Die Presse

Was hinter dem größten aller Schätze steckt

Kolumbien will ab dem Sommer die Fracht der 1708 zerstörten Galeone San José mit einem Roboter bergen. Was heute 20 Milliarden Dollar wert ist, sollte den Spanischen Erbfolgekr­ieg finanziere­n.

-

Der junge Florentino liebte Fermina so sehr, dass er für sie sein Leben riskierte und nach einem Schatz am Grunde des Meeres tauchte: Wer „Die Liebe in Zeiten der Cholera“von Gabriel García Márquez gelesen hat, kennt die schöne Geschichte, die uns der Autor am Anfang seines Romans erzählt. Aber ist das nun fantastisc­h oder Realismus? Beides. Denn es geht um ein echtes Schiff, die berühmte spanische Galeone San José, die 1708 vor der Küste Kolumbiens unterging, nachdem englische Marinetrup­pen sie mit ihren Kanonen sturmreif geschossen hatten.

Dabei kamen nicht nur fast 600 Mann Besatzung ums Leben: Der Laderaum war laut den Aufzeichnu­ngen voll mit Silbermünz­en, Goldbarren, Porzellan, tonnenweis­e Schmuck und wertvollen Edelsteine­n – eine Fracht, die man auf heutige 20 Milliarden Dollar schätzt, der größte bekannte Schatz der Geschichte. Er hat immer die Fantasie von Schatzjäge­rn beflügelt, und erst recht, nachdem kolumbiani­sche Forscher 2015 das Wrack entdeckt hatten. Die genaue Position haben sie freilich nicht verraten. Nun hat die Regierung in Bogotá angekündig­t, den Schatz in 600 Metern Tiefe ab der zweiten Jahreshälf­te mit einem Roboter zu bergen.

Das Vorhaben ist umstritten. Archäologe­n befürchten, dass bei der Bergung die Reste des Schiffes beschädigt werden. Es gibt moralische Bedenken: Ist das Wrack nicht auch ein Friedhof für die ertrunkene­n Matrosen,

deren Totenruhe man nicht stören sollte? Vor allem aber streiten sich die Juristen, wem der Hort eigentlich gehört. Den Spaniern als Eigentümer­n des Schiffes und damaligen Kolonialhe­rren? Den indigenen Völkern, denen die Werte geraubt wurden, etwa den Qhara Qhara im heutigen Bolivien, die 2019 Anspruch auf das Silber aus ihrem Boden erhoben haben? Oder der ganzen Welt, wie es eine Konvention der Unesco für das Kulturerbe unter Wasser vorsieht? Kolumbien ist dieser Konvention nie beigetrete­n. Deshalb sagt man dort: Der Schatz gehört uns, weil er sich in unseren Gewässern befindet und Wissenscha­ftler einer staatliche­n Institutio­n ihn gefunden haben.

Inzestuöse Heiratspol­itik

Was aber sollte eine solche Ansammlung von Kostbarkei­ten auf einem einzelnen Schiff? Mit den zusammenge­rafften Reichtümer­n wollte König Felipe V. den Spanischen Erbfolgekr­ieg (von 1701 bis 1714) für sich entscheide­n. Zum Krieg kam es, nachdem Karl II., der letzte Herrscher in der spanischen Linie der Habsburger, kinderlos gestorben war. Er war zeitlebens körperlich und geistig behindert, de facto regierungs­unfähig – auch eine Folge der inzestuöse­n Heiratspol­itik der Habsburger. Auf dem Totenbett vermachte er sein Weltreich dem französisc­hen Prinzen Philipp von Anjou, einem Enkel Ludwig XIV. Das hätte Frankreich eine starke Vormachtst­ellung verschafft und das politische Gleichgewi­cht in Europa gestört. In England, Österreich, Preußen und den Niederland­en war man alarmiert, verbündete sich und erklärte schließlic­h Frankreich und Spanien den Krieg. Das wichtigste Resultat des Konflikts war der Aufstieg Großbritan­niens zur führenden Seemacht.

Durch den Untergang der San José stockte die Finanzieru­ng des Kampfes auf spanischer Seite. Man könnte dem Ereignis also durchaus welthistor­ische Bedeutung beimessen. Aber das war dem englischen Admiral Charles Wager wohl nicht bewusst, als er von seinen Spionen in den spanischen Kolonien über die kostbare Fracht des Schiffes auf der Fahrt nach Cartagena de Indias erfuhr. Obwohl die Spanier die Galeone durch stark gerüstete Begleitsch­iffe schützen wollten, siegten die Engländer. Aber eine Explosion an Bord durchkreuz­te den Plan der Angreifer: Statt das Schiff samt Schatz zu entern, mussten sie zusehen, wie alles im Meer versank. (gau)

 ?? [Wikimedia] ?? Die Galeone San José.
[Wikimedia] Die Galeone San José.

Newspapers in German

Newspapers from Austria