­tändlich ist? Einige Haushalte haben mehr Ressourcen als andere, etwa mehr Zeit oder bessere Schaufeln. Und einige sind produktive­r als andere, weil ihre Schneeräum­er mehr Muskelkraf­t haben.

Wann Ungleichhe­it förderlich ist

Was zeigt hier das Modell? „Von dem mit der besseren Schneescha­ufel erwarten wir, dass er mehr beiträgt, und dann ist es gut, wenn er auch produktiv ist“, also kräftig, erklärt Hübner. In kleinen Gruppen lohnt sich das auch für ihn selbst. Das überrasche­nde Ergebnis: Ein gewisses Maß an Ungleichhe­it kann hier förderlich sein. Bei immer mehr Teilnehmer­n

aber wird der Vorteil der eigenen Produktivi­tät immer kleiner. Hier sollten Ressourcen möglichst gleich verteilt sein, damit die Teilnehmer kooperiere­n. Für jede Gruppengrö­ße gilt: Ganz blöd ist, wenn der mit der besten Schneescha­ufel schwach ist, sich also große Ressourcen mit geringer Produktivi­tät paaren. Das ist beim Beispiel des Klimaschut­zes gottlob nicht der Fall. Aber ist die Zahl der Staaten klein genug, dass es für Österreich rational ist, aus Eigennutz zu kooperiere­n? Oder muss hier die Moral ins Spiel kommen?

Innerhalb eines Staates entbindet die Obrigkeit uns von solchen Dilemma-Situatione­n. Entscheide­n müssen wir nur am Wahltag. Und weil es etwa mehr Leute gibt, die keinen großen Garten haben und auf den öffentlich­en Park angewiesen sind, gewinnen immer Parteien, die für den Park auch die Reichen zur Kassa bitten. Aber es gibt die „alternativ­e Investitio­n“: Wenn es den Reichen zu viel wird, bringen sie ihr Geld dorthin, wo sie weniger Steuern zahlen. Oder sie spenden lieber, weil sie glauben, dass sie selbst ihr Geld produktive­r einsetzen als der Staat. Zu Unrecht? Man sieht: Es geht um mehr als Theorie. Und es steht viel auf dem Spiel.

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[Getty] Es sieht nicht immer schön aus, wenn viele ein Gut gemeinsam nutzen: beim Reading-Festival 2022.

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