Szenarien für KI-gestützte Stromnetze
Erneuerbare Energien. Die europäischen Stromnetze stoßen immer öfter an ihre Grenzen. KI könnte künftig mithelfen, die Versorgungssicherheit weiter hoch zu halten.
Die Energiewende bedingt, dass deutlich mehr Strom transportiert werden muss. Denn durch die Elektrifizierung diverser Sektoren – von E-Mobilität bis zu einer emissionsfreien Industrie – werden wesentlich größere Strommengen benötigt als bisher. Gleichzeitig wird durch den Einsatz erneuerbarer Quellen wie Wind- oder Solarenergie die verfügbare Menge an erzeugtem Strom immer weniger planbar – nicht immer scheint die Sonne, nicht immer weht genügend Wind. Um Unsicherheiten bei der Stromproduktion auszugleichen, wird es in Europa immer öfter notwendig, in das Stromnetz einzugreifen, damit die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann – bisher erfolgt das ohne Unterstützung von künstlicher Intelligenz, ihr Einsatz wird aber bereits getestet.
Clemens Wasner, Gründer und CEO des Wiener Start-ups enliteAI, ist einer der führenden Köpfe in Österreich, wenn es um die Optimierung von Stromnetzen mithilfe künstlicher Intelligenz geht. Operiert wird dabei auf unterschiedlichen Netzebenen: „Eine davon, die TSO (Transmission System Operator, Anm.), oft auch National Power Grid genannt, hat dafür zu sorgen, dass das Netz und die Versorgung stabil sind und, dass Cross-Border-Austausch mit anderen Ländern möglich ist, etwa um am Spot-Market Energie zuzukaufen, falls es zu Engpässen kommt“, erklärt der Experte. Eine weitere wichtige Funktion der TSO-Ebene ist der Lastausgleich innerhalb des Netzes. Ein Möglichkeit, die immer „grüneren“Stromnetze für die Zukunft resilienter zu machen, ist es, sie „intelligent“zu schalten. Das könne langfristig Schwankungen innerhalb der Netze und in weiterer Folge Blackouts verhindern. Um die Schwankungen auszugleichen, muss derzeit noch Energie zugekauft werden. „Das ist teuer und verhagelt die CO2-Bilanz, da zugekaufter Strom meist aus fossilen Quellen gewonnen wird“, sagt Wasner.
KI soll Vorschläge liefern
Eine der Lösungen zur nachhaltigen Stabilisierung nationaler Stromnetze mittels KI ist die Power Grid Optimization seines Unternehmens. Sie wird derzeit getestet und soll in ein bis zwei Jahren zur Anwendung kommen. „Der Kontrollraum eines Netzbetreibers ist das digitale Abbild des Stromnetzes. Wir haben uns seit dem Jahr 2022 intensiv mit der Thematik beschäftigt und waren selbst überrascht, dass unser ursprünglich im Logistikbereich entstandener Ansatz dafür geeignet ist, Stromnetze ,selbstheilend‘ zu schalten und so eine Vielzahl von Problemen zu lösen, die im Zuge der Energiewende entstehen“, führt Wasner aus. „Unsere KI-Lösung schlägt Szenarien vor. Wenn sie ein Problem im Vorhinein erkennt, zeigt sie die Wirkung von möglichen Schaltszenarien auf und was passiert, wenn die Schaltung nicht eintritt. Das ist die Entscheidungsgrundlage, auf der die handelnden Personen im Kontrollraum agieren.“
Netzausbau künftig notwendig
Christoph Schuh, Unternehmenssprecher des überregionalen Stromnetzbetreibers APG (Austrian Power Grid) würde dem heimischen Netz ein „Sehr gut“geben, zumindest was die aktuelle Situation betrifft: Die Versorgungssicherheit liegt bei 99,99 Prozent und das Netz kann Strom von allen derzeitigen Produzenten aufnehmen. Etwas anders sieht der Blick in die Zukunft aus. Schuh: „Auf die Kapazitätsanfordernisse, etwa durch die E-Mobilität, Elektrifizierung von Wirtschaft und Industrie und den Ausbau der erneuerbaren Energie aufgrund des Zieles der Klimaneutralität im Jahr 2040 ist das Stromnetz noch nicht vorbereitet. Wir haben im Vorjahr den Netzentwicklungsplan, der Investitionen in die Strominfrastruktur von neun Milliarden
Euro vorsieht, auf den Tisch gelegt. Wenn wir dieses Programm bis zum Jahr 2034 umsetzen, können wir die Ziele erfüllen.“Sollte der Netzausbau der APG behindert werden, sei das nicht möglich. Als Haupthindernis nennt er die schleppenden Genehmigungen für neue Trassen zur Stromleitung und sieht, im schlimmsten Fall, die Versorgungssicherheit gefährdet.
Der Mensch entscheidet
Was die Digitalisierung und Implementierung von KI-Systemen betrifft, sei man bei APG gut unterwegs. „Wir haben sehr früh damit begonnen, unsere Umspannwerke zu digitalisieren. Mittels Sensorik und modernen Kommunikationsprotokollen erhalten wir mehr Informationen über den Zustand unserer Betriebsmittel“, berichtet Schuh. Die Daten der Sensorik analysiert ein KI-System etwa auf ihren Alterungsprozess. Die KI meldet anstehende Instandhaltungsarbeiten, noch bevor ein Bauteil zu schwächeln beginnt. Auch die tägliche Betriebsführungsabstimmung mit den Netzbetreibern anderer Länder erfolgt in Rechenzentren: „Dabei werden Daten für die Betriebsführung des kommenden Tages analysiert und es entstehen Betriebsbilder unterschiedlicher Szenarien.“Doch es entscheidet ein Mensch, ob diese Simulationen
der KI auch der Realität entsprechen. Zudem ist es bereits möglich, die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen – etwa durch Wetterdaten – sehr genau vorauszuberechnen. „Diese Form von KI hat direkte Effekte auf die Verminderung der Kosten des gesamten Systems“, sagt Schuh, KI sei bei den Stromnetzbetreibern angekommen.