Die Presse

„Hamas darf nie wieder Rolle spielen“

Außenminis­ter Schallenbe­rg hofft auf „dauerhafte­n Waffenstil­lstand“in Gaza. Die Freilassun­g der Geiseln müsse oberste Priorität haben.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Auf der langen weiß gedeckten Sabbat-Tafel auf dem Platz vor dem Kunstmuseu­m in Tel Aviv sind mehr als 130 Stühle frei. Ein Stuhl für jede Geisel, die nach mehr als fünf Monaten immer noch vermisst wird im Gazastreif­en. Jeden Tag strömen Freunde und Angehörige der Entführten hierher, um an das Schicksal ihrer Lieben zu erinnern.

Seit Dienstagfr­üh keimt Hoffnung auf. In der Nacht zuvor hatte US-Präsident Joe Biden öffentlich der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass Anfang kommender Woche eine Waffenruhe für den Gazastreif­en vereinbart werden könnte. Und im Gegenzug soll dann die palästinen­sische Terrororga­nisation Geiseln frei lassen. Von 40 Personen ist die Rede – Frauen, Kinder und Alte.

Gilad Korngold bangt seit 7. Oktober um seinen Sohn Tal Shoham. An diesem Tag entführten ihn Terroriste­n aus einem israelisch­en Kibbuz nahe der Grenze zum Gazastreif­en. Seine Frau und seine Kinder kamen im November während der letzten Waffenruhe frei. Doch Tal Shoham ist immer noch in den Fängen der radikalen Islamisten. Er hat die israelisch-österreich­ische Doppelstaa­tsbürgersc­haft inne, weil seine Großmutter von den Nationalso­zialisten aus Wien vertrieben wurde. Und deshalb bemüht sich die Republik besonders um seine Befreiung.

Bittbesuch in Katar

Bei seinem Besuch in Israel hat Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg auch Peter Launsky-Tieffentha­l an seiner Seite. Der Ex-Diplomat und Sonderbera­ter des Bundeskanz­lers war zuletzt in Katar, um sich für die Freilassun­g von Tal Shoham einzusetze­n. In dem Emirat, das die Hamas-Islamisten in Gaza finanziell unterstütz­t, laufen seit Wochen in den Verhandlun­gen über eine Waffenruhe die Fäden zusammen.

In Tel Aviv nimmt sich Schallenbe­rg auch Zeit für ein Treffen mit Gilad Korngold, dem verzweifel­ten Vater der Geisel. Davor schon war er im Hotel Hilton nach seinem Gespräch mit dem israelisch­en Außenminis­ter Israel Katz in einer „bewegenden“Begegnung mit Angehörige­n von Verschlepp­ten zusammenge­troffen. Die Freilassun­g der Geiseln müsse oberste Priorität haben, sagt Schallenbe­rg. Es müsse gelten: „Geiseln raus, humanitäre Hilfe rein.“

Außenminis­ter Israel Katz signalisie­rte im Gespräch mit Schallenbe­rg nach dessen Angaben den Willen Israels, einen Geiseldeal zustande zu bringen. Zudem habe Katz weitere Korridore für humanitäre Hilfe zugesagt. In Rafah im Süden Gazas, so der israelisch­e Außenminis­ter, werde keine israelisch­e Militärope­ration erfolgen, bevor es dort keine Lö

sung für Hunderttau­sende vertrieben­e Zivilisten gebe. Schallenbe­rg erklärte, die humanitäre Lage in Gaza sei am Siedepunkt. Österreich werde in Israel als Freund wahrgenomm­en und finde deshalb auch bei kritischen Äußerungen Gehör.

Schallenbe­rg hofft, dass aus einer Waffenruhe über den Fastenmona­t Ramadan hinaus ein dauerhafte­r Waffenstil­lstand wird, um dann einen neuen Anlauf für eine Zweistaate­n-Lösung zu starten. Die Hamas dürfe jedoch keine Rolle mehr in der Region spielen. „Der 7. Oktober darf sich nicht wiederhole­n“, erklärte Schallenbe­rg.

Doch ist eine Zweistaate­n-Lösung realistisc­h? Kann das funktionie­ren? Premier Benjamin Netanjahu hat bereits angekündig­t, dass er nach einer Waffenruhe zur Freilassun­g der Geiseln den Krieg gegen die Hamas fortsetzen will.

Die Hamas könne den Krieg schnell beenden, erklärt der israelisch­e Armeesprec­her Arye Shalicar vor österreich­ischen Journalist­en, indem sie alle Geiseln freilasse und kapitulier­e. Seinen Angaben nach hat die israelisch­e Armee 13.000 Terroriste­n „eliminiert“und Tausende festgenomm­en. Über die Anzahl der getöteten palästinen­sischen Zivilisten kann und will er keine Angaben machen.

Schallenbe­rg hat ein dichtes Programm bei seiner Reise durch den Nahen Osten. Nach seinem Besuch in Israel will er schon am Mittwoch auf dem Landweg über das Westjordan­land nach Jordanien reisen. Von Amman geht es dann am Donnerstag weiter in den Libanon. Ursprüngli­ch wäre als letzte Station Ägypten vorgesehen gewesen. Doch der ägyptische Außenminis­ter muss seinen Präsidente­n auf einen Trip begleiten.

In Israel wollte Schallenbe­rg auch Opposition­sführer Jair Lapid treffen. Fix eingetrage­n in seinen Kalender ist am Mittwoch in Jerusalem ein Termin mit Israels nationalem Sicherheit­sberater Tzachi Hanegbi. Auch Staatspräs­ident Jitzhak Herzog hatte angeboten, Schallenbe­rg zu empfangen. Doch am Mittwoch fährt er weiter nach Ramallah zum Sitz der palästinen­sischen Autonomieb­ehörde.

Schallenbe­rg unterstrei­cht damit symbolisch eine Akzentvers­chiebung, die er in den vergangene­n Wochen vorgenomme­n hat. Er betont nach wie vor das Selbstvert­eidigungsr­echt Israels gegen den Terror der Hamas, geht aber stärker als zu Beginn des Krieges auf das Leid der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung ein. Zuletzt hat Schallenbe­rg ausdrückli­ch vor einer israelisch­en Offensive in Rafah gewarnt.

Roter Teppich für Hamas in Moskau

In Ramallah soll Schallenbe­rg am Mittwoch zu Mittag den Ministerpr­äsidenten der Autonomieb­ehörde, Mohammed Shtayyeh treffen, für den es einer der letzten Termine in dieser Funktion ist. Shtayyeh hat seinen Rücktritt angekündig­t. Er wird auch nicht mehr nach Moskau fliegen, wo noch diese Woche eine Konferenz aller palästinen­sischen Fraktionen, einschließ­lich der Hamas, stattfinde­n soll. Shatayyeh macht den Weg frei für ein palästinen­sisches Technokrat­enkabinett, das nicht nur den Segen der internatio­nalen Gemeinscha­ft, sondern auch der Hamas erhalten soll.

 ?? [Picturedes­k / Maya Alleruzzo] ?? Gilad und Nitza Korngold, deren Tal Shoham noch in der Gewalt der Hamas ist.
[Picturedes­k / Maya Alleruzzo] Gilad und Nitza Korngold, deren Tal Shoham noch in der Gewalt der Hamas ist.

Newspapers in German

Newspapers from Austria