Wo bleiben die Erfolge im Filz der Bildungspolitik?
Replik auf Rudolf Taschner. Mehr Wertschätzung für Bildungsberufe wäre ganz einfach, aber sie kostet Geld.
Rudolf Taschner, der für die ÖVP im Nationalrat als Abgeordneter wirkt, kann man Verdienste um die Bildungspolitik nicht absprechen. Dem emeritierten TU-Professor, der in seinem Kommentar (13. 2. 2024) lesenswerte Sätze in gewandtem Deutsch rund um ein schönes Hebbel-Zitat vorbringt, gelang die konkrete Umsetzung eines attraktiven Modells, mit dem Besucherinnen und Besuchern das von vielen Schülern verhasste (oder gefürchtete) Fach Mathematik nähergebracht wurde. Mathspace kennen zu lernen hat vielen geholfen. Viel schwieriger aber ist es, im Filz der Bildungspolitik Erfolge zu erzielen; hier gibt es sehr gegenläufige Interessen, an denen letztlich sogar die Verfassungsgebung 1920 gescheitert ist. Man gab w. o. und führte die Aufteilung der Zuständigkeiten, wie sie bereits 1861, also zu Hebbels Zeiten, galt, einfach weiter; das bedeutet Stillstand bis in die 1970er-Jahre.
Nun spricht sich Taschner, nicht ohne Polemik, gegen sozialdemokratische und freiheitliche Vorschläge für eine neue Schule aus. Er lehnt die freiheitliche Idee der Bildungspflicht mit Stärkung des häuslichen Privatunterrichts – ein altes, aber bewährtes Grundrecht – ab und sieht die Abschaffung von Noten, ja die generelle Absenkung von Leistungsdruck, wie sie in der SP-Bildungspolitik Leitlinie ist, als „albernen“Vorschlag an. Gegen diese generelle Absage an den Vorstoß der Linken ist einzuwenden, dass Noten an AHS und Unis sinnvolle Indikatoren sind, im Fall von Problemschülern, einem nunmehr beachtlichen Teil, vielleicht nicht. Das mögen pädagogische Fachleute entscheiden, wichtig aber ist es, den Diskurs weiterzuführen.
Manche Schule die wahre Hölle
Taschners Modell lautet (vereinfacht), dass die Welt am österreichischen Wesen genesen soll. Grundsätzlich ein sympathischer Vorschlag, aber um diesen in ein konkretes Gesetz zu gießen, müsste sich die ÖVP mit den Grünen gemeinsam bewegen und, wie ich im Folgenden darlegen möchte, mehr Wertschätzung für Bildungsberufe zeigen, wofür die acht bis neun Prozent Gehaltserhöhung der Lehrenden kaum reichen wird. Denn manche Schulen – ich spreche nicht von AHS, Universitäten oder Hochschulen – sind eine wahre Hölle geworden. Wer dies nicht erkennen mag, betreibt Realitätsverweigerung. Dabei geht es nicht nur um Gewalt von Eltern- und Schülerseite, sondern auch um Desinteresse, Handysucht und eine überbordende, sinnlose Bürokratie. Generell sind Schulen viel schlechter mit Administrativkräften ausgerichtet als Unis, und was hier manche, man muss sie pädagogische Idealisten nennen, an Leistungen erbringen, nötigt Bewunderung ab. Schon die Einschreibevorgänge in die VS sind eine Tortur, permanent neue Vorgaben und vieles davon in leeren, legistisch misslungenen Anordnungen verpackt.
Schulgesetzgebung ist eine eigenes Thema, weil sie krebsartig wuchert und die Strukturprobleme nicht klar erfasst und dort Abhilfe schafft, wo es nötig ist, z. B. um Problemschüler zu entfernen oder zu versetzen oder Orientpatriarchen in die Schranken zu weisen.
Taschner, dem es trotz starker und meist sachorientierter sowie -kundiger Äußerungen der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer nicht gelungen ist, die eigene Fraktion von notwendigen Verbesserungen zu überzeugen, die mehr als Placebo sind (die maßgeblichen Schulgesetze beschließt der Bund!), meint offenbar, dass die Schulmisere durch „sanfte“Maßnahmen wie die Umsetzung der neuen Lehrerausbildung und mehr Wertschätzung sowie eine Vorgabe der „Leitkultur“zu lösen wäre. Von letzterem Vorschlag ist wenig zu halten, schon der Terminus führt bei vielen zu Verspannungen.
