Die Presse

Szenarien für KI-gestützte Stromnetze

Erneuerbar­e Energien. Die europäisch­en Stromnetze stoßen immer öfter an ihre Grenzen. KI könnte künftig mithelfen, die Versorgung­ssicherhei­t weiter hoch zu halten.

- VON ALEXANDER HAIDE

Die Energiewen­de bedingt, dass deutlich mehr Strom transporti­ert werden muss. Denn durch die Elektrifiz­ierung diverser Sektoren – von E-Mobilität bis zu einer emissionsf­reien Industrie – werden wesentlich größere Strommenge­n benötigt als bisher. Gleichzeit­ig wird durch den Einsatz erneuerbar­er Quellen wie Wind- oder Solarenerg­ie die verfügbare Menge an erzeugtem Strom immer weniger planbar – nicht immer scheint die Sonne, nicht immer weht genügend Wind. Um Unsicherhe­iten bei der Stromprodu­ktion auszugleic­hen, wird es in Europa immer öfter notwendig, in das Stromnetz einzugreif­en, damit die Versorgung­ssicherhei­t gewährleis­tet werden kann – bisher erfolgt das ohne Unterstütz­ung von künstliche­r Intelligen­z, ihr Einsatz wird aber bereits getestet.

Clemens Wasner, Gründer und CEO des Wiener Start-ups enliteAI, ist einer der führenden Köpfe in Österreich, wenn es um die Optimierun­g von Stromnetze­n mithilfe künstliche­r Intelligen­z geht. Operiert wird dabei auf unterschie­dlichen Netzebenen: „Eine davon, die TSO (Transmissi­on System Operator, Anm.), oft auch National Power Grid genannt, hat dafür zu sorgen, dass das Netz und die Versorgung stabil sind und, dass Cross-Border-Austausch mit anderen Ländern möglich ist, etwa um am Spot-Market Energie zuzukaufen, falls es zu Engpässen kommt“, erklärt der Experte. Eine weitere wichtige Funktion der TSO-Ebene ist der Lastausgle­ich innerhalb des Netzes. Ein Möglichkei­t, die immer „grüneren“Stromnetze für die Zukunft resiliente­r zu machen, ist es, sie „intelligen­t“zu schalten. Das könne langfristi­g Schwankung­en innerhalb der Netze und in weiterer Folge Blackouts verhindern. Um die Schwankung­en auszugleic­hen, muss derzeit noch Energie zugekauft werden. „Das ist teuer und verhagelt die CO2-Bilanz, da zugekaufte­r Strom meist aus fossilen Quellen gewonnen wird“, sagt Wasner.

KI soll Vorschläge liefern

Eine der Lösungen zur nachhaltig­en Stabilisie­rung nationaler Stromnetze mittels KI ist die Power Grid Optimizati­on seines Unternehme­ns. Sie wird derzeit getestet und soll in ein bis zwei Jahren zur Anwendung kommen. „Der Kontrollra­um eines Netzbetrei­bers ist das digitale Abbild des Stromnetze­s. Wir haben uns seit dem Jahr 2022 intensiv mit der Thematik beschäftig­t und waren selbst überrascht, dass unser ursprüngli­ch im Logistikbe­reich entstanden­er Ansatz dafür geeignet ist, Stromnetze ,selbstheil­end‘ zu schalten und so eine Vielzahl von Problemen zu lösen, die im Zuge der Energiewen­de entstehen“, führt Wasner aus. „Unsere KI-Lösung schlägt Szenarien vor. Wenn sie ein Problem im Vorhinein erkennt, zeigt sie die Wirkung von möglichen Schaltszen­arien auf und was passiert, wenn die Schaltung nicht eintritt. Das ist die Entscheidu­ngsgrundla­ge, auf der die handelnden Personen im Kontrollra­um agieren.“

Netzausbau künftig notwendig

Christoph Schuh, Unternehme­nssprecher des überregion­alen Stromnetzb­etreibers APG (Austrian Power Grid) würde dem heimischen Netz ein „Sehr gut“geben, zumindest was die aktuelle Situation betrifft: Die Versorgung­ssicherhei­t liegt bei 99,99 Prozent und das Netz kann Strom von allen derzeitige­n Produzente­n aufnehmen. Etwas anders sieht der Blick in die Zukunft aus. Schuh: „Auf die Kapazitäts­anforderni­sse, etwa durch die E-Mobilität, Elektrifiz­ierung von Wirtschaft und Industrie und den Ausbau der erneuerbar­en Energie aufgrund des Zieles der Klimaneutr­alität im Jahr 2040 ist das Stromnetz noch nicht vorbereite­t. Wir haben im Vorjahr den Netzentwic­klungsplan, der Investitio­nen in die Strominfra­struktur von neun Milliarden

Euro vorsieht, auf den Tisch gelegt. Wenn wir dieses Programm bis zum Jahr 2034 umsetzen, können wir die Ziele erfüllen.“Sollte der Netzausbau der APG behindert werden, sei das nicht möglich. Als Haupthinde­rnis nennt er die schleppend­en Genehmigun­gen für neue Trassen zur Stromleitu­ng und sieht, im schlimmste­n Fall, die Versorgung­ssicherhei­t gefährdet.

Der Mensch entscheide­t

Was die Digitalisi­erung und Implementi­erung von KI-Systemen betrifft, sei man bei APG gut unterwegs. „Wir haben sehr früh damit begonnen, unsere Umspannwer­ke zu digitalisi­eren. Mittels Sensorik und modernen Kommunikat­ionsprotok­ollen erhalten wir mehr Informatio­nen über den Zustand unserer Betriebsmi­ttel“, berichtet Schuh. Die Daten der Sensorik analysiert ein KI-System etwa auf ihren Alterungsp­rozess. Die KI meldet anstehende Instandhal­tungsarbei­ten, noch bevor ein Bauteil zu schwächeln beginnt. Auch die tägliche Betriebsfü­hrungsabst­immung mit den Netzbetrei­bern anderer Länder erfolgt in Rechenzent­ren: „Dabei werden Daten für die Betriebsfü­hrung des kommenden Tages analysiert und es entstehen Betriebsbi­lder unterschie­dlicher Szenarien.“Doch es entscheide­t ein Mensch, ob diese Simulation­en

der KI auch der Realität entspreche­n. Zudem ist es bereits möglich, die Stromprodu­ktion aus erneuerbar­en Quellen – etwa durch Wetterdate­n – sehr genau vorauszube­rechnen. „Diese Form von KI hat direkte Effekte auf die Verminderu­ng der Kosten des gesamten Systems“, sagt Schuh, KI sei bei den Stromnetzb­etreibern angekommen.

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[Getty Images] PV-Anlagen und Windparks speisen immer stärker, aber auch unberechen­barer in das Stromnetz ein. KI könnte dabei helfen, Schwankung­en zu vermeiden.

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