„Hamas darf nie wieder Rolle spielen“
Außenminister Schallenberg hofft auf „dauerhaften Waffenstillstand“in Gaza. Die Freilassung der Geiseln müsse oberste Priorität haben.
Auf der langen weiß gedeckten Sabbat-Tafel auf dem Platz vor dem Kunstmuseum in Tel Aviv sind mehr als 130 Stühle frei. Ein Stuhl für jede Geisel, die nach mehr als fünf Monaten immer noch vermisst wird im Gazastreifen. Jeden Tag strömen Freunde und Angehörige der Entführten hierher, um an das Schicksal ihrer Lieben zu erinnern.
Seit Dienstagfrüh keimt Hoffnung auf. In der Nacht zuvor hatte US-Präsident Joe Biden öffentlich der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass Anfang kommender Woche eine Waffenruhe für den Gazastreifen vereinbart werden könnte. Und im Gegenzug soll dann die palästinensische Terrororganisation Geiseln frei lassen. Von 40 Personen ist die Rede – Frauen, Kinder und Alte.
Gilad Korngold bangt seit 7. Oktober um seinen Sohn Tal Shoham. An diesem Tag entführten ihn Terroristen aus einem israelischen Kibbuz nahe der Grenze zum Gazastreifen. Seine Frau und seine Kinder kamen im November während der letzten Waffenruhe frei. Doch Tal Shoham ist immer noch in den Fängen der radikalen Islamisten. Er hat die israelisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaft inne, weil seine Großmutter von den Nationalsozialisten aus Wien vertrieben wurde. Und deshalb bemüht sich die Republik besonders um seine Befreiung.
Bittbesuch in Katar
Bei seinem Besuch in Israel hat Außenminister Alexander Schallenberg auch Peter Launsky-Tieffenthal an seiner Seite. Der Ex-Diplomat und Sonderberater des Bundeskanzlers war zuletzt in Katar, um sich für die Freilassung von Tal Shoham einzusetzen. In dem Emirat, das die Hamas-Islamisten in Gaza finanziell unterstützt, laufen seit Wochen in den Verhandlungen über eine Waffenruhe die Fäden zusammen.
In Tel Aviv nimmt sich Schallenberg auch Zeit für ein Treffen mit Gilad Korngold, dem verzweifelten Vater der Geisel. Davor schon war er im Hotel Hilton nach seinem Gespräch mit dem israelischen Außenminister Israel Katz in einer „bewegenden“Begegnung mit Angehörigen von Verschleppten zusammengetroffen. Die Freilassung der Geiseln müsse oberste Priorität haben, sagt Schallenberg. Es müsse gelten: „Geiseln raus, humanitäre Hilfe rein.“
Außenminister Israel Katz signalisierte im Gespräch mit Schallenberg nach dessen Angaben den Willen Israels, einen Geiseldeal zustande zu bringen. Zudem habe Katz weitere Korridore für humanitäre Hilfe zugesagt. In Rafah im Süden Gazas, so der israelische Außenminister, werde keine israelische Militäroperation erfolgen, bevor es dort keine Lö
sung für Hunderttausende vertriebene Zivilisten gebe. Schallenberg erklärte, die humanitäre Lage in Gaza sei am Siedepunkt. Österreich werde in Israel als Freund wahrgenommen und finde deshalb auch bei kritischen Äußerungen Gehör.
Schallenberg hofft, dass aus einer Waffenruhe über den Fastenmonat Ramadan hinaus ein dauerhafter Waffenstillstand wird, um dann einen neuen Anlauf für eine Zweistaaten-Lösung zu starten. Die Hamas dürfe jedoch keine Rolle mehr in der Region spielen. „Der 7. Oktober darf sich nicht wiederholen“, erklärte Schallenberg.
Doch ist eine Zweistaaten-Lösung realistisch? Kann das funktionieren? Premier Benjamin Netanjahu hat bereits angekündigt, dass er nach einer Waffenruhe zur Freilassung der Geiseln den Krieg gegen die Hamas fortsetzen will.
Die Hamas könne den Krieg schnell beenden, erklärt der israelische Armeesprecher Arye Shalicar vor österreichischen Journalisten, indem sie alle Geiseln freilasse und kapituliere. Seinen Angaben nach hat die israelische Armee 13.000 Terroristen „eliminiert“und Tausende festgenommen. Über die Anzahl der getöteten palästinensischen Zivilisten kann und will er keine Angaben machen.
Schallenberg hat ein dichtes Programm bei seiner Reise durch den Nahen Osten. Nach seinem Besuch in Israel will er schon am Mittwoch auf dem Landweg über das Westjordanland nach Jordanien reisen. Von Amman geht es dann am Donnerstag weiter in den Libanon. Ursprünglich wäre als letzte Station Ägypten vorgesehen gewesen. Doch der ägyptische Außenminister muss seinen Präsidenten auf einen Trip begleiten.
In Israel wollte Schallenberg auch Oppositionsführer Jair Lapid treffen. Fix eingetragen in seinen Kalender ist am Mittwoch in Jerusalem ein Termin mit Israels nationalem Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi. Auch Staatspräsident Jitzhak Herzog hatte angeboten, Schallenberg zu empfangen. Doch am Mittwoch fährt er weiter nach Ramallah zum Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde.
Schallenberg unterstreicht damit symbolisch eine Akzentverschiebung, die er in den vergangenen Wochen vorgenommen hat. Er betont nach wie vor das Selbstverteidigungsrecht Israels gegen den Terror der Hamas, geht aber stärker als zu Beginn des Krieges auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung ein. Zuletzt hat Schallenberg ausdrücklich vor einer israelischen Offensive in Rafah gewarnt.
Roter Teppich für Hamas in Moskau
In Ramallah soll Schallenberg am Mittwoch zu Mittag den Ministerpräsidenten der Autonomiebehörde, Mohammed Shtayyeh treffen, für den es einer der letzten Termine in dieser Funktion ist. Shtayyeh hat seinen Rücktritt angekündigt. Er wird auch nicht mehr nach Moskau fliegen, wo noch diese Woche eine Konferenz aller palästinensischen Fraktionen, einschließlich der Hamas, stattfinden soll. Shatayyeh macht den Weg frei für ein palästinensisches Technokratenkabinett, das nicht nur den Segen der internationalen Gemeinschaft, sondern auch der Hamas erhalten soll.