Bunte Farbe auf die Wunde
Wenn man sich „Leitkultur“in der Lesart mancher Politiker ansieht, dann bin ich lieber „Europäer“als Österreicher: Alkohol, leicht verfügbare Drogen und Fast-Food sowie Hüttengaudi, dazu nur ein kurzes: Danke nein! Auch die Bierpartei als Tätowierer-Neigungsgruppe eines nicht praktizierenden Mediziners erscheint verzichtbar. Und die Regenbogenpolitik von Neos und Grünen löst kein einziges Bildungsproblem, sondern sprüht nur bunte Acrylfarbe auf die Wunde. Aber Taschner meint vielleicht etwas anderes, nämlich die soziale Empathie, den Familiensinn, die Umgänglichkeit von Herrn und Frau Österreicher, das Brauchtum und die schönen Künste, nicht zu vergessen die intakte Natur, in der sich fröhlich singende Schulklassen bewegten (einst, anno 1965, als er Schüler war). So verlockend dies alles klingen mag, mehr als eine bereits in den 1920er-Jahren gescheiterte Vision vom bildungsbeflissenen Österreichertum steckt hier leider nicht dahinter. Die kleine Welt, die Hebbel ansprach, ist nur noch in einem schmalen Sektor in Ordnung. Und hier muss man dem freiheitlichen Vorschlag doch Tribut zollen, denn Eltern und Nachhilfelehrer
müssen ohnehin bereits das Ihre tun.
Aber wir sprechen hier von der Pflichtschule, also auch von VS und NMS, in denen vielleicht zwei, drei Schüler pro Klasse keine unmittelbare Migrationsvergangenheit haben. Erfahrungsgemäß sind zweite und dritte Generationen hier kein so großes Problem, wohl aber jene Gruppe, für die Deutsch als Fremdsprache anzusehen ist. Auch der norddeutsche Dramatiker Hebbel war ein Migrant und selbst ein Opfer einer allzu restriktiven Rohrstaberl-Erziehung durch eine protestantische Geistlichkeit. Aber mit Spiel hatte Hebbels Erziehung nichts zu tun, das sei am Rande vermerkt. Dennoch musste er über eine gewaltige humanistische Bildung verfügen, denn sein Werk umfasst antike Themen ebenso wie die Dramatisierung der Nibelungensage. Aber der Wesselburener schaffte es, in Österreich zu Ruhm zu gelangen, mit der beliebten Schauspielerin Christiane Enghaus (auch sie eine Deutsche und evangelisch) eine Ehe einzugehen und zudem mit seiner Eröffnungsrede in der Hofoper zu brillieren. Wer ihm Tribut zollen möchte, kann dies in der Liechtensteinstraße (Ecke Türkenstraße) oder auf dem Matzleinsdorfer Friedhof tun.
Hebbel wurde zur Eröffnung der unter großem Architektenleid erbauten Oper – man muss stets daran denken, wenn man die walzbalzende Oberflächlichkeit des Opernballs sieht – als Redner eingeladen. Dort fielen dann die wohl gewählten Worte, die Taschner zitiert („Dies Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält“) mit der Hoffnung, dass es innen und außen wieder „Licht“würde, das eben von dem österreichischen Modell ausstrahlen sollten. Damals wurden in der Tat auch auf dem Sektor der Schulgesetzgebung Fortschritte erzielt, meist im liberalen Sinn, wobei der Name Wenzel Lustkandl vermutlich nur mehr wenigen geläufig sein wird.
Taschners treffendes Zitat umfasst Worte, die oft versehentlich einem gebürtigen „Österreicher“als zugeschrieben werden. Jener aber erkannte viel besser als Hebbel, wo die Probleme Österreichs liegen, nämlich in halber Kraft und halber Tat, also in Kleinmut, Inkonsequenz und Schlaffheit in der Umsetzung von wichtigen Bildungszielen. Heute kommen noch Heuchelei, Realitätsverweigerung und Hohlphrasendreschen in der Politik dazu. Interessant wäre, was Grillparzer dazu zu sagen hätte. Vielleicht wie es in „Weh dem, der lügt!“heißt nur die rhetorische Frage: Lög’ er?